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Manipulierte Daten, geschönte Ergebnisse Fehlverhalten in der Wissenschaft

International ist von einem Vertrauensverlust in die Wissenschaft die Rede. Plagiate, gefälschte Daten und zurückgezogene Aufsätze haben das Image beschädigt. Allerdings ist nicht bekannt, wie verbreitet wissenschaftliches Fehlverhalten tatsächlich ist. Eine BR-Umfrage unter den Ombudsleuten deutscher Forschungseinrichtungen wirft nun ein interessantes Schlaglicht auf den Umgang der Unis mit wissenschaftlichem Fehlverhalten.

Von: Lisa Wreschniok und Gabriele Knetsch

Stand: 18.07.2017

Illustration: Weiße Wissenschaftler-Pictogramme, darunter immer mal wieder ein schwarzer Wissenschaftler | Bild: BR

Prof. R. hatte alles erreicht: anerkannter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Alternsforschung, Direktor eines Leibniz-Instituts, gefragter Redner und vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Niemandem schien aufzufallen, dass in einigen Publikationen Fehler steckten. Bis anonyme Hinweise eingingen und die Leibniz-Gemeinschaft die Vorwürfe untersuchte. Nun steht fest: In etlichen Arbeiten R.'s und seines Teams wurden unter anderem Abbildungen falsch eingesetzt und Daten fehlerhaft dargestellt.
Auch wenn R. nicht nachgewiesen wurde, dass er selbst  manipuliert hat, wird ihm wegen unzureichender Qualitätskontrolle grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen. Er lässt sein Amt ruhen, um "sich vollumfänglich seinen Aufgaben als Wissenschaftler und der Korrektur der aufgetretenen Fehler zu widmen", wie das Institut in einer Stellungnahme mitteilt.

Gravierende Folgen von Datenmanipulation

Selbstkontrolle der Wissenschaft

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG hat bereits 1998 Empfehlungen zur "Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" herausgegeben, an denen sich die Forschungseinrichtungen orientieren sollen. Ein eigenes Gremium der DFG, genannt Ombudsman für die Wissenschaft, soll Ansprechpartner sein: Für Verdachtsfälle, die die Universitäten nicht alleine aufklären können oder wollen. 87 Anzeigen gingen hier im vergangenen Jahr ein. 
Außerdem haben fast alle Forschungseinrichtungen inzwischen eigene Ombudsstellen und Untersuchungskommissionen.

Besonders schlimm ist Schummelei im Bereich der Medizin, denn Lügen aus dem Labor können gravierende Folgen für die Gesundheit der Patienten haben. Erst vor wenigen Monaten wurde auch der gefeierten deutschen Diabetes-Forscherin M. Datenmanipulation vorgeworfen. Daraufhin wurde die schon bewilligte renommierte Heisenberg-Professur zurückgezogen. Zuvor hatten bereits über 2.000 Menschen an Studien teilgenommen, die unter anderem auf ihren umstrittenen Forschungsergebnissen basierten.

Immer mehr aufgedeckte Fälle

Die allermeisten Wissenschaftler arbeiten seriös. Aber seit es Internetplattformen wie VroniPlag Wiki oder PubPeer gibt, scheint die Zahl der aufgedeckten Fälle anzusteigen. Handfester Betrug, bei dem Daten frei erfunden werden, mag selten sein. Häufig ist der Übergang von handwerklichen Fehlern zu Schummelei und Manipulation fließend: Daten, die die Arbeitshypothese nicht stützen, werden geschönt oder weggelassen, Ergebnisse aufgebauscht. Wie oft passiert das? Die Faktenlage ist dünn. Eine zentrale Datenbank, die Verdachts- und Betrugsfälle sammelt, gibt es nicht.

Umfrage "Real Science" zu wissenschaftlichem Fehlverhalten

Wie oft wird in Deutschland getrickst und gefälscht?

Wir wollten daher wissen: Wie oft wird in Deutschland getrickst und gefälscht? In welchen Bereichen? Im Rahmen der bundesweiten Umfrage "Real Science" unter Universitäten und Forschungseinrichtungen haben BR Recherche und BR Data in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftssoziologen Prof. Martin Reinhart von der Berliner Humboldt-Universität erstmals Art und Anzahl der Fehlverhaltensfälle für die vergangenen fünf Jahre abgefragt.

Wie viele Verdachtsfälle gibt es?

In den vergangenen fünf Jahren wurden laut den Antworten der Ombudspersonen 1.124 Verdachtsfälle gemeldet, von denen 246 von eigenen Kommissionen der Einrichtungen untersucht wurden. In vielen Fällen wurden Sanktionen verhängt.

Zur Auswertung der Umfrage

Auf dem Wissenschaftsblog SciLogs wird die "Real Science"- Umfrage thematisiert und auf eine Diskrepanz zwischen Fragestellung und Auswertung hingewiesen. Tatsächlich hatten wir nach bestätigten Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens gefragt (siehe Fragebogen Frage 2). Doch es stellte sich heraus, dass Ombudspersonen häufig keine Aussage zum Ausgang der Fälle treffen können, die sie nach einer Vorprüfung an eine Untersuchungskommission weitergereicht haben. Viele haben daher die Zahl der untersuchten, abgeschlossenen Fälle ohne weitere Aufschlüsselung zurückgemeldet. Diese Zahl haben wir veröffentlicht. Noch laufende Untersuchungen haben wir nicht ausgewiesen, da sich nur vereinzelt Ombudspersonen dazu geäußert haben. Die Umfrage ist ein Stimmungsbild, das zu weiterer Forschung anregen soll.

Wie wird gefälscht?

Am häufigsten wurden Plagiate aufgedeckt: Fremde Ideen, Texte oder Ergebnisse ohne Quellenangaben. Gefolgt von unrechtmäßigen Autorenangaben: Haben wirklich die mitgeforscht, die auf der Arbeit draufstehen? An dritter Stelle stehen manipulierte Daten.

Was passiert bei wissenschaftlichem Fehlverhalten?

Jeder Fall ist anders und wird individuell sanktioniert. Neben dem Entzug des akademischen Titels wurden erwischte Wissenschaftler vor allem aufgefordert, ihre Publikation zurückzuziehen.

Wo kommt Fehlverhalten vor?

In welchen Fachrichtungen sind Fehlverhaltens-Fälle aufgetreten? Oder andersrum: Wo wurde genau hingesehen und wo wurden Fälle aufgedeckt?

Informationen zur Umfrage "Real Science"

BR Data und BR Recherche haben die Umfrage im Januar 2017 per E-Mail an insgesamt 281 Ombudspersonen an Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland geschickt. Abgefragt wurde der Zeitraum 2012 - 2016. 226 Antwortbögen waren verwertbar und sind in die Auswertung eingeflossen. Wissenschaftliche Beratung beim Aufsetzen der Umfrage: Professor Martin Reinhart, Humboldt-Universität zu Berlin.

Original Fragebogen "Real Science" zum Download Format: PDF Größe: 385,49 KB

"Es ist bemerkenswert, dass wir erstmals eine Zahl für ganz Deutschland haben und auch, dass wir so viele Fälle haben. Das zeigt doch, dass das Ombudswesen tatsächlich genutzt wird und zwar im größeren Umfang. Es tut sich was."

Prof. Martin Reinhart, Wissenschaftssoziologe an der Humboldt-Universität und am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)

Reaktionen auf BR-Umfrage "Real Science"

Prof. Godehard Ruppert, Präsident der Universität Bamberg und Altvorsitzender der Bayerischen Rektorenkonferenz (heute Universität Bayern e.V.), sieht in der Zahl der Fälle einen Beleg, dass die Universitäten die Thematik ernst nehmen. Er betont die Bedeutung der Ombudseinrichtungen an den Universitäten und deren Aufklärungsarbeit.

"Grundsätzlich können externe Personen die Aufklärung solcher Verdachtsfälle auch wahrnehmen. Aber sie müssen immer das Wissen haben, wie es innerhalb der Universität läuft. Wie die Strukturen sind. Ich würde von mir aus immer nur jemanden bitten, Ombudsmann zu werden, der schon mal Dekan war. Der in der Forschung entsprechend bekannt ist, der selber Drittmittel eingeworben hat, der Wirtschaftskontakte hat. Einfach alles schon mal gesehen hat. Nur solche Leute sind in der Lage, solche Prozesse entsprechend ernst zu nehmen und dann auch mit Fingerspitzengefühl aufzunehmen."

Prof. Godehard Ruppert, Präsident Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Wissenschaftsrat begrüßt BR-Umfrage

Der Wissenschaftsrat, der die Bundesregierung berät, begrüßt die BR-Umfrage "Real Science". Sie zeige, dass das Ombudswesen in Deutschland funktioniere, aber natürlich immer noch besser werden könne, so die Vorsitzende des Wissenschaftsrates Prof. Martina Brockmeier. Der Vorschlag des Wissenschaftsrates: Um die Ombudspersonen und -kommissionen weiter zu stärken, sollten diese untereinander besser vernetzt werden, um voneinander zu lernen. Und Brockmeier wünscht sich ein Umdenken im Wissenschaftsbetrieb. Weg von der Wettbewerbsorientierung hin zu wissenschaftlicher Integrität, mehr Qualität statt Quantität.

"Es ist richtig und wichtig, Fehlverhalten genau aufzuklären. Denn wir sind aus öffentlichen Gelder finanziert und es ist wichtig, eine Ressourcenverschwendung im System zu verhindern. Lassen Sie mich das klarstellen: Wenn Sie falsche Daten für Ihre Forschung verwenden, dann bringt der daraus resultierende Erkenntnisgewinn die Gesellschaft nicht weiter."

Prof. Martina Brockmeier, Vorsitzende des Wissenschaftsrates

Forschungsförderung: Um so viel Geld geht es

Laut "Bundesbericht Forschung und  Innovation 2016" fließen rund 100 Milliarden Euro im Jahr in die deutsche Wissenschaft (Stand 2013: 106 Milliarden Euro, dies entspricht einem Anteil von 3,8 Prozent des BIP.) Die Ausgaben setzen sich zusammen aus Geld für Forschung und Entwicklung, für die wissenschaftliche Lehre und Ausbildung und sonstige verwandte wissenschaftliche und technologische Tätigkeiten.


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