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Frauen in Nordafrika "Heirate deinen Vergewaltiger!"

Eine tunesische TV-Show hat für Aufruhr gesorgt: Der Moderator beschimpfte ein Vergewaltigungsopfer, es habe Schande über die Familie gebracht - und schlug der Frau die Ehe mit dem Täter vor. Tatsächlich können Vergewaltiger nahezu straffrei davonkommen, wenn sie ihre Opfer heiraten. Nicht nur in Tunesien.

Von: Dunja Sadaqi

Stand: 31.10.2016

Symbolbild Vergewaltigung: Mann öffnet eine Türe | Bild: picture-alliance/dpa

Hajer, was hast du gemacht, fragt Moderator Alaa Chebbi die schluchzende junge Frau immer wieder – vor laufender Kamera in der Talkshow "Andi Mankollek". Hajer ist schwanger. Sie sagt, dass sie vergewaltig worden sei - von drei Familienmitgliedern, immer wieder, seit sie 14 Jahre alt war. Als ihr Vater von der Schwangerschaft erfahren habe, habe er sie aus dem Haus geworfen. Bei ihm solle sie sich entschuldigen, ruft der Moderator Hajer zu. Sie, schwanger, unverheiratet, sie habe einen Fehler gemacht. Und sie hätte diesen durch eine Heirat mit ihrem Vergewaltiger bereinigen können.

Die Reaktion auf die Sendung ist heftig, vor allem in sozialen Netzwerken gibt es entsetzte und wütende Kommentare. Kurze Zeit später setzen die tunesischen Behörden die Talkshow für drei Monate aus. Sie habe die Menschenwürde verletzt. Moderator Alaa Chebbi rechtfertigt sich:

"Ich habe ihr nicht einfach so vorgeschlagen, ihren Vergewaltiger zu heiraten. Das ist im tunesischen Strafgesetz so vorgesehen, im Artikel 227. Das Problem liegt im Gesetz, nicht bei mir."

Alaa Chebbi, tunesischer Moderator

Debatte über tunesisches Recht

Die Fernseh-Show hat in Tunesien wieder eine Diskussion über das tunesische Recht ausgelöst. Im Zentrum steht der Artikel 227 (1) des Strafgesetzbuchs, sagt Monia Ben Jemia, Uniprofessorin und Präsidentin der Frauenrechtsorganisation ATFD: "Nach tunesischem Recht ist es verboten, sexuellen Verkehr mit einem Mädchen zwischen 13 und 20 Jahren zu haben. Derjenige, der das tut, wird mit Gefängnis bestraft - außer er ist damit einverstanden, das junge Mädchen zu heiraten. Dann bleibt er straffrei."

Nicht nur Frauenrechtsorganisationen kritisieren den Artikel 227 schon lange, weil er Opfer ein zweites Mal bestraft. Viele Mädchen stimmten einer solchen Hochzeit zu, weil der Druck einfach zu groß wird. Von der Gesellschaft. Der Familie. Der Justiz. Oft müssen Vergewaltigungsopfer sogar fürchten, selbst von der Justiz strafrechtlich verfolgt zu werden, denn außerehelicher Sex ist verboten.

Ähnliche Regelungen in den Nachbarstaaten

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Das Problem existiert nicht nur in Tunesien. Ähnliche Gesetzeslagen gibt es auch in Nachbarstaaten Marokko und Algerien. Die Gesetze sind Symptome eines großen gesellschaftlichen Problems: Gewalt gegen Frauen. Ein Beispiel: das Königreich Marokko. Laut einer staatlichen Studie haben rund 63 Prozent aller marokkanischen Frauen angegeben, schon einmal Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein. Das Thema ist ein gesellschaftliches Tabu – oft wird den Opfern eine Mitschuld zugesprochen, oder ihnen wird schlichtweg nicht geglaubt.

Das hat sogar der marokkanische Präsident Abdelillah Benkirane verdeutlicht, als er in einer Parlamentssitzung über die Ergebnisse der Studie gesprochen hat. Er scherzte: 60% aller Frauen – diese Zahlen könnten ja nicht stimmen. Sonst wären ja auch 60 Prozent aller Parlamentarierinnen betroffen. Und das Parlament? Lachte.

Für Frauen in Marokko ist das kein Witz.


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