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Ende einer Wahlschlacht Österreich wählt - Europa wartet

Ein FPÖ-Mann gegen einen Ex-Grünen: Das Ergebnis des ersten Wahlgangs im April war die erste große Polit-Überraschung des Jahres 2016. Am Sonntag, knapp acht Monate später, fällt endlich die Entscheidung. Die Kandidaten stehen sich feindselig gegenüber.

Von: Michael Kubitza, Sylvaine von Liebe (Galerie)

Stand: 03.12.2016

Alexander Van der Bellen nach seinem Wahlsieg am 4. Dezmber 2016. | Bild: picture-alliance/dpa

Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite der Tiroler Alexander Van der Bellen (72), ein Flüchtlingskind - seine Vorfahren flohen vor den russischen Kommunisten über Estland nach Wien. Seit 1994 sitzt der Wirtschaftswissenschaftler für die Grünen im Nationalrat und sieht sich als "Verfechter der Menschenrechte und der Menschenpflichten". Sein Kontrahent: der aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammende Steiermärker Norbert Gerwald Hofer (45), ehemaliger Küchen-Einrichtungsberater und gelernter Flugzeugtechniker. Im FPÖ-Programm setzte der Burschenschafter und bekennende Waffenträger 2011 klar rechte Akzente.

Die Kandidaten bei einem TV-Duell im Mai

Schon zu Beginn des Wahlkampfs war die Polarisierung deutlich. Van der Bellen behielt sich vor, als Bundespräsident einen FPÖ-Mann nicht als Kanzler anzugeloben, Van der Bellen kündigte an, eine Regierung, die "Österreich schade" zu entlassen. Man werde sich noch wundern, was möglich sei, wenn er in der Hofburg sitze. Ein unmoderiertes TV-Duell brachte vor allem tiefe Abneigung zutage.

Ein Wahlkampf zäh wie Klebstoff

Inzwischen ist viel trübes Wasser die Donau hinabgeflossen. Im ersten Wahlgang am 24. April erreichte Hofer vor Van der Bellen die Stichwahl, die dieser am 22. Mai mit hauchdünnem Vorsprung von 0,17 Prozent für sich entschied. Aus einer Wahlanfechtung der FPÖ wegen Schlampereien bei der Auszählung - die das Verfassungsgericht auf beiden Seiten konstatierte - resultiert die zunächst auf Oktober terminierte Wiederholung der Stichwahl, die nach weiteren Pannen wegen mangelhaft zugeklebter Briefwahlumschläge nun endlich stattfinden kann - 350 Tage nach Beginn des Wahlkampfs.

Seither haben die Briten ihren Austritt aus der EU beschlossen, die USA Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Und am Sonntag der (voraussichtlich) finalen Entscheidung in Österreich stimmt auch Italien ab - über ein Verfassungsreferendum, das über die Zukunft der Regierung entscheiden kann. In Österreich stimmen 17.065 Wähler mehr ab als im April: Erstwähler, die seither 16 geworden sind ebenso wie Auslandsösterreicher, von denen sich jetzt deutlich mehr ins Wahlverzeichnis eintragen haben. Die erkennbar erschöpften Duellanten bevorzugen auch im Schlusspurt eher Eispickel als Florett - obwohl sich ihre inhaltlichen Aussagen angenähert haben.

Van der Bellen vs. Hofer: Die wichtigsten Positionen

  • Außenpolitik: Bei Donald Trumps Wahlsieg feierte eine FPÖ-Delegation in New York mit, Parteichef Heinz-Christian Strache twitterte, das „verfilzte politische Establishment“ sei nun abgewählt worden. FPÖ-Kandidat Hofer gibt sich diplomatischer, will mit aber mit Trump eng zusammenarbeiten - ebenso mit Putin. Van der Bellen setzt vor allem auf die EU-Partner.
  • Wie weiter mit Europa? Alexander van der Bellen ist überzeugter Europäer, wünscht sich aber eine sozialere EU. Auch Hofer lehnt einen "Öxit" - den Austritt Österreichs aus der EU – spätestens seit dem Brexit ab. Allerdings: Sollte die Türkei EU-Mitglied werden oder Brüssel versuchen, die Rechte der Nationalstaaten zu beschneiden, fordert Hofer ein Referendum.
  • Mehr direkte Demokratie? Beide Kandidaten fordern mehr Volksabstimmungen. Van der Bellen schließt Themenbereiche, die Grund- und Menschenrechte betreffen, aus. Hofer geht weiter: Er würde auch eine Abstimmung über die Todesstrafe zulassen - er vertraue auf das Gespür der Menschen.
  • TTIP: Beide Kandidaten lehnen das EU-Handesabkommen mit den USA ab. Das ist relevant, weil der österreichische Präsident TTIP unterzeichnen müsste.
  • Verteidigungspolitik: Der österreichische Bundespräsident ist zugleich Oberbefehlshaber des Bundesheers. Hofer fordert deutlich mehr Geld für die Verteidigung. Van der Bellen denkt über die langfristige Einführung einer Berufsarmee nach.
  • Flüchtlingspolitik: Van der Bellen stimmt Merkels Satz "Wir schaffen das" im Kern zu. Er plädiert entschieden dafür, den Brenner offenzuhalten. Hofer sieht in Merkels Politik einen "kapitalen Fehler". Er fordert die konsequente Abschiebung illegaler Flüchtlinge und Sach- statt Geldleistungen.
  • Religion: Hofer ist 2009 von der katholischen zur evangelischen Kirche übergetreten und wirbt jetzt mit dem Slogan "So wahr mir Gott helfe." Van der Bellen erklärte im letzten TV-Duell, ihm sei "leider als Jugendlicher der Glaube an den einen Gott abhandengekommen" und betont die religiöse Neutralität des Amtes.

Halbwahrheiten, Rhetorik-Tricks und Ehrabschneidung

"Sie lügen!" - ein Satz, den sich den beide Kandidaten auch im letzten TV-Duell am Donnerstag wieder um die Ohren schlugen. Van der Bellen, der mit dem ins Persönliche zielenden Debattenstil weniger zurechtkam als Hofer, hatte diesem schon bei anderer Gelegenheit vorgeworfen, manipulative Rhetorik-Tricks zu verwenden und dabei auf Erfahrungen des Konkurrenten in NLP (Neurolinguistisches Programmieren) verwiesen. Der FPÖ-Politiker griff den Grünen dafür an, dass zu dessen Unterstützern auch Kommunisten zählen; zugleich wurden unbelegte Behauptungen gestreut, Van der Bellen habe als Spion gearbeitet, sein Vater sei Nazi gewesen. Der sichtlich empörte Van der Bellen hielt ein Foto seines Vaters in die Kamera, was Hofer als "schweres Foul" bezeichnete - um postwendend aus einem Stapel gegen ihn gerichteter Hass-Postings aus den Sozialen Medien vorzulesen.

"NH: 'Sie waren nie ein Grüner, sie waren nie Freimaurer, sie waren nie Kommunist, ich weiß schon. Sie waren gar nix. Sie waren gar nix.'
AvdB: 'Sie lügen schon wieder. Ich war Kommunist? Soll ich Ihnen mein Parteibuch zeigen?'
NH: 'Die KPÖ unterstützt Van der Bellen.' (...)
AvdB: 'Dann bin ich gleichzeitig ein Schwarzer, weil Vizekanzler Mitterlehner [von der ÖVP, die Red.] sich für mich ausgesprochen hat.'"

Passage aus dem ORF-Fernsehduell vom 1. Dezember 2016  

Die politische Stimmung ist in Österreich ähnlich gespalten wie in den USA. Wer auch immer am Sonntag der neunte Präsident der Republik wird, wird gegen ungewohnt heftige Ablehnung ankämpfen müssen.


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Kommentieren

hannes, Sonntag, 04.Dezember 2016, 02:41 Uhr

13. ich finde es gar nicht schlimm, dass mal

die Populisten und Maulhelden in die Verantwortung kommen. Dann sollen sie es doch mal zeigen, was sie können.
Politik ist immer ein Ringen um den bestmöglichen Kompromiss und nicht das finden der besten Lösung für eine Gruppe.
Das wird man schnell erkennen und es wird die Widerstandskräfte in der Bevölkerung wieder beleben. Wahlbeteiligung und
politisches Engagement werden wachsen und was besseres erzeugen, als wir heute haben. Auch wenn es mir ein Rätsel
ist, wie man diese Witzfigur Hofer wählen kann.

  • Antwort von Jo, Montag, 05.Dezember, 13:36 Uhr

    Gegenfrage Hannes: Was sagen Sie zu jemanden, der behauptet, er könne das Rad neu erfinden?
    Z.B. quadratisch?

    Populisten sind ja gerade das Problem, daß Versprechungen riesen groß sind, aber das Machbare sehr viel kleiner ist. Kann man sich diese Zeitverschwendung nicht ersparen?
    Konstruktiver wäre es, daß sich das Volk mehr engagiert, demonstriert und konkrete Pläne oder Politikstile billigt oder mißbilligt.
    Ceta und TTIP sind ein gutes Beispiel für manchen Phlegmatismus in der Bevölkerung. Grundsätzlich finde ich die EU sehr gut. Nur einige Fehlkonstrukte müssten bereinigt werden.

Sonnenblume, Samstag, 03.Dezember 2016, 23:54 Uhr

12. Nobert Hofer als Präsident

Lieber Herr Nobert Hofer,

ich wünsch ihnen für den 04.12.16 alles Gute und viel Glück und hoffe, sie als zukünftigen Präsident von Österreich beglückwünschen zu können. Viele Grüße BAYERN.

  • Antwort von Montafonerin, Sonntag, 04.Dezember, 13:27 Uhr

    Nach Jörg Haider wieder ein würdiger Kandidat !

gschaftlhuber, Samstag, 03.Dezember 2016, 23:11 Uhr

11. De Musi spielt in Rom

Es wird so getan, dass am 04. Dez bei der Wahl Hofers zum BP die EU unter geht.
Meiner Einschätzung nach ist das Referendum in Italien wesentlich bedeutender.

Charlie, Samstag, 03.Dezember 2016, 22:58 Uhr

10. Gut so

Wer Merkel hat, muss sich über Hofer nicht aufregen.

Felix Austria, Samstag, 03.Dezember 2016, 22:31 Uhr

9. Hofer für Österreich: Ja sehr gerne!

Ich würde für Hofer votieren, nicht, weil ich ihn so als herausragende Präsidentengestalt sehe, sondern weil wir endlich mehr Politiker in Europa brauchen, die ein kritisches Korrektiv zu diesem EU-Bürokratiemonster und Zentralstaat abgeben. Dort herrscht in meinen Augen zuviel Verantwortungslosigkeit ggü.den europäischen Bürgern vor, die Politik ist zu stark lobbygesteuert, intransparent usw.
VanderBellen wäre auch wieder ein weiterer Politiker, der dieses "System" wieder nur willfährig bedienen würde...
Eigentlich eine einfache Entscheidung, oder wer will ernsthaft, dass Politiker sich noch leichter vor der Verantwortung vorm Wahlvolk drücken können, der hat mit diesem anonymen EU-System natürlich keine Probleme...Politische Verantwortung lässt sich leichter in kleineren Verwaltungseinheiten aka europäischen Staaten bewerkstelligen, als in einer Riesen-Administration wie der EU.