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Diplomatische Krise Noch mehr Ärger mit Ankara

Der Streit mit der Türkei schaukelt sich weiter hoch. Jetzt ist Ankara empört, weil Präsident Erdogan nicht per Live-Schaltung zu Demonstranten in Köln sprechen durfte. Der deutsche Gesandte wurde einbestellt - in Vertretung des Botschafters, der sich im Urlaub befindet.

Stand: 01.08.2016

Demonstration in der Türkei | Bild: picture-alliance/dpa

Es wäre für den deutschen Botschafter Martin Erdmann mal wieder eine Gelegenheit gewesen, ins türkische Außenministerium zu kommen, wenn er nicht gerade im Urlaub wäre. Seit Monaten bekommt Erdmann im Außenministerium in Ankara keinen Termin mehr.

Er wird von der türkischen Regierung geschnitten. Grund: die Resolution des Bundestages vom Juni, in der die massenhafte Ermordung von Armeniern im osmanischen Reich als Völkermord bezeichnet wird. Das deutsch-türkische Verhältnis gilt seitdem als angespannt. Jetzt also der Streit um eine Live-Übertragung der Rede des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan bei der Großdemonstration am vergangenen Sonntag in Köln.

Gerichtliches Verbot

Kauder verlangt Loyalität

Ein klares Bekenntnis zu Deutschland hat Unionsfraktionschef Kauder (CDU) nach der Pro-Erdogan-Demo von den Deutsch-Türken gefordert. Die Bürger müssen sich in erster Linie zu dem Staat bekennen, in dem sie leben, sagte Kauder der "Neuen Westfälischen".

Zunächst hatte das Oberlandesgericht Münster die geplante Live-Schalte mit Erdogan aus formalen Gründen verboten. Später bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung. Heftige Kritik des türkischen Justizministers Bekir Bozdag bei einer Rede im zentralanatolischen Konya:

"Ich möchte die Staaten der Europäischen Union und insbesondere Frau Merkel fragen: Was verstehen Sie unter Demokratie? Freiheit für Terroristen und Sprechverbot für legitim gewählte demokratische Staatspräsidenten?"

Bekir Bozdag, Justizminister Türkei

Bozdag meinte, es sei von jetzt an inakzeptabel, wenn Deutschland gegenüber der Türkei die Begriffe Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und Freiheit auch nur in den Mund nehme. Und:

"Wir müssen uns von denen nicht belehren lassen. Das Demokratiebewusstsein der türkischen Nation und der türkischen Bürger im Einzelnen ist tausend Mal größer als das dieses diskriminierenden, rassistischen Westens. Was Demokratie bedeutet, das werden am Ende wohl wir denen beibringen."

Bekir Bozdag, Justizminister Türkei

Sarkasmus vom Regierungssprecher

Der türkische EU-Minister Ömer Celik kommentierte das Verbot der Live-Schalte mit Erdogan auf Twitter. Dort schrieb er: "Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Anti-Putsch-Demonstration in Köln steht im Widerspruch zum Recht auf freie Meinungsäußerung."

Regierungssprecher Kurtulmus trat am Vormittag vor die Presse und äußerte sein Unverständnis über das gerichtliche Verbot der Erdogan-Schalte.

"Der NSU-Prozess beispielsweise ... Seit Jahren geht er weiter und kommt kaum voran. Es kommt und kommt nicht zu einem Urteil. Angesichts dieses Tempos ist es schon bemerkenswert, wie schnell binnen 24 Stunden das Bundesverfassungsgericht über die Videokonferenz-Teilnahme des türkischen Staatspräsidenten in Köln entschieden hat. Donnerwetter, deutsche Justiz! Diese Geschwindigkeit wünscht man sich auch für andere Prozesse."

Numan Kurtulmus, Regierungssprecher Türkei

Die "wahren Gründe"

Erdogan-Sprecher Ibrahim Kalin hatte bereits gestern eine Erklärung von Deutschland zu den "wahren Gründen" des Verbots gefordert. Die sollte heute der deutsche Gesandte in Ankara liefern. Letztendlich musste die Demonstration nicht ganz ohne Erdogan stattfinden. Gegen Ende wurde eine Erklärung verlesen, in der Erdogan lobte, dass die türkische Bevölkerung den Putschisten mutig entgegengestellt habe. Er dankte auch den türkischen Bürgern, die in Deutschland auf die Straße gegangen seien.

"Jetzt haben wir eher eine Phase, in der es ein bisschen rumpelt."

Außenamtssprecher Martin Schäfer zu den deutsch-türkischen Verstimmungen.


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Stefan, Dienstag, 02.August 2016, 08:01 Uhr

26. Türkische Demokratie

Nachdem es sich derart lohnt in diesem ach so miserablen Deutschland, jetzt gerade wieder in Köln, für die viel bessere Demokratie und Pressefreiheit in der Türkei "auf die Straßen" zu gehen, der Wohlstand dort um einiges höher als hierzulande ist und selbstredend natürlich jeder seine Meinung ohne Angst vor Repressalien, auch auf offener Straße, äußern kann - dann, tja dann dürfte uns wohl eine größere Ausreisewelle von Erdogan-Anhängern bevorstehen. In diesem Sinne: "Wir schaffen das...".

S.H., Dienstag, 02.August 2016, 07:46 Uhr

25. Türken außer Rand und Band

Hallo! Wie unverschämt und tolldreist will dieses türkische Kasperlekabinett von Erdogan noch werden? Und nochmals hallo! Wie lange will sich die EU und Deutschland dieses Possenspiel noch gefallen lassen. Sagt da doch unser Weichspüler-Außenminister Steinmeier glatt, es wäre falsch, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei deshalb nun abzubrechen. Man stelle sich vor, die gleichen Frechheiten und Einmischungen in innerdeutsche Angelegenheiten würde sich Herr Putin in Russland leisten. Ich möchte nicht wissen, was es da jetzt in der EU und BRD an Geschrei und Aufruhr gäbe. [...] EU-Beitrittsverhandlungen ad hoc beenden (war ohnehin nur Unsinn, Ankara liegt bekanntermaßen nicht in Europa sondern in Kleinasien). Und wenn der Despot vom Bosporus sich künftig nicht beträchtlich zurücknimmt, dann bitte die diplomatischen Beziehungen mit der Türkei abbrechen - einerlei, was die USA dazu sagen mögen. Punkt. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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Krause, Dienstag, 02.August 2016, 07:33 Uhr

24. Köln und Erdogan

Niemals würde ein Herr Erdogan einem ausländischen, westlichen Politiker erlauben, in seinem Staatsgebiet solche Eingriffe vorzunehmen, wie er sich hier in Deutschland anmaßt--
ich schlage allen Türken vor, die Erdogan spitze finden, in sein Staatsgebiet überzusiedeln---und dies aus liberaler Überzeugung!

iPig, Dienstag, 02.August 2016, 07:10 Uhr

23. wenn ich...

...das Gefühl habe, jemand will mit mir nichts zu tun haben.
Oder mich irgendwo nicht wohl fühle.
Oder mit einem politischen System nicht zurecht komme.
Oder keinen adäquaten Job finde, ich dem ich mich ausreichend gewürdigt fühle - hindert mich niemand, zu gehen bzw Kontakte abzubrechen.
Türkei sagt, Deutschland sei kein Freund mehr, nie gewesen? Der höchste Anteil ausländischer Hartz-IV-Empfänger sind Türken [...]
Viele hier lebenden Türken kennen offenbar nur einen Präsi, der heißt Erdogan, nicht Gauck. Das nenne ich gelungene Integration.
Türkei sagt, wir seien keine Demokratie? Weil wir aus formalen Fehlern kein Erdogan-Public-Viewing zulassen? Würde Herr E. ein Public-Merkel-Viewing in Ankara zulassen??
Meint dieser türkische Staat diesen ganzen hysterischen politischen Unflat ernst? Gehts denen noch halbwegs gut?
Erdogan und seine "Fans" machen mir mehr Sorgen als der IS. [...] Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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Paul, Dienstag, 02.August 2016, 05:06 Uhr

22. Erdogan

Zu den Anhängern Erdogans möchte nur sagen, dass diese Leute die in Deutschland leben und vieleicht noch AG oder Harz IV kassieren fehl am Platz sind und unser Land verlassen sollten. Die Zweistaaten Zugehörigkeit gehört überdacht. Bin ich Deutscher oder Türke?