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Tschernobyl Der weltweit erste Super-GAU

Das "Unmögliche" ist nicht erst in Fukushima eingetreten. Die erste große Katastrophe der zivilen Nutzung der Atomkraft ereignete sich am 26. April 1986 in Tschernobyl - mit weitreichenden Folgen.

Von: Ernst Eisenbichler

Stand: 25.04.2013 | Archiv

Tschernobyl: Reaktorblock 4 | Bild: picture-alliance/dpa

"Kommunismus - das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes." So lautete Wladimir Iljitsch Lenins Systemdefinition. Doch ausgerechnet das stromproduzierende Atomkraftwerk "W. I. Lenin" in Tschernobyl sollte zum Fanal des Zerfalls der UdSSR werden. Am 26. April 1986 flog Block 4 der ukrainischen Anlage nach einem fehlgeschlagenen Test des Kühlwassersystems in die Luft.

Radioaktive Wolke erreicht 1986 auch Deutschland

Es war weltweit der erste Super-GAU - nach den Ereignissen im japanischen Fukushima allerdings nicht mehr der einzige. Von einem Super-GAU spricht man, wenn die Folgen eines Störfalles in einem Kernkraftwerk nicht mehr zu kontrollieren sind. Zu spüren bekamen diese Katastrophe in erster Linie Tausende Menschen in der Ukraine und in Weißrussland. Doch auch wenn der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) einige Tage nach der Explosion eine Gefahr für Deutschland ausschloss, wehten Ostwinde die radioaktive Wolke auch nach Nord-, Mittel- und Südosteuropa. Niederschläge wirkten als Verstärker beim sogenannten Fall-out.

Hamsteraktionen: Milchpulver und Dosennahrung

Die Folgen von Tschernobyl: 16-jähriger Leukämie-Kranker

Plötzlich war man hierzulande mit bislang unbekannten Gefahrenquellen konfrontiert: Der Verzehr von Gemüse und Speisepilzen oder das Spielen im Sandkasten galten als gesundheitsgefährdend. Aufgrund der unzureichenden Informationspolitik der Behörden horteten viele Menschen vorsorglich Milchpulver und Dosennahrung. Manche Mütter flohen sogar mit ihren Kindern auf die Kanarischen Inseln. Auch der Wortschatz musste erweitert werden: Jeder sprach nun von Becquerel und Sievert, Einheiten zur Messung von Radioaktivität bzw. Strahlenbelastung.

Fall-out-Bundesland Bayern

In Deutschland wurde bayerischer Boden am stärksten kontaminiert, vor allem im Bayerischen Wald, im Münchner Umland, in den Alpen und im Pfälzer Wald. Während im Mai 1986 in Norddeutschland meist nur 4.000 Becquerel (Bq) pro Quadratmeter gemessen wurden, waren es im Freistaat stellenweise bis zu 170.000. Die mittlere Kontamination in Bayern lag damals bei etwa 20.000 Bq pro Quadratmeter, heute beträgt sie immer noch mehr als 10.000.

Cäsium strahlt Jahrzehnte

Illustration: radioaktiver Teller mit Wildschwein und Pilze neben Besteck | Bild: colourbox.com; Montage: BR zum Artikel Bayern nach Tschernobyl Pilze und Wildschweine immer noch belastet

Am 26. April jährte sich das Reaktorunglück von Tschernobyl zum 27. Mal. Radioaktive Isotope aus dem Reaktor strahlen nach wie vor. In manchen Gegenden Bayerns werden bei Wildschweinen und einigen Pilzarten noch heute hohe Werte registriert. [mehr]

Bei der Tschernobyl-Katastrophe wurden etwa 30 verschiedene radioaktive Substanzen freigesetzt. Direkt nach einem solchen Super-GAU stellen Cäsium-137 und Jod-131 die größte Gefahr dar. Sie gelangen besonders leicht in die Atmosphäre und verteilen sich großräumig. Während aber Jod-131 oder Cäsium-134 eine verhältnismäßig kurze Halbwertszeit aufweisen, strahlen Cäsium-137 und Strontium-90 noch heute. Für die nachhaltige radioaktive Belastung ist vor allem Cäsium-137 verantwortlich.

Krebserkrankungen, Lähmungen oder Herzschwäche: In der Ukraine leiden noch heute viele Menschen unter den Folgen von Tschernobyl. Aus ihrer Perspektive sind die Sorgen deutscher Verbraucher vergleichsweise marginal. Für die ist bei bestimmten Nahrungsmitteln immer noch Vorsicht geboten, vor allem in Bayern.


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