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Für oder gegen Erdogan? Bedrohte Türken in Deutschland

Nach dem Putschversuch in der Türkei kommt die türkische Gemeinde in Deutschland nicht zur Ruhe. Erdogan-Anhänger bedrohen Erdogan-Kritiker. report München spricht mit betroffenen Deutschtürken. Sie werden angefeindet, müssen sogar untertauchen.

Von: Julia Regis, Ahmet Senyurt

Stand: 30.08.2016

Bereits zwei Tage nach dem Putsch kursieren in Deutschland Listen mit Namen angeblicher Gülen-Anhänger. Die türkische Regierung macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch verantwortlich. Die meisten der auf den Listen genannten Deutschtürken sind Unternehmer. Es wird dazu aufgefordert, sie bei türkischen Stellen anzuzeigen, ihre Geschäfte sollen boykottiert werden. report München bittet die türkische Botschaft in Berlin um eine Stellungnahme - keine Reaktion.

Der Redaktion liegt ein solcher Aufruf vor. Die Menschen, die hier aufgelistet sind, können sich kaum erklären, warum ausgerechnet sie auf dieser Liste auftauchen. Ein Unternehmer erzählt, dass bloß seine Kinder auf eine Gülen-nahe Schule gehen. Andere vermuten, dass vielleicht Konkurrenten sie auf die Liste gesetzt haben könnten. Die meisten wollen unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit. Sie haben Angst. Ein Unternehmer aber ist bereit mit uns zu reden, jedoch nur anonym.

Hasan K. (Name von der Redaktion geändert) ist sich sicher, dass ihn ein Bekannter, vielleicht sogar jemand aus der eigenen Familie auf die Liste gesetzt hat. Seitdem hat er Kunden verloren, wird von langjährigen Freunden und sogar Familienangehörigen geschnitten.

"Man fühlt sich ungerecht behandelt, weil ich damit ja überhaupt nichts zu tun habe. Es sind auch Familienangehörige von denen man schlecht behandelt wird, meine Eltern zum Beispiel, meine Geschwister - das tut sehr weh."

Hasan K.

Hasan K. hat Angst, dass auf Anfeindungen auch körperliche Gewalt folgen könnte. Gerade in der Zeit kurz nach dem Putschversuch war seine Angst besonders groß, erzählt er.

"Ich fahre gerne, wenn schönes Wetter ist, mit offenem Schiebedach Auto. Aber da habe ich mir gesagt, ich mache alles zu, auch beim Fahren. Bevor ich ins Auto eingestiegen bin, habe ich immer drei, viermal so links und rechts geschaut, ob da vielleicht jemand ist, ob mich vielleicht jemand beobachtet. Also ich habe mich schon bedroht gefühlt."

Hasan K.

Und diese Angst scheint nicht unbegründet. report München trifft den ARD-Journalist Kamil Taylan. Er versteckt sich zurzeit an einem unbekannten Ort. Eigentlich sind Drohungen für ihn nichts Neues. Er berichtet seit Jahren kritisch über die Türkei und die türkische Gemeinschaft in Deutschland. Nach dem Putschversuch veröffentlicht er über seine Facebook-Seite „Türkei unzensiert“ Nachrichten aus der Türkei. Das alleine reicht aus, seitdem haben die Drohungen eine völlig neue Qualität.

"Das ist so eine Stimmung, die sich stündlich, täglich steigert und dann kommen die Schimpftiraden. Ich weiß es nicht, mit wem meine verstorbene Mutter alles im Bett war und die mich erzeugt haben. Von Armenierbrut bis Judensau – alles Mögliche. Und dann kommen die gezielten Drohungen: Wir wissen, wo du wohnst, du wohnst nur 80 Kilometer von mir entfernt."

Kamil Taylan

Der SPD-Abgeordnete Erol Özkaraca aus Berlin geht noch weiter: Anhänger solcher Diffamierungen seien sogar Mitglieder in deutschen Parteien.

"Wer für Erdogan und die AKP eintritt, kann kein Sozialdemokrat sein. Ich meine, das ist doch so klar wie Kloßbrühe und dennoch haben wir hunderte von Mitgliedern, die in diesen Organisationsstrukturen tätig sind. Die Interessen der Türkei, die muss die türkische Regierung vertreten aber nicht jeder, der hier politisch aktiv ist für irgendeine türkische Richtung, so viele Botschafter verträgt keine Gesellschaft."

Erol Özkaraca, SPD

Für oder gegen Erdogan. Misstrauen, Drohungen, Angst. Das scheint momentan das Stimmungsbild der türkischstämmigen Gesellschaft in Deutschland zu sein.


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Thomas, Mittwoch, 31.August 2016, 12:58 Uhr

13. Aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart.

Die neueren Berichte und auch die heutigen technischen Möglichkeiten, zusammen mit türkischstämmigen Mitbürger*innen die nicht nur sprachlich in Deutschland integriert sind, wird ein Bild vervollständigt, dass sich aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart entwickelt hat.

Die gleichen Ängste und Bedrohungen gab es in den 1980er Jahren nach dem letzten erfolgreichen Militärputsch in der Türkei, während der PKK Terrorwellen in den 1990er Jahren und jetzt durch einen immer unverschämter werdenden Nationalismus, der von Erdogan ausdrücklich gewünscht, gefördert und nun auch gefordert wird.

Was wir als Deutsche mehr weniger wenn überhaupt in den früheren Jahrzehnten bemerk haben, tritt jetzt offener und für alle mehr wahrnehmbar in unserer Gesellschaft zu Tage. Die Zeiten des ignorieren solcher Fehlentwicklungen schein für uns wohl auch vorbei. Wer würde seine Türkischen Nachbarn nach deren politischer Gesinnung fragen ohne dabei eine Peinlichkeit zu spüren? Ich würde das nicht tun.

Truderinger, Mittwoch, 31.August 2016, 10:24 Uhr

12. Nichts Neues!

Konflikte innerhalb bestimmter Migrantengruppen gab es schon immer. Der Unterschied liegt nur darin, dass sich der Besorgtbürger in seiner abstrusen These vom "Glaubenskrieg auf deutschem Boden" bestätigt sieht. Den bedrohten Menschen muss Mut gemacht werden, jede Straftat durch Erdogan-Schergen zur Anzeige zu bringen und diese müssen dann konsequent verfolgt werden.

  • Antwort von Erich, Mittwoch, 31.August, 12:24 Uhr

    @Trudl,

    Ihr Vorschlag ist praktisch......nix ändern. danke! Abgelehnt!

Hinterfrager, Mittwoch, 31.August 2016, 08:44 Uhr

11. Türken

Es ist ABSOLUT undenkbar zu akzeptieren, daß Türken ihre politischen Auseinandersetzungen hierzulande austragen. Und einmal mehr ein Beweis, daß sie sich nicht integriert haben oder dieses überhaupt wollen. Was bekommen Denunzianten eigentlich für ihren Verrat am "Landsmann", denn anders ist es nicht zu erklären. Solche fragwürdigen Charaktere haben hier nichts zu suchen und sind nur zu verachten, Wir brauchen kein neues 3tes Reich mehr und schon garnicht unter türkischer Federführung.

  • Antwort von Truderinger, Mittwoch, 31.August, 10:26 Uhr

    Wieder einmal die üblichen Pauschalisierungen. Ich kenne genügend vollständig integrierte Türken, ebenso wie ich vollständig integrierte Ostdeutsche kenne. Und dann gibt es leider auf beiden Seiten die jeweiligen Minderheiten, die brüllend hinter einer Fahne herrennen.

  • Antwort von Bal, Mittwoch, 31.August, 11:59 Uhr

    Vielen Dank Herr bzw Frau Truderinger!

  • Antwort von Thomas, Mittwoch, 31.August, 12:45 Uhr

    @Truderinger: "... ebenso wie ich vollständig integrierte Ostdeutsche kenne."

    Die waren für Sie vor der Wiedervereinigung wohl auch "Ausländer". Ich fass es nicht!

    An wirren Kommentaren sind Sie wirklich nur schwer zu überbieten. Übrigens, es war auch nur eine Minderheit in der (alten) Bundesrepublik welche die Deutschen in der damaligen DDR als "Ausländer" oder die DDR per se als "Ausland" betrachtet hat, ungeachtet der Präambel im GG. Die meisten von denen ich solche Sprüche in der Öffentlichkeit vernommen habe waren Kommunisten und die habe ich nach solchen Meldungen geflissentlich gemieden.

winfried, Mittwoch, 31.August 2016, 08:28 Uhr

10. Mein Kommentar 8 --> Berichtigung

Es soll dort nicht ... DITOB ... sondern ... DITIB ... heißen.

Ali Baba, Mittwoch, 31.August 2016, 00:54 Uhr

9. Bedrohte Türken

Das Ausspionieren und Denunzieren scheint bei diesen edelmütigen Moslems noch besser zu funktionieren als im 3. Reich und in der Ex-DDR. Durch Schaden wird man klug, sollte man meinen. Deshalb muss Deutschland - soweit dieses Treiben auf deutschen Boden stattfindet - umgehend energisch dagegen einschreiten.