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Wer hilft den Helfern? Wenn der Einsatz krank macht

Was Rettungskräfte bei Einsätzen erleben, ist oft belastend oder sogar traumatisch. Besonders nach Katastrophen brauchen auch Helfer Hilfe, um die Eindrücke zu verarbeiten. Doch ob sie die bekommen, ist oft Zufall.

Von: Doris Bimmer

Stand: 25.06.2016

Feuerwehr München im Einsatz | Bild: Feuerwehr München

Bad Reichenhall, Jettingen-Scheppach, Bad Aibling – diese bayerischen Orte stehen für drei dramatische Unglücke, die sich in den vergangenen zehn Jahren im Freistaat ereignet haben. Ob beim Einsturz der Eishalle, bei dem tragischen Verkehrsunfall mit einem Trauerzug in Schwaben oder dem erst wenige Monate zurückliegenden Zugunglück in Oberbayern, immer sind Einsatzkräfte vor Ort, um zu helfen.

Was die haupt- und ehrenamtlichen Helfer bei ihren Einsätzen erleben, ist für manche unerträglich. Was also tun, wenn sich die Bilder im Kopf nicht mehr verarbeiten lassen?

"Die Hilfe für den Helfer ist genauso wichtig, das ist keine Ölspur, sondern ein Einsatz, der auf die Psyche geht."

Christian Glas, Initiator Einsatznachsorgeteam der Feuerwehren in Rosenheim

Christian Glas ist die treibende Kraft im Raum Rosenheim für die psychosoziale Betreuung von Einsatzkräften. Er ist mitverantwortlich dafür, dass sich dort ein gut ausgebautes System von speziell ausgebildeten Leuten, sogenannten Psychosozialen Notfall-Betreuern etablieren konnte. Ihre Hauptaufgabe ist es, immer ein offenes Ohr für ihre Kollegen zu haben – da zu sein, zuhören, gleichgültig, wie groß und belastend der Einsatz auch gewesen sein mag. Das ist aber noch nicht lange so. Weder in Rosenheim, noch anderswo in Bayern. Ob Helfer Hilfe bekommen ist oft genug dem Zufall überlassen. Mit fatalen Folgen.

Traumatischer Einsatz mit Folgen

Nächtlicher Einsatz auf der Autobahn

Dass es einen aus der Bahn werfen kann, das hat auch Andi Zirbler aus Schwaben (Name geändert) nie für möglich gehalten. Zirbler ist erst Mitte 40 - und doch steuert er auf die Rente zu. Der Feuerwehr galt seine Leidenschaft, als Ehrenamtlicher fuhr er auch viele tragische Einsätze. Er hat vieles erlebt und gut verkraftet, wie er sagt: die Reanimation von Säuglingen, die Bergung von Wasserleichen, Bahnleichen. Dann, eines Nachts im Jahr 2009, ein schwerer Unfall auf der A8 bei Günzburg.

"Als wir zu einem Unfallauto kamen, klingelte plötzlich das Telefon der toten Person und auf dem Display erschien das Bild eines Kindes. Dann fanden wir die zweite Leiche, sie war über die Autobahn geschleudert und regelrecht zerfetzt worden. Dann war auch klar, dass wir auf Leichenteilen standen. Und das war der Knackpunkt, das hat mich zu dem gebracht, wie es mir jetzt geht."

Andi Zirbler, ehemaliger Freiwilliger bei der Feuerwehr

Zirbler versucht die Erinnerung zu betäuben, zuerst mit Alkohol, dann mit Medikamenten. Erst nach langen Jahren lässt er sich psychiatrisch behandeln. Seither ist er im Krankenstand. Zur Zeit versucht er mit Hilfe eines Anwalts, seine posttraumatische Belastungsstörung als Arbeitsunfall durchzusetzen.

"In meinem Fall, sagen die Ärzte, kann man bloß noch die Rente einreichen. Enttäuscht bin ich auf jeden Fall. Weil die KUVB immer große Töne spuckt, wie gut man als Ehrenamtlicher versichert ist. Und das überhaupt nicht der Fall ist."

Andi Zirbler leidet an den Spätfolgen eines Einsatzes

Die KUVB ist die Kommunale Unfallversicherung Bayern, oder auch bekannt als bayerische Landesunfallkasse. Dort sind ehrenamtliche und hauptberufliche Einsatzkräfte versichert.

Unfallversicherung verlangt Beweise

Marco Wetzel ist Leiter der Abteilung Rehabilitation und Entschädigung bei der kommunalen Unfallversicherung. Er erweckt den Eindruck, dass ihm solche Fälle wie der von Andi Zirbel tatsächlich Bauchschmerzen bereiten.

"Bei psychischen Problemen ist die Frage, wann wurde die Ursache gesetzt. Wobei wir das Problem haben: Je später uns das Ereignis gemeldet wird, desto schwieriger wird die Beweisbarkeit. Beispiel: Bad Reichenhall. Da melden sich 8 Jahre nach dem Ereignis Leute bei uns wegen psychischer Probleme."

Marco Wetzel, Kommunale Unfallversicherung Bayern

Bernd Spengler, Arbeitsrechtler in Würzburg

Bernd Spengler ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Würzburg. Auch Spengler weiß, was es heißt, im Rettungsdienst zu arbeiten. Etliche Jahre war er selbst ehrenamtlich Sanitäter, einige seiner Mitarbeiter sind es heute noch. Er ist der Überzeugung: Die Gesellschaft lässt die Helfer im Regen stehen. Denn kaum einer schafft es, bis zum 65. Lebensjahr durchzuhalten – und dann beginnt häufig der Streit, was die Arbeits- oder Berufsunfähigkeit verursacht hat.

Denn der Antragsteller kann nur schwerlich beweisen, dass er die Probleme während seiner Einsätze im Rettungsdienst erworben hat und nicht sein Beruf oder privates Umfeld schuld sind.

"Das muss in den Augen der Betroffenen wie Hohn klingen, wenn einer sagt, Du wurdest vor fünf Jahren geschieden, das war Dein eigentliches psychisches Problem."

Bernd Spengler, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Würzburg

Im vergangenen Herbst hatte ein Duisburger Gericht die Schadenersatzklage eines Feuerwehrmanns abgewiesen, der psychische Schäden durch den Einsatz bei der Loveparade-Katastrophe reklamiert hatte. Der Richter vertrat die Auffassung: seelische Belastungen sind ein Berufsrisiko. Bernd Spengler hält das Urteil für fatal.

"Das ist das Problem, dass wir davon ausgehen, natürlich ist es der Job, aber das schließt nicht aus, dass die Summe der Erlebnisse dazu führt, dass die Menschen erkranken, dass sie nicht mehr damit klarkommen. Und dann zu sagen: Das ist Dein Job, das ist natürlich was, wo ich sagen muss, da müssen wir umdenken - das ist der falsche Anspruch, den wir als Gesellschaft haben."

Bernd Spengler, Arbeitsrechtler

Stiftungen und der Staat springen in Notlagen ein

Traumatische Einsätze können Helfer aus der Bahn werfen

Private Stiftungen müssen derzeit dort einspringen, wo eigentlich die Gesellschaft helfen sollte. So gibt es die Stiftung „Hilfe für Helfer“ des Deutschen Feuerwehrverbandes, ins Leben gerufen 1998 nach dem Zugunglück von Eschede. Hauptanliegen der Stiftung ist es, die ehrenamtlichen Feuerwehrleute schon in der Ausbildung auf belastende Einsätze vorzubereiten; die psychosozialen Betreuer sollen vor Ort unterstützt werden - und wenn es doch zum Schlimmsten kommt, werden sie und ihre Angehörigen finanziell unterstützt. Auch die  Bergwacht hat seit vier Jahren eine solche Stiftung.

Selbst beim Freistaat Bayern ist die Problematik mittlerweile angekommen. Ohne die Ehrenamtlichen würde vieles nicht mehr funktionieren, dessen ist man sich im Innenministerium sehr wohl bewusst.

"Es ist manchmal problematisch, wenn zwischen einem Einsatz und einem Schaden mehrere Monate vergehen und es nicht lückenlos dokumentiert ist. Und dann fängt es an, schwierig zu werden. Für diese Fälle springt der Staat ein und gewährt Unterstützungspauschalen, um eine gewisse Not abzufangen."

Stefan Frey, bayerisches Innenministerium

Für Kritiker ist der Einsatz der Staatsregierung nicht viel mehr als ein "Tropfen auf den heißen Stein".

"Wenn man mal sieht, wie hoch die Kosten für eine Person sind, die jetzt in die Arbeitsunfähigkeit gerät und bis zum Erreichen der Regelaltersrente ist es natürlich ein hoher Ausfall. Diese Kosten werden dadurch in keinster Weise ersetzt."

Johannes Treutlein, Arbeitsrechtler Würzburg

Einsatzkräfte geben sich bei Problemen selbst die Schuld

Diakon Andreas Müller-Cyran

Diakon Andreas Müller-Cyran hat früher selbst im Rettungsdienst gearbeitet und kämpft seit über 20 Jahren für den seelischen Schutz von Einsatzkräften. Er leitet heute die katholische Notfallseelsorge im Erzbistum München und Freising. Die Erfahrung zeigt ihm, nicht überall ist das Bewusstsein schon geschärft für die psychischen Belange der Einsatzkräfte. Zweiter Knackpunkt: Die Mitarbeiter selbst müssen lernen, ehrlich zu sich sein.

"Einsatzkräfte sollen stark sein und sind stark, aber schwierig ist die Meinung, dass eine Einsatzkraft selbst schuld ist, wenn sie psychische Probleme bekommt."

Diakon Andreas Müller-Cyran, Notfallseelsorger

Sich zurückziehen, sich selbst die Schuld geben, anderen gegenüber nicht eingestehen, dass man seelisch verletzt wurde bei einem Einsatz - genau das geschieht noch immer in den Köpfen vieler Helfer. Die Folgen können fatal sein.


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Dietmar Weckwerth, Sonntag, 26.Juni 2016, 21:31 Uhr

2. Seelische Hilfe und Unterstützung wird leider nicht angenommen

Meine Frau betreibt seit längerer Zeit eine Praxis, die unter anderem auch speziell für Einsatzkräfte gedacht ist.
Traumatisierte oder Posttraumatisch belasteten Personen wird hier Hilfe geboten.
Viele Rettungsdienstorganisationen wurden von ihr über das Angebot der Praxis per Brief und Mail davon unterrichtet, leider kam von keiner Organisation ein Zeichen von Interesse!
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Jedermann, Sonntag, 26.Juni 2016, 11:39 Uhr

1. Wenn der Einsatz krank macht D-Arzt

Sehr geehrte Frau Bimmer,
beim Arbeitsunfall, dazugehört auch der Wegeunfall zur Arbeit und der Rettungseinsatz, muss der D-Arzt aufgesucht werden.
Die gelisteten D-Ärzte sind Chirurgen, Orthopäden oder Hautärzte, keiner ist Neurologe.
D-Arzt wird mangels Fachkenntnis PTSD nicht diagnostizieren.
Frage: Wo sind sie verletzt worden, wo haben sie denn ein Wunde. Kein Wunde, kein Verletzung, kein Körperschaden, Kein Arbeitsunfall, Keine Leistungen. Was aber auch den Ausbildungsstand zu SGB VII zeigt (Gesundheitsschaden!). Sucht man nach dem Einsatz ein Neurologen auf hat, man zwar die Diagnose F43.0, F43.1. Der Leistungsträger (BG) wird diese dann nach Aktenstudium anzweifeln. Leistung an den Arzt verweigern, dann endet auch die AU. Die gesetzliche Krankenversicherung darf die Leistung beim Arbeitsunfall nicht übernehmen. also werden sie krank in die Arbeit geschickt. Auswirkung auf das Einkommen sind enorm, reichen über Arbeitsplatzverlust bis zum Hartz IV-Fall oder Sozialhilfe.