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Neonazi-Masterminds Ein Netzwerk von "freien Kameraden"

Neonazis haben sich längst in sogenannten "Freien Kameradschaften" organisiert - ohne Parteiprogramme, die verfassungsfeindliche Ziele beinhalten könnten. Doch auch diese losen Zusammenschlüsse werden von Führungsfiguren dominiert.

Stand: 05.11.2013 | Archiv

Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen: Kurz nach der Wiedervereinigung kam es in Deutschland zu einer Serie von massiven ausländerfeindlichen Übergriffen.

August 1992: Brandanschlag auf Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen

In Mölln in Schleswig-Holstein und im nordrhein-westfälischen Solingen gab es dabei sogar Todesopfer. Die Täter kamen jeweils aus dem rechtsradikalen Milieu. Zwischen 1992 und 1995 wurden daraufhin bundesweit einige Neonazi-Organisationen verboten.

Lose Zusammenschlüsse

Wollte sie nicht von der Bildfläche verschwinden, war die rechte Szene zu einem Strategiewechsel gezwungen - und den vollzog sie auch: Sie etablierten sich seit Mitte der 1990er-Jahre in sogenannten "Freien Kameradschaften": lockere Zusammenschlüsse auf lokaler Ebene - ohne Mitgliedsausweise und ohne Parteiprogramme, die verfassungsfeindliche Ziele beinhalten könnten. Dadurch ist der juristische Zugriff auf diese Organisationen schwieriger geworden. Neben einzelnen lokalen Gruppen organisieren sich Neonazis inzwischen auch in kameradschaftsübergreifenden Netzwerken.

In Bayern ist laut Verfassungsschutz das einflussreichste das "Freie Netz Süd" (FNS) mit 100 bis 150 Anhängern und 20 angeschlossenen lokalen Gruppen wie "Freien Nationalisten Hof", "Widerstand Regensburg-Cham" oder "Kameradschaft München". Besonders stark ist die rechte Szene in Franken und München. Die wichtigsten FNS-Führungsfiguren sind Matthias Fischer und Norman Kempken. Insgesamt tummeln sich nach offiziellen Angaben in Bayern etwa 700 Kameradschafts-Neonazis. "Das ist genau der Bereich, von dem die Gefahr ausgeht", sagt Burkhard Körner, Chef des bayerischen Verfassungsschutzes.

Nach Angaben seiner Behörde sind in der rechten Szene Bayerns etwa 1.000 Personen "gewaltorientiert". Körperverletzungsdelikte sind keine Seltenheit. Zu spüren bekommen das besonders Minderheiten, immer wieder Opfer des rassistischen, antisemitischen und antiislamischen Weltbildes der Neonazis. Daneben machen sich Rechtsradikale seit Jahren verstärkt die Sorgen der Bevölkerung zu Nutze und schlachten sie für vermeintlich sozial orientierte Propaganda aus.

Führungsfiguren und Koordinatoren

Zwei der "Masterminds" der deutschen Neonazi-Szene: Thomas Wulff (links) und Christian Worch

Im Gegensatz zu Parteien organisieren sich die Kameradschaften dezentral. Führungslos sind sie deswegen nicht - jede Gruppierung verfügt über Platzhirsche, die jedoch der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind.

Bundesweit haben Neonazi-"Masterminds" wie Christian Worch oder Thomas Wulff großen Einfluss auf die Kameradschaftsszene. Worch fungierte häufig als Organisator von Veranstaltungen, unter anderem von den inzwischen verbotenen Rudolf-Heß-Gedenkmärschen im oberfränkischen Wunsiedel. Über die diversen Neonazi-Aktionen können die "Kameraden" per Websites oder SMS-Nachrichten bundesweit, aber auch international, einfach und schnell informiert werden.

Prominentester Neonazi Bayerns: Martin Wiese

Verbüßte eine Haftstrafe von sieben Jahren: Martin Wiese

Der wohl bekannteste Neonazi Bayerns ist der FNS-Aktivist Martin Wiese. 1976 in Mecklenburg-Vorpommern geboren, beteiligte er sich 1992 an den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Später zog er nach Bayern und leitete die inzwischen verbotene "Kameradschaft Süd".

Diese Münchner Gruppierung besorgte sich mehr als ein Kilogramm des Sprengstoffs TNT. Doch sie flog auf. Ermittler fanden Unterlagen, dass die Kameradschaft einen - wenn auch nicht konkret ausgearbeiteten - Plan eines Anschlag auf die Grundsteinlegung des neuen Jüdischen Zentrums in München am 9. November 2003 hatte. Wiese wurde der Prozess gemacht, bei dem er zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt wurde.

Bildergalerie

Der Rechtsextremist Philipp Hasselbach bei einer Demonstration | Bild: BR/Jonas Miller zur Bildergalerie Bildergalerie Rechte Köpfe in Bayern

Fahndungserfolge der Polizei wie im vergangenen Jahr in Bamberg legen es ebenso offen wie die Pegida-Demonstrationen: Die rechte Szene in Bayern ist aktiv wie eh und je. Die Führungsfiguren sammeln ihre Anhänger in "Freien Kameradschaften" oder immer neuen rechtsextremen Parteien. [mehr]

Seit August 2010 ist Wiese wieder auf freiem Fuß. Im Juli 2011 gründete er die "Kameradschaft Geisenhausen", die sich dem regionalen neonazistischen Netzwerk "Nationales Bündnis Niederbayern" (NBN) anschloss. Inzwischen ist er wieder "einer der führenden Akteure in der bayerischen Neonazi-Szene", heißt es im Verfassungsschutzbericht. Auch das Münchner Antifaschistische Informations- und Dokumentationsarchiv a.i.d.a. berichtet immer wieder von Wieses Aktivitäten in Bayern. Durch diese geriet er auch wieder ins Visier der Ermittler. So wurde er im September 2013 vom Landgericht Würzburg unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer 15-monatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Der Richterspruch ist aber noch nicht rechtskräftig.


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