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Bayern singt Einstimmiges und mehrstimmiges aus dem Freistaat

Vom Himmel hoch – ja daher kommt sie mit Sicherheit, die Musik. Und das schönste, wichtigste und perfekteste Instrument der Welt, das ist mit Sicherheit die menschliche Stimme. Ein Instrument über das jeder verfügt – theoretisch. In der Praxis, naja, kommt Gesang bei Privatpersonen – außerhalb des Badezimmers – eher selten vor. Das einfache alltägliche Singen es scheint zu verschwinden. Oder wo singen Sie noch?

Von: Gerald Huber

Stand: 28.11.2015 | Archiv

Die Lust am Chorgesang, genauso wie viele unserer Advents- und Weihnachtslieder gehen auf das Mittelalter zurück. Das, wenn man so will, älteste bayerische Weihnachtslied, eine lateinische Weihnachtssequenz, stammt aus dem Regensburger Kloster St. Emmeram, wo es im 8. Jahrhundert entstanden ist.

Chorgesang aus dem 8. Jahrhundert

Dank wollen wir jetzt alle sagen
dem Herren Gott,
der durch seine Geburt
uns befreit hat
aus der Gewalt des Teufels.
Ihm müssen wir singen
mit den Engeln immer:
Ehre in der Höhe.

Solche Sequenzen wurden – schuld war die Sangeslust der Leute – mit der Zeit immer breiter ausgestaltet. Im Spätmittelalter dann hat man diese Sätze, im Wechselgesang gesungen, quasi in Dialogform – man hat sie regelrecht inszeniert.

Ein

Gleichzeitig hat man begonnen, zweite Stimmen zu den Melodien dazuzusingen: Der Anfang nicht nur des Chorgesangs, sondern der Mehrstimmigkeit überhaupt. Bald auch hat man komische Elemente daruntergemischt, was zwar immer wieder für Kritik sorgte, die Attraktivität für die Gläubigen aber ungemein erhöht hat: Das geistliche Spiel war geboren, das „theatrum sacrum“, aus dem sich später unser heutiges Theater entwickelte. Diese Weihnachtsspiele eroberten sich immer breiteren Raum in der Liturgie zum Beispiel der Christmette, die dann oft stundenlang, die ganze Weihnachts-Nacht lang gedauert hat. Da haben die Hirten vielstimmig geschnarcht, sind vom Chor der Engel aufgeweckt worden oder der heilige Josef hat einen Brei für das neugeborene Christkind angerührt und sich dabei die Finger verbrannt. Es wurde tatsächlich nicht selten eine rechte Metten veranstaltet, wie man heute noch sagt.

Die Geburt des Kirchenlieds

Aus dem alten Wechselgesang zwischen Chor und Volk ist übrigens auch das deutsche Kirchenlied geboren worden: Die Schola hat die alten Hymnen lateinisch vorgesungen, das Volk ist dann auf Deutsch eingefallen.

In der katholischen Kirche gibt es ein neues Gesangbuch

Deswegen haben die allerersten unserer deutschen Weihnachtslieder sowohl einen lateinischen als auch einen deutschen Text. Manche wechseln sogar, wie das bekannte „in dulci iubilo – nun singet und seid froh“ mitten im Lied lateinisch-deutsch ab. Silbenfolgen wie „eia, eia“ oder „susani, susani“ verraten direkt, dass sie die entsprechenden Lieder aus so einem Weihnachtsspiel kommen. Zu Eia und Susani hat man das neugeborene Kind gewiegt und geherzt. Erst die Aufklärer am Ende des 18. Jahrhunderts machten dem bunten Sangestreiben in den Gottesdiensten ein Ende. Das „Münchner Intelligenzblatt“ vom 22. Februar 1783 hat sich zum Beispiel darüber aufgeregt,

"welch ein unverständiges und tolles Gezeug man erst in den verfloßnen Weynachtferien 1782 in der Stadt Neunburg in der obern Pfalz, Bißthums Regenspurg mit Geigen, Horn, Dudelsack ec. in der Kirche unterm Gottesdienste abgesungen habe. Man sollte nicht glauben, dass das hohe Ordinariat oder ein Dechant, Pfarrer oder eine weltliche Kirchenpoliceyobrigkeit so ein elendes Gewäsche länger gedulden könne."

Auszug aus dem Münchner Inteligenzblatt von 1783

Eines dieser Lieder, über die sich die Münchner Intelligenzler damals so großmächtig aufregten, fing, in schönstem Oberpfälzer Dialekt, so an:

Hui! sama lusti Schaafhirten allsammt,
nir melankolisch nur fröhli beynannt.
I waiß a gute gar seltsame Post,
de enk koin Holla net kost.
Manna geht’s, es leit ja nimma voweilln,
müessen ge geschwindi auf Betlhem eyln.
Ist in en Stall a klaiß Kindl gebohrn,
und grouß mächtiga Kini drauß worn.“

Kirchenlieder entstanden in dieser Zeit überall: Zahme Texte, zahme Melodien – Lieder, die nicht zum Mitspielen verleitet haben. Darunter ist auch das bis heute berühmteste aller Weihnachtslieder. Stille Nacht Heilige Nacht. Und das vorübergehende Verbot der Weihnachtsspiele hat noch etwas ganz Neues hervorgebracht:

Adventssingen

Aus voller Kehle und voller Vorfreude

Das Adventssingen. In aufgeklärt-konzertanter Form haben damit die Leute vor rund 200 Jahren an ihre alten weihnachtlich-musikalischen Traditionen angeknüpft. Schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts ist das Singen von Laien zur Advents- und Weihnachtszeit belegt. Von Grassau im Chiemgau stammt schließlich der älteste Beleg, dass die Leute dort außerhalb des Gottesdienstes aber mit Erlaubnis des Pfarrers in der Kirche zusammen gekommen sind, um gemeinsam Lieder zu singen und zu musizieren. Großmächtig und prächtig sind die Adventssingen mittlerweile in den Städten Bayerns geworden. Einfacher und bescheidener aber nicht minder qualitätvoll sind sie draußen in den Dörfern. Dort ist sie noch erhalten die altbayerische Freude an Musik und Spiel, die weit hinabführt in die Zeit.

Lagerfeuer- und Flatratesingen

Heutzutage scheint alles schwierig zu sein – sogar das neben dem Reden das Leichteste von der Welt, das Singen. Wird bei uns – typisch deutsch – bloß noch organisiert gesungen; mit professionellem Anspruch und Qualitätsgarantie? Dabei ist grad das simple Miteinandersingen in der Familie, im Auto, beim Wandern, im Wirtshaus, die Grundlage jeder Musik.

Lagerfeuersingen

Lagerfeuersingen – eine lobenswerte Initiative der Musikschule Fürth. Aber ist Ihnen aufgefallen, dass da kein einziges deutschsprachiges Lied dabei war? Für mich war es ein interessantes Erlebnis auf einer Dienstreise: Die Reisegruppe bestand zur Hälfte aus Briten und zur andern Hälfte aus Deutschen. Am Abend gab es ein geselliges Beisammensein. Irgendwann hat einer ein schottisches Volkslied zu schmettern angefangen, ein Engländer hat nachgezogen, dann wieder die Schotten, und soweiter. Die Bayern, Württemberger oder Sachsen haben manchmal mitgesungen bei bekannten Liedern, ansonsten brav applaudiert. Schließlich hat einer der Briten gefragt, ob nicht auch einmal einer von uns was deutsches anstimmen will. Getraut aber hat sich keiner. Woran liegt das? Sind wir bloß nicht mehr in Übung? Oder gibt’s tiefere Gründe? Es ist ja nicht so, als obs bei uns keine schönen Lieder gäb …

Auf dem Rückzug – das Singen im Wirtshaus

Singen verbindet – leider aber gibt’s kaum mehr Gelegenheiten dazu. Neben der Kirche war das früher einmal das Wirtshaus, wo man gemeinsam Volkslieder geschmettert hat. Mit dem Aufkommen der Musikbox, der Konservenmusik überhaupt, ist diese selbstverständliche Gelegenheit, zu denen man dem Singen gar nicht auskommen konnte, leider weggefallen.

Musik und Gsang im Wirtshaus - Bild aus der BR-Serie

In der Kulturrevolution der 68 hat man dazu noch das Volkslied und die Liedertafeln und Gesangsvereine, die dieses Liedgut gepflegt hatten, als ewiggestrig diffamiert. Was zur Folge hatte, dass diesen Vereinen ganze Generationen an Nachwuchs weggebrochen sind. Abgesehen davon allerdings blüht organisierter Chorgesang nach wie vor. Laienchöre mit oft halbprofessionellem Anspruch oder Projektchöre haben auch wieder Zulauf. Grad jetzt in der Adventszeit hat diese Art des Chorgesangs wieder Hochkonjunktur: Kaum ein Stadt, in der in diesen Tagen der örtliche Chor auf Bachs Weihnachtsoratorium verzichtet. Und es wächst aus ganz allgemein wieder das Bewusstsein dafür, was für eine Wohltat das Singen sein kann.

Wenn Sie jetzt auf den Geschmack gekommen sind, vielleicht schon einmal im Chor gesungen haben oder besser: wenn sie aktuell im Chor singen und es einmal mit professionellen Sängern und unter professioneller Leitung probieren möchten: Am 26. Juni 2016 können Sie das: Da lädt der Chor des Bayerischen Rundfunks zum großen cOHRwürmer-Mitsing-Event in den Münchner Circus-Krone-Bau ein! Bis zu 1.500 Sängerinnen und Sänger ab 12 Jahren können mittun und gemeinsam mit den Profis des Chores des Bayerischen Rundfunks, des Münchner Rundfunkorchesters und unter der künstlerischen Leitung von Howard Arman musizieren. Wie das funktioniert, was gesungen wird und viel weiteres Wissenswertes finden sie hier.

Ein gerader Weg führt vom Wolfsgeheul zum Hundsgesang

Noch einmal: Singen ist gesund. Schon nach 30 Minuten steigt im Gehirn der Anteil von Glückshormonen, Stresshormone werden abgebaut. Freilich: Man muss sich aufraffen dazu. Für Leute, die ganz auf Konsum gedrillt sind, ist das nicht immer ganz einfach. Außerdem muss man sich trauen. Da hat selbstverständlich jeder so seine schlechten Erfahrungen.


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