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Von IS bis Rechtsextremist Wieso sich Menschen radikalisieren

Auf der Suche nach Antworten: Was führt zu einer Radikalisierung? Was fasziniert junge Menschen am Islamischen Staat oder auch rechtsextremen Gruppen? Welcher Propaganda gehen sie auf den Leim? Eine Spurensuche.

Von: Janina Lückoff

Stand: 27.11.2015 | Archiv

Symbolbild: Militante Dschihad-Mitglieder | Bild: picture-alliance/dpa

Die Geschichte hinter dem Bild:

Die lachenden Gesichter des Terrors

Wer sind die jungen Männer auf dem Foto? Sie tauchen in einem Propagandavideo des sogenannten Islamischen Staats (IS) auf. Zumindest ein Schicksal ist dem Fachblog Erasmus Monitor bekannt. Der Zweite von links ist der Hamburger und Deutsch-Brite Matthew B.. Mit einer Gruppe von Dschihadisten ist er dem Fachblog zufolge 2014 nach Syrien ausgereist, hat unter anderem in Aleppo und Deir Ezzor gekämpft. 2013 habe er sich bereits bei der umstrittenen Koranverteilungsaktion "Lies!" beteiligt - wohl sein Einstieg in die Szene.

"Wie funktioniert in einer Gesellschaft Solidarität? Das ist eine der Kernfragen, wenn es darum geht zu erklären, warum sich ein Mensch radikalisiert", schreibt Reporterin Janina Lückoff in folgendem Beitrag:

Jeder Mensch sucht eine Gemeinschaft, der er angehören kann, quasi eine Gemeinschaft der Gleichen, die zusammenhält, die miteinander teilt. Das sei so beim sogenannten Islamischen Staat genauso wie bei anderen radikalen Bewegungen und Ideologien, sagt Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin.

"Wenn sie das Gefühl haben, ich gehöre nicht dazu, dann kann die Identifikation mit anderen Menschen noch wichtiger werden, die sich auch so fühlen. Über Kollektiv kann man sein Selbstbewusstsein wieder steigern."

Andreas Heinz

Ideologie beeinflusst die Realität

Psychiater und Psychologen sagen, das individuelle Handeln werde geprägt von der ideologischen Grundhaltung – aber nicht nur. Auch Staaten und Völkergemeinschaften basieren auf Ideologien, sagt Michael Linden. Der Psychiater und Psychologe leitet die Forschungsgruppe "Psychosomatische Rehabilitation" an der Berliner Charité

"Es gibt ein wunderbares Beispiel aus dem Kleinwalsertal. Da leben vielleicht 5.000 Leute und sie behaupten, sie seien Österreicher, obwohl es gar keinen Ausgang nach Österreich gibt. Ideologie ist nicht dazu da, um sich von der Realität beeinflussen zu lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ideologie beeinflusst die Realität."

Die  Michael Linden, Psychiater und Psychologe

Angst vor dem Volkstod

Fabian Wichmann vertritt die Organisation "Exit Deutschland", die seit ihrer Gründung vor 15 Jahren 600 Menschen bei ihrem Ausstieg aus der rechtsextremen Szene geholfen hat.

Für ihn geht es um mehr als persönliche Verbitterung und ideologische Prägung. Seiner Ansicht nach spielen auch soziale, psychologische, gesellschaftliche und politische Aspekte eine Rolle. Kommt dann noch, wie er sagt, ein "universelles Versprechen" dazu, dass all die gesellschaftlichen, persönlichen oder familiären Probleme gelöst werden, dann kann dies zu einer Radikalisierung führen. Genau das geschieht laut Wichmann mit immer mehr Menschen - auch aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft, quasi am Küchentisch.

"Wir sehen, dass Leute, die sich zuerst ein bisschen kritisch mit der Flüchtlingskrise beschäftigen, dass die zusehends in Situationen geraten, wo sie sich zurückgesetzt sehen, wo sie Angst bekommen, wo sie schlimmstenfalls den Volkstod als Bild entwickeln für sich."

Fabian Wichmann, Exit Deutschland

Geschürt wird das dann auch durch gezielte eigene, aber auch von außen gesteuerte Wahrnehmung. Wer zum Beispiel bei Facebook einen Pegida-Artikel "geliked", also für gut befunden hat, dem werden künftig weitere Vorschläge für Pegida-Artikel unterbreitet. Dadurch spitzt sich die eigene Sichtweise zu, auf eine vermeintlich dramatische und feindliche Umwelt. Das kann laut Wichmann zu der Situation führen, dass man sagt, Selbstjustiz sei die einzige Lösung.

Verschiedene Faktoren sind die Ursache

Der frühere Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, beschreibt, warum zum Beispiel vor allem dort Flüchtlingsheime angegriffen werden, wo es gemessen an der Bevölkerungszahl eher wenige Ausländer gibt: "Nicht die reale Erfahrung eines Konflikts sondern die Imagination eines Konflikts, der darin besteht, dass man selber annimmt, man werde zusätzlich von Fremden an den Rand gedrückt, führt dazu, dass man die gar nicht anwesenden Fremden oder die nur in kleiner Zahl anwesenden Fremden zu Feinden erklärt." Es lässt sich also festhalten: Radikalisierung ist nicht, wie manche annehmen, eine psychiatrische Erkrankung.

Es besteht vielmehr eine Gemengenlage zahlreicher Faktoren, die zur Radikalisierung eines Menschen beitragen, und die, wie Fabian Wichmann von Exit Deutschland zusammenfasst, nicht für sich betrachtet werden können. Entsprechend könne man auch nicht nur einen Faktor herauspicken und dafür eine Lösung entwickeln, so Wichmann.


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