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Pro und Contra Volksentscheide Brauchen wir mehr direkte Demokratie?

Die CSU hat ihre Mitglieder gefragt, ob die Partei sich für Volksentscheide auf Bundesebene einsetzen soll – und zwei Drittel haben dafür gestimmt. Brauchen wir wirklich mehr direkte Demokratie - oder müssen wir dann jeden Tag mit einem kleinen Brexit rechnen? Gute Argumente gibt es auf beiden Seiten.

Von: Simon Plentinger und Steffen Jenter

Stand: 16.11.2016

Symbolbild Volksentscheid | Bild: picture-alliance/dpa

Pro: Man muss den Menschen im Land mehr zutrauen (Simon Plentinger)

"Wir sind doch nicht blöd" – Wer meint, wir Bürgerinnen und Bürger wären nicht kompetent genug, um über Inhalte zu entscheiden, liegt falsch. Längst haben wir uns in den Bundesländern gegen Zigarettenqualm und für den Umbau eines Bahnhofes entschieden und damit erfolgreich Schlussstriche unter lange Diskussionen gesetzt.  Echte Demokratie eben.

Mag sein, dass das Grundgesetz nicht eingeplant hat, dass wir das auch auf Bundesebene tun. Doch wie groß ist da der Unterschied wirklich? Das Grundgesetz stammt außerdem aus einer Zeit, in der wir viel weniger Möglichkeiten hatten, an Informationen zu kommen. Diese Zeiten sind vorbei. Und zwar nicht nur für die hochgebildete Elite, sondern für den Großteil der Bevölkerung. Tagtäglich lesen, hören, schauen und klicken wir uns durch Argumente - lernen über Pro, Contra und die Folgen. Und wir diskutieren. Nur entscheiden dürfen wir nicht.

Wir müssen uns auf die Lotterie von Namen und Farben alle vier Jahre beschränken. Am Ende stehen jedes Mal Vertreter, die auch nicht immer auf allen Gebieten Experten sind und auch nicht immer das durchsetzen, was unsere Mehrheit will. Sinkende Wahlbeteiligung und Politikverdrossenheit entstehen so erst. Wer das beklagt, muss den Menschen im Land mehr zutrauen und sie bei wichtigen Fragen miteinbeziehen.

Unsere Demokratie ist erwachsen genug, um echte Mehrheitsentscheidungen zu verkraften. Sie braucht solche gemeinsamen Entscheidungen sogar. Denn Wahlversprechen und Beschlüsse der Vorgängerregierung gehen nach der Wahl schnell über Bord. Nach Volksentscheidung dürfte das schwerer fallen.

Contra: Wir brauchen nicht mehr Volkentscheide, wir brauchen mehr Menschen, die sich für die Politik entscheiden (Steffen Jenter)

Es gibt tatsächlich zu wenig politische Beteiligung in Deutschland, aber die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden wird da nicht helfen. Nach ihnen rufen meist zwei Gruppen: Politiker, die sich vor einer unangenehmen Entscheidung drücken wollen oder Populisten, die darauf hoffen, auf diese Weise platte Lösungen durchzudrücken. Mehr davon wäre im Zeitalter von Trump, Pegida und Facebook-Hetze fatal.

Nein, die Konsensmaschine Parlament ist gut für unser Land. Das mühsame, das zähe Ringen um den Kompromiss – es mag manchmal ermüdend sein, aber wir sind gut damit gefahren. Und die vielbeschworene Beteiligung, sie findet ja statt – über die Parteien, über Mitgliederentscheide, über Bürgerinitiativen, über Ausschüsse, über Expertenanhörungen. Es ist gut, dass unsere Gesellschaft diesen mühsamen Weg geht und wir nicht einfach Ja oder Nein ankreuzen.

Wir brauchen nicht den täglichen Brexit. Demokratie ist nicht die Diktatur der Mehrheit, sondern auch der Schutz der Minderheiten. Wir haben noch immer viel zu wenige Bürger, die wählen gehen und erst recht viel zu wenige, die sich selbst politisch engagieren. Es fehlt an den Jungen, die sich in Parteien engagieren und es fehlt an den Erfahrenen, die bereit sind, ihren gut bezahlten Job in der Wirtschaft aufzugeben und sich für das Gemeinwesen zu engagieren. Nein, wir brauchen keine bundesweiten Volksentscheide, wir brauchen mehr Menschen, die sich für die Politik entscheiden.


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Helmut, Donnerstag, 17.November 2016, 22:53 Uhr

2. Direkte Demokratie

Ist immer mit Vorsicht zu genießen. Vor allem bei komplexeren Fragen, bei denen man sich informieren sollte was eigentlich gemeint ist und was die Konsequenzen der Entscheidung dann sind. Das ist leider oft nicht in 90-Sekunden-Blöcken darstellbar.
Ein andere kritischer Punkt ist: Wer Entscheidet ? Und wer ist von der Entscheidung betroffen ? Eine baiernweite Entscheidung zur dritten Startbahn am Münchner Flughafen dürfte positiv ausfallen. Wenn man nur die Nachbarn befragt, eher nicht.
Allerdings fand ich die Volksentscheide zum Senat und zum Rauchverbot durchaus positiv. Aber hier waren auch die Konsequenzen für die Betroffenen überschaubar.


Thomas Specht, Mittwoch, 16.November 2016, 11:38 Uhr

1. Brauchen wir mehr direkte Demokratie

Ich sehe auch die Gefahr, dass mehr Volksentscheide den Weg für Populisten ebnen könnte, allerdings denke ich, dass Politiker die Stimmung des Volkes besser kennen müssen. Daher fände ich es gut, wenn sich die Politik nicht ausschließlich auf Meinungsumfragen von Forschungsinstituten verlässt, sondern stattdessen jeder Wahlberechtigte einen Account auf einer speziell dafür eingerichteten Seite bekommt. Auf dieser Seite sollten Informationen und Pro und Kontraargumente der Parteien zu wichtigen politischen Fragen dargestellt werden. Einige Wochen vor wichtigen Abstimmungen im Bundestag könnte dann auf dieser offiziellen Seite eine Abstimmung per Internet stattfinden. Das Ergebnis wird nur den Abgeordneten des Bundestages bekanntgegeben, mit der Pflicht zur Verschwiegenheit, es sei denn der Bundestag beschließt das Ergebnis der representativen Umfrage zu veröffentlichen. So sehen die Politiker besser, wie die Stimmung im Volk ist und können ihre Sicht der Dinge besser vermitteln.