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TTIP nach Trump Abkommen im Wachkoma

Gewählt hätten ihn in Deutschland nur wenige. Seine ablehnende Haltung zu TTIP aber teilen viele. Ist das Abkommen unter Donald Trump tot? Oder doch nur vertagt? Von Michael Kubitza und Jan Bösche, Washington

Author: Michael Kubitza und Jan Bösche, Washington

Published at: 16-11-2016 | Archiv

TTIP im Wachkoma | Bild: colourbox.com, BR, Montage BR

Höchst selten, dass der deutsche Bundeswirtschaftsminister in den US-Medien auftaucht. Im September sorgte TTIP für eine Ausnahme der Regel. Kein einziger Streitpunkt sei bisher gelöst worden, zitierte ein Korrespondent des Radiosenders NPR Sigmar Gabriel, das Abkommen sei faktisch tot. Das Echo kam prompt: US-Unternehmen seien wegen der neuen Töne aus Deutschland beunruhigt, so die US-Handelskammer, die Bundesregierung solle TTIP "einstimmig und entschieden unterstützen".

Doppelter Ärger mit TTIP und TTP

Seit der Wahl haben die Verfechter des Freihandels ganz andere Sorgen, die auch bei mit T beginnen: Donald Trump und TPP.

Der alte und der neue Treffen zwischen Barack Obama und Donald Trump am 10. November

Die Abkürzung TPP steht für ein anderes, in den USA noch kontroverser diskutiertes Handelsabkommen, nämlich die unter Obama ausverhandelte "Trans-Pazifische Partnerschaft" der USA mit 12 Pazifik-Anrainern - und Trump steht für die Abschaffung von TTP. Die Mehrheit seiner Wähler hat er dabei auf seiner Seite, seine Partei bisher nicht.

Fegefeuer und Tiefkühlfach

Der auch für TTIP zuständige US-Handelsbeauftragte Michael Froman sieht den Deal mit Asien seither "im Fegefeuer". Ein entgegengesetzes, aber doch ähliches Bild wählte die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström für TTIP: Der europäisch-amerikanische Vertrag sei derzeit "im Eisfach"- Auftaudatum ungewiss. Eigentlich kein neuer Befund. Schon vor der Wahl und noch mit der Aussicht auf einen Sieg Hillary Clintons hatte die amerikanische Europa-Expertin Heather Conley stoisch festgehalten:

"Bei TTIP wird sich nichts bewegen bis nach den Wahlen in Frankreich und Deutschland 2017. Dann folgen 2018 die Halbzeitwahlen in den USA. 2019 wird ein neues Europaparlament und 2020 wieder der US-Präsident gewählt."

Heather Conley, Europa-Expertin beim Zentrum für Strategische und Internationale Studien

Man könnte auch sagen: TTIP liegt im künstlichen Koma. Die Geräte abzuschalten kommt für die EU-Kommission nicht in Frage. Doch dass ausgerechnet Donald Trump den Europäern entgegenkommen und die festgefressenen Verhandlungen wieder flottmacht, steht kaum zu erwarten. Umgekehrt hätte, was bisher auf dem Tisch liegt, in mehreren europäischen Staaten keine Chance auf Zustimmung.

Die Lage in Europa

Wie bei CETA gilt: Bevor die EU-Kommission unterzeichnet, muss der Vertrag durch eine Mehrheit im EU-Parlament gebilligt werden. Weil viele TTIP-Bestimmungen über den Bereich der Wirtschaft hinausgehen, ist auch TTIP ein "gemischtes Abkommen". Das heißt: auch die Mitgliedsländer müssen zustimmen. In rund der Hälfte der Mitgliedsstaaten ließe die Rechtslage zudem Volksbegehren zu.

  • In Frankreich ist TTIP ähnlich umstritten wie in Deutschland. Hier wählen die Bürger am 23. April 2017 einen neues Staatsoberhaupt und ein neues Parlament. Präsident François Hollande, der noch vor zwei Jahren einen schnellen Verhandlungsabschluss gefordert hatte, präsentiert sich inzwischen als entschlossener Schutzherr der französischen Bauern. Seine Konkurrentin Marine Le Pen lehnt TTIP ohnehin ab.
  • In Belgien - Heimat der wallonischen "CETA-Rebellen" - plädierte der liberalkonservative Premier Charles Michel schon im Sommer, die Verhandlungen auszusetzen.
  • In den Niederlanden war TTIP lange kein Thema. Jetzt plant ein breites Bündnis für den Fall eines Verhandlungsabschlusses ein Referendum gegen TTIP. Um Erfolg zu haben, bräuchten die Kritiker zunächst 300.000 Unterschriften und anschließend eine Mehrheit unter mindestens 30 Prozent der Wahlberechtigten. Keine unrealistische Hürde: Im März führten die Niederländer ein Plebiszit gegen den weit weniger folgenreichen EU-Ukraine-Vertrag zum Erfolg.
  • In Österreich lehnen rund zwei Drittel der Bürger TTIP ab - ebenso der künftige Präsident. Denn in der Wiederholung der Wahl um das höchste Amt am 4. Dezember stehen Alexander van der Bellen (Grüne) und Norbert Hofer (FPÖ) zur Wahl. Beide hatten in einer TV-Runde erklärt, ein Freihandelabkommen mit dem gegenwärtig erwartbaren Verhandlungsergebnis nicht zu unterzeichen.
  • In Deutschland schließlich wird im November 2017 ein neuer Bundestag gewählt. Zuvor finden noch fünf Landtagswahlen statt; in Bayern sammeln die Freien Wähler Unterschriften für eine Volksbefragung. Am Ende könnte die Justiz entscheiden: TTIP-Gegner haben für den Fall einer Zustimmung Verfassungsklage angekündigt.

Operation misslungen - Patient lebt

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer gibt TTIP dennoch nicht verloren. Für die TTIP-Gegner ist die neue Entwicklung Grund zur Entspannung, aber keine Entwarnung. Gut möglich, dass das Projekt nach kurzer Pause wiederbelebt wird, vielleicht unter neuem Namen - in seiner Frühphase hieß TTIP noch TAFTA. In den Startlöchern steht zudem das weniger beachtete, aber ähnlich bedeutsame Dientleistungsabkommen TISA. Und dann ist da ja noch das europäisch-kanadische CETA, die Blaupause für TTIP. Sollten die CETA-Schiedsgerichtspläne realisiert werden, könnten US-Konzerne europäische Staaten auch ohne TTIP verklagen - sofern sie Filialen in Kanada haben.

TTIP (Transatlantic Tade and Investment Partnership) | Partner: EU - USA

Was wir wissen

Auch nach über dreijähriger Verhandlungszeit gibt es in keinem der knapp 30 Verhandlungsfelder ein konsolidiertes Ergebnis, in wichtigen Punkten wie Marktzugang, Verbraucherschutz und Schiedsgerichte noch nicht einmal Annäherung. Der jeweils aktuelle Verhandlungsstand ist nur in sogenannten Lesesälen und nur für Parlamentarier einsehbar, die nicht darüber sprechen dürfen. Die EU-Kommission veröffentlicht ausgewählte Informationen auf ihrer Website.

Der Partner

Eigentlich wollte die EU TTIP noch mit Präsident Barack Obama unter Dach und Fach bringen. Das wird nun nichts mehr. Der neue US-Präsident Donald Trump hat sich zu TTIP bisher kaum geäußert, doch lehnt er Freihandelsabkommen generell ab.

Beide Wirtschaftsräume haben unterschiedliche Vorstellungen von Umwelt- und Sozialstandards und unterschiedliche Begriffe von Kultur und Urheberrecht. Brüssel möchte das europäische Vorsorgeprinzip bewahren, demzufolge neue Produkte erst bei Nachweis ihrer Unbedenklichkeit auf den Markt gelangen dürfen; die USA beharren darauf, dass Unternehmen Staaten vor internationalen Schiedsgerichten verklagen dürfen. Der von der EU geforderte freie Marktzugang ist in den USA zum Teil Sache der Bundesstaaten.

Rein - und raus?

TTIP wie CETA werden als völkerrechtliche Verträge der EU verhandelt, wären also für Deutschland einseitig nicht kündbar. Nach heutigem Stand ist fraglich, ob TTIP überhaupt verfassungsgemäß wäre: die Vorbehalte des Verfassungsgerichts gegen CETA gelten auch bei TTIP - dazu kommen andere Punkte wie die Ausdeutung und Weiterentwicklung von TTIP durch intransparente, demokratisch kaum legitimierte Gremien wie den Joint Ministerial Body und der Regulatory Cooperation sowie die Schiedsgerichte (s. nächster Punkt)

Schiedsgerichte

Die Verhandlungsposition der USA, eine Paralleljustiz in Form privater internationale Schiedsgerichte (ICS) zu installieren, vor denen Konzerne Staaten verklagen können, lehnt neben den TTIP-Gegnern auch der Richterbund ab: "Der DRB sieht weder eine Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit für ein solches Gericht." Immerhin geht es nicht um ein Abkommen mit Nordkorea, sondern zwischen Staaten mit funktionierenden Rechtssystemen. Und: "Weder das vorgesehene Verfahren zur Ernennung der Richter des ICS noch deren Stellung genügen den internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit von Gerichten."

Die Kritiker

Anders als CETA ist TTIP nach aktuellem Verhandlungsstand weit von einer Unterzeichnung entfernt. Aus Österreich kommt die Aussage, einem Abkommen, das nicht mindestens die Konditionen von CETA habe, nicht zuzustimmen. Ähnlich argumentieren Frankreich, Belgien und die deutsche SPD. In einigen Ländern - etwa in den Niederlanden - sind Volks- oder Bürgerbegehren in Vorbereitung. In den USA ist Hillary Clinton für, Donald Trump gegen TTIP.

Hierzulande hat sich eine bemerkenswerte Allianz an Gegnern gebildet, die von Verbraucherschutz- und Umweltverbänden über Kommunen, Kirchenvertreter und Gewerkschaften bis zum Deutschen Kulturrat, den Hochschuldirektoren und dem Deutschen Richterbund reicht. Eine europäische Bürgerinitiative hat in einem Jahr 3.263.920 Unterschriften gegen TTIP gesammelt, davon rund 1,6 Millionen aus Deutschland.

CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) | Partner EU -Kanada

Was wir wissen

Bei CETA wie bei TTIP fanden die Verhandlungen im Geheimen statt. Doch anders als TTIP ist CETA inzwischen ausverhandelt, die Ergebnisse sind im Netz einsehbar - allerdings nicht die "interpretierende Zusatzerklärung", die geleakt und vom Anti-CETA-Bündnis Campact zerpflückt wurde. Jetzt ist sie noch einmal aufgebohrt und um die Nachbesserungen der Wallonen erweitert worden.

Der Partner

Kanada: Gut doppelt so groß wie die Europäische Union, aber nur 36 Millionen Einwohner. Wirtschaftlich gesehen hat das Abkommen für Trudeau mehr Gewicht als für Europa: Die EU ist Kanadas zweitwichtigster Handelspartner - umgekehrt belegt Kanada unter den EU-Wirtschaftskontakten derzeit Rang 12. Verglichen mit den USA ist Kanada für die EU der angenehmere Partner: Sozial- und Umweltstandards sind eher mit den europäischen in Übereinstimmung zu bringen, der seit 2015 amtierende Premierminister Justin Trudeau ist der EU in wichtigen Punkten entgegengekommen: Beim Investorenschutz, den Schiedsgerichten, dem Vorsorgeprinzip, der Daseinsvorsorge.

Allerdings stehen die Passagen in einer Zusatzerklärung, nicht im eigentlichen Text - ein Hauptkritikpunkt der wallonischen CETA-Rebellen, die die Rechtsverbindlichkleit in Frage gestellt hatten.

Rein - und raus?

CETA wie TTIP werden als völkerrechtliche Verträge der EU verhandelt, wären also für Deutschland einseitig nicht kündbar. Das Bundesverfassungsgericht hat das vorläufige "Go" für die deutsche Zustimmung in seinem Eilentscheid aber mit einem Vorbehalt versehen: Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass Deutschland aussteigen kann, falls das Gericht in der Hauptverhandlung zum Ergebnis kommen sollte, dass CETA ganz oder teilweise verfassungswidrig ist.

Eine weitere Forderung aus Karlruhe: Solllte CETA "voräufig" in Kraft treten - durch die EU-Kommission unterzeichnet, aber noch nicht durch Zustimmung aller Mitgliedländer bestätigt - bleiben Regelungen in nationaler Zuständigkeit, etwa zum Arbeitsschutz, davon unberührt.

Schiedsgerichte

Auch in CETA gibt es Paralleljustiz - in der letzten Fassung allerdings keine privaten Schiedsgerichte, sondern einen ständigen Gerichtshof, dessen Richter von Kanada und der EU ernannt werden. Die Sitzungen sollen öffentlich sein. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), sieht eine deutliche Verbesserung. Es sei festgeschrieben, dass neue und geänderte Gesetzgebung sowie die Vergabe oder Kürzung von Beihilfen "kein Klagegrund" seien. Die Opposition bleibt skeptisch. Zwar sei die Neuregelung transparenter. "Aber es bleibt bei dem grundlegenden Prinzip: Unternehmen können Regierungen verklagen, wenn sie ihre Gewinnerwartungen durch ein neues Gesetz in Gefahr sehen", so Linken-Politiker Helmut Scholz.

Auf Wunsch der Wallonie sind die Kriterien für die Ernennung von Richtern präzisiert worden; zudem soll der Europäische Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Regelung überprüfen.

Die Bundesregierung klammert die Regelungen zum "Investitionsschutz" aus, solange Ceta noch nicht durch alle nationalen Parlamente ratifiziert wurde. Sie entspricht damit einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts.

Die Kritiker

Neben der Wallonie gelten auch Österreich und Rumänien als CETA-Kritiker, letzteres aufgrund von Visa-Differenzen. Alle drei haben dem Kompromiss jetzt zugestimmt. Im Fall Österreichs profitiert Brüssel von den Verzögerungen bei der Präsidentschaftswahl: beide Bewerber lehnen CETA in der aktuellen Form ab.

In Deutschland wurde ein Eilantrag gegen CETA vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt, allerdings unter eindeutigen Bedingungen. Das Urteil im Hauptverfahrten steht noch aus. Grüne, Linke, AfD (nicht aber ihre Abspaltung Alfa) sowie Freie Wähler und mehrere Initiativen wie Campact und Foodwatch bleiben bei ihrer Ablehnung. In Bayern läuft derzeit ein Volksbegehren, dessen Initiatoren die Staatsregierung per Gesetz verpflichten wollen, im Bundesrat gegen Ceta zu stimmen.


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Manfred, Samstag, 19.November 2016, 08:01 Uhr

4. Demokratie Verheizer

Die großen Volksparteien waren in den letzten Jahren NICHT in der Lage uns die Hintergründe der Abkommen zu erläutern . Her Gabriel GLAUBT und Frau Merkel HOFFT das es so kommt wie Sie annehmen . Man hat es anderen überlassen es UNS zu erklären und jetzt haben Sie den Stress . Der Freihandel ist wichtig für uns alle , jedoch NICHT zu den Konzessionen der Großindustrie . Und so wie das hier läuft geht leider vieles den Bach runter und dafür macht sich ein Sozialdemokrat wie Herr Gabriel stark ? Oder die Christsozialen ?

Daniel, Freitag, 18.November 2016, 22:43 Uhr

3. TTIP bestatten und vergessen. Mit Russland und China probieren?

Angesichts der Wahlkampfrhetorik gegen jegliche Handelsabkommen dürfte das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU unter Trump keine Chance auf Realisierung haben. Selbst wenn Präsident Obama noch das Wunder gelingen sollte, das Abkommen bis zum Ende des Jahres zu verabschieden, dürfte die Ratifizierung von einer Regierung Trump blockiert werden. Die noch ausstehende Ratifizierung des TPP-Freihandelsabkommens (USA – Asien ex China) dürfte ebenfalls ausfallen.

Franz, Donnerstag, 17.November 2016, 11:52 Uhr

2.

Trump verhilft den Kommunisten zum TTip Ende. Ob sie ihn dafür bejubeln ?

  • Antwort von Michael, Freitag, 18.November, 22:50 Uhr

    Franz sind Sie ein Merkel-Versteher? Sie haben Recht mit der Behauptung, Grüne und Linke sind wirklich Kommunisten, sogar internationale Kommunisten. Das hat schon Franz Josef Strauß gesagt: "Die Grünen sind wie die Tomaten, zuerst sind sie grün und später werden sie rot."

Erik, Mittwoch, 16.November 2016, 15:09 Uhr

1.

Der Ami braucht TTIP nicht mehr. Merkel und ihre Vasallen, allen voran S. Gabriel, haben schließlich CETA abgeschlossen.

  • Antwort von Erich, Mittwoch, 16.November, 22:13 Uhr

    Jetzt ist auch klar, warum das so schnell vor der Wahl in USA hat passieren müssen. Die wusten, dass Trump gewinnt. Für meine Bekannten in USA war schon viele Tage vor der Wahl klar, wie es ausgeht.