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Spurensuche in Neuperlach Gangster, mutmaßlicher Dschihadist, jetzt verurteilt

Er nahm Drogen und fiel wegen Körperverletzung auf: Samir A. aus München-Neuperlach war ein Gangster. Dann wollte er wohl Dschihadist in Syrien werden. Wie ist es dazu gekommen? Eine Spurensuche in seinem Viertel.

Von: Joseph Röhmel

Stand: 20.05.2016 | Archiv

Dschihadist; OMG | Bild: BR

Das, was der Richter sagt, scheint Samir A. nicht sonderlich zu interessieren. Kahl rasiert und mit Vollbart sitzt der 27-Jährige aus München-Neuperlach auf der Anklagebank vor dem Münchner Landgericht. Immer wieder schaut er zu seinen alten Weggefährten, lacht, wenn Zeugen aussagen. Zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren ist er am Ende des Prozesses verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 27-Jährige in ein Terrorcamp nach Syrien ausreisen wollte. Die Verteidigung will das so nicht hinnehmen und kündigte an, Revision einzulegen.

Offenbar nicht großartig gewandelt

Auszüge aus Facebook

Die Polizei hat seine Chats überwacht. Der Richter liest Zitate vor. Samir wolle nach Syrien, habe Angst, dass ihn die Polizei erwischen könnte. Am Ende passiert das dann auch.

Er wird am Münchner Flughafen festgenommen. Samir, so der Vorwurf, wollte sich in Syrien einer Terrormiliz anschließen. Seit Oktober 2015 sitzt er deshalb in Untersuchungshaft – eine lange Zeit, in der er sich ganz offensichtlich nicht großartig gewandelt hat.

Bekannter: "Irgendwann geht man auseinander"

Ist Samir ein Dschihadist, ein harter Kämpfer? Ist Samir ein Opfer? Oder ist er beides? Blick nach Neuperlach: Hier ist der 27-Jährige aufgewachsen – zwischen Hochhäusern und ein paar Grünflächen. Seine Heimat ist nicht irgend ein Teil von Neuperlach. Es ist der "OMG" – der Oskar-Maria-Graf-Ring. An einigen Stellen wurden die Initialen auf Hauswände gesprayt. "Es ist der Name der Straße, in der ich lebe", sagt ein junger Mann, zieht an seiner Zigarette. Er kennt den Angeklagten.  

"So wie man halt die Leute kennt. Man wächst miteinander auf, geht zusammen in den Kindergarten, dann in die Schule. Irgendwann geht man auseinander."

Bekannter von Samir A.

Der Bekannte von Samir hat selbst einen Migrationshintergrund und irgendwie, so scheint es, hat er auch Verständnis für die Radikalisierung. Samir sei nur ein Opfer. "Die richtigen bösen Typen, über die müssen Sie berichten", sagt er.

"Hier im Viertel leben viele Ausländer – zu viele aus unterschiedlichen Nationen. Da bekommt man gar keinen Sinn für Identität. Man fühlt sich verloren. Da kann ich mir schon vorstellen, dass der ein oder andere empfänglich für islamistische Prediger ist."

Bekannter von Samir A.

Wie eine kleine Umfrage am Oskar-Maria-Graf-Ring zeigt, sind alle überrascht von der Nachricht der versuchten Ausreise. "Er hat mir immer die Taschen die Treppe hochgetragen", sagt eine ältere Frau. "Der Samir nach Syrien? Nein, kann ich mir nicht vorstellen. Das ist alles erfunden." Samir also doch nur ein Opfer? Vielleicht sogar ein Opfer der Justiz? Das wäre zu einfach.

Denn es gibt sie, die brutale Seite, die des Machos. Heinz Hoechst, Direktor der Mittelschule Gerhart-Hauptmann-Ring, berichtet davon – ein Mann mit Brille und rauchig klingender Stimme.

Der Vater - offenbar kein gutes Vorbild

Samirs Viertel

Samir besucht diese Schule ab dem Jahr 2001 – mit einem Jahr Unterbrechung. "Er war unfreundlich zu den Lehrern. Vor allem von Frauen hat er sich nichts sagen lassen", sagt Direktor Hoechst. Er mache diese Erfahrung häufiger mit Schülern mit orientalischem Hintergrund. "Eine Frau hat keinen Wert", sagt er. Den Grund sieht der Lehrer ganz klar in der Erziehung – Beispiel Samir. Der Vater, ein Palästinenser und Kampfsportler, ist für seinen Sohn offenbar ein schlechtes Vorbild, hat ihm ganz offensichtlich vieles durchgehen lassen. So ist der Eindruck der Lehrer an Samirs ehemaliger Schule:

"Die Hauptmoral des Vaters war die, dass er gesagt hat, 'Ihr könnt machen, was Ihr wollt – so lange Ihr euch nicht erwischen lasst'. Das ist natürlich eine Einstellung, wo es nicht darum geht, gesetzestreu zu leben oder sozialverträglich."

Heinz Hoechst  

Für Samir ganz offensichtlich eine Freikarte. Er boykottiert den Unterricht. Dann eskaliert die Situation. Im Schuljahr 2003/2004 habe er eine Lehrerin bedroht, gesagt, er bringe eine Waffe mit, berichtet der Direktor. Die Schule habe mit Hausverbot und Schulausschluss reagiert. Der Vater geht daraufhin in die Offensive.

"Der Vater hat teilweise Kollegen beleidigt und bedroht. Ich habe den Vater wegen dieser Bedrohung und Beleidigung angezeigt. Ich musste dann auch als Zeuge vor Gericht aussagen. Diese Denkweise von dem Vater zu spüren, war beeindruckend. Man spürte, dass er mit unserer Moral und unserer Ethik nichts am Hut gehabt hat."

Heinz Hoechst

Nachdem Samir die Schule hinter sich gelassen hat, schlägt er sich durchs Leben. Er beginnt eine Ausbildung zum Maler- und Lackierer, beendet sie aber nicht. Er macht Nebenjobs. Aber so richtig funktioniert das alles nicht. Samir trinkt Alkohol, nimmt Drogen. Er habe Gras geraucht, wird die Mutter später vor Gericht sagen. Die Mutter ist eine zierliche blonde Frau mit tschechischen Wurzeln.

Samir wird auffällig  - wegen Körperverletzung und Raub. Das Münchner Amtsgericht verurteilt ihn zu einer zweijährigen Jugendstrafe - Samir der Gangster vom "OMG". Auf einem Youtube-Kanal, der seinen Namen trägt, finden sich Songs einer Rap-Gruppe aus München. Sie rappt über Drogen, Koks und Alkohol - offensichtlich Samirs Lebensgefühl.

Dann, im Jahr 2011, stirbt der Vater – ein wohl einschneidendes Erlebnis. Samir, der arbeitslose Gesellschaftsverlierer auf der Suche nach sich selbst, findet um das Jahr 2013 herum Halt und Orientierung im Islam. Er besucht den sogenannten Neuperlacher Gebetskreis. Einer der Mitbegründer kümmert sich um junge Menschen wie Samir, gibt ihnen ein neues Lebensgefühl – das Gefühl einer heilen Welt. "Er liebt den Islam", wird seine Mutter später vor Gericht sagen.

"Der geliebte Bruder" in Haft

Die Gruppe mit Prediger Izzuddin Jakupovic, aufgenommen in München.

Samir kommt auch in Berührung mit der ultrakonservativen salafistischen Ideologie. Vielleicht der Knackpunkt. Er wird Salafist – jemand, der den Koran wörtlich nimmt, und ganz strikt nach den islamischen Regeln lebt.

Irgendwann reicht ihm das wohl nicht mehr. Er radikalisiert sich, entfernt sich vom Gebetskreis, findet den Weg in neue Kreise – in das dschihadistische München. Der Salafist auf dem Weg zum Gangster – bloß religiös begründet.   

Es gibt ein Foto. Das zeigt ihn gemeinsam mit anderen jungen Männern aus München. Nach BR-Informationen sind die Männer den Sicherheitsbehörden nicht unbekannt. In der Mitte steht derjenige, dem die jungen Männer zuhören - Izzuddin Jakupovic, der Prediger aus Nordrhein-Westfalen, ist nach München gekommen, um über den Islam zu sprechen.

Jakupovic ist nur eine Randnotiz in Samirs Geschichte. Aber der Prediger ist kein Waisenknabe. In der Vergangenheit hat er Demokratie als "Teufelszeug" gebrandmarkt. Auch ist er bekannt für den Satz:

"Es ist eine Pflicht, die Ungläubigen zu hassen."

Izzuddin Jakupovic

Jakupovic gilt durchaus als jemand, der dem Dschihadisten-Lager nahe steht. Die anderen aus der Münchner Gruppe posten teilweise selbst fragwürdige Dinge, die zumindest von einer Sympathie für Al-Kaida zeugen. Für sie ist Deutschland ein Unrechtsstaat, der Muslime bekämpft und sie in Schauprozesse schickt. Einer aus diesem Kreis, der später vor Gericht als Zeuge aussagen wird, verbreitet kurz nach Samirs Festnahme auf Facebook eine vielsagende Nachricht:

"Unser geliebter Bruder ist (…) inhaftiert worden. Bittet Allah, dass er seine Freilassung beschleunigt und schreibt eurem Bruder."

Facebook-Nachricht eines Freundes

Unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden

Der Weg in den Dschihad

Die Al-Kaida-nahe Al-Nusra-Front in Syrien – dorthin wollte offenbar Samir. A., obwohl das seine Weggefährten und auch seine Mutter vor Gericht vehement abstreiten.

Ermittler haben seine Chats überwacht und seinen Facebook-Account näher angesehen. Dort finden sich durchaus Hinweise, die den Vorwurf stützen. Bereits im Juni 2015 soll er versucht haben, nach Syrien aufzubrechen. Die Einreise in die Türkei wird ihm aber verwehrt. Warum, ist unklar. Jedenfalls kehrt Samir nach München zurück und steht wohl spätestens zu diesem Zeitpunkt unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden.

Im Oktober 2015 will er wieder in die Türkei fliegen und von dort offenbar nach Syrien. Kurz vor seiner Ausreise postet er auf Facebook die eindeutigste Nachricht:  

"Viele sind jene, die beschlossen haben zu leben, um zu sterben. Ich aber habe beschlossen, zu sterben, um zu leben!"

Samir A.  

Die Weggefährten vor Gericht erklären sich solche Zitate damit, dass er sie von islamischen Gelehrten übernommen habe. Aber warum er sie gepostet hat, da sind sie plötzlich ratlos. Er habe eben nicht nach Syrien gewollt, beteuern sie.

Nach ihrer Version wollte Samir eine Koranschule in der Türkei besuchen. Auch habe die Liebe eine große Rolle gespielt. Er habe ein türkisches Mädchen in Deutschland kennen gelernt und wollte es in der Türkei heiraten. Eine schöne Geschichte. Als darüber gesprochen wird, rührt sich der Angeklagte kein bisschen. Er schweigt, starrt in den Gerichtssaal. Er scheint seine Emotionen zu verbergen, der ehemalige Gangster, der offenbar ein richtiger Gotteskrieger werden wollte. Vor seiner versuchten Ausreise musste er aber seinen Koffer packen. Die fürsorgliche Mama hat das für den 27-Jährigen übernommen.


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Francesco, Freitag, 20.Mai 2016, 09:11 Uhr

11. Ganz nüchtern betrachtet....

... passiert in dieser gefährlichen Entwicklung in Deutschland bzw. EU viel zu wenig. Vermutlich will man die Problematik immer noch nicht sehen. Aus meiner Sicht kann man dieses Thema nur in den Griff bekommen, wenn sich alle Länder, Parteien und Interessensvertreter der Gefahr bewusst werden/sind und ein gemeinsames Konzept erarbeiten und konsequent umsetzen. Dazu gehört intensivere Aufklärung und Unterstützung der Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, sinnvolle Gestaltung von Lebensinhalten, intensive Kontrolle von staatsfeindlichen Predigern, offizielle Integrations- und Einwanderungskonzepte/-gesetze, erforderlichenfalls Gesetzesverschärfungen und viele andere sinnvolle, zielführende Maßnahmen. Längst überfällig sind in diesem Zusammenhang die Überarbeitung von Arbeitsmarkt (Ausbau Sozialberufe) und Bildung (einheitliches Konzept). Grundsätzlich gilt für mich: Besondere Situationen benötigen besondere Maßnahmen. Das sinnvoll gemacht, muss in Summe nicht unbedingt teuerer werden.

bunter Rheinländer, Freitag, 20.Mai 2016, 08:48 Uhr

10. Gilt die Religionsfreiheit nicht meh?

Samir lebt in Deutschland und da gilt die Religionsfreiheit.
Warum wird er dann bestraft? Bloß weil er ganz normaler Moslem ist?

Hier muss der Zentralrat der Moslems einschreiten und entsprechende Forderungen sellen.
Die deutsche Justiz ist gar nicht zuständig, wenn sie ncht nach islamischen Recht urteilt und der slam gehört zu Deutschland - ob es Euchpasst oder nicht!

  • Antwort von kleinlaut, Freitag, 20.Mai, 09:23 Uhr

    Aber über der Religionsfreiheit stehen immer noch die deutschen Gesetze und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist nun mal eine Straftat - ob das Ihnen passt oder nicht ... Und das sieht abgesehen davon der Zentralrat der Moslems offensichtlich genauso.

Paul, Freitag, 20.Mai 2016, 08:15 Uhr

9. Schade ...

Schade, dass er es bis Syrien nicht geschafft hat, dann hätte die Welt ein Problem weniger!

  • Antwort von kleinlaut, Freitag, 20.Mai, 09:24 Uhr

    Das Problem ist nur, dass diese Menschen dann wieder zurückkommen ... leider relativ "gut ausgebildet" ....

Marek, Freitag, 20.Mai 2016, 07:55 Uhr

8.

Wer Verständnis für Dschihaddisten (genauso wie für wirklich rechte oder linke Schläger und Chaoten) aufbringt, macht sich an deren Taten mitschuldig. Ist meine ganz persönliche Meinung. Zu der Antwort des Truderingers auf Punkt 4 möchte ich mal nachfragen. Sie stellen mit der AfD eine Partei die durch demokratische Wahlen legitimiert in mehreren Landtagen sitzt auf eine Stufe mit islamistischen Terroristen. Tut mir leid, aber bei solchen Aussagen bleibt mir einfach nur die Spucke weg. Und warum sich die Menschen einer solchen Partei zuwenden? Vielleicht weil sie sich von einer CDU/CSU von der niemand mehr weiß welchen Kurs sie eigentlich fährt und von einer SPD die nicht mehr zeigt, dass sie einmal eine Partei der kleinen Leute, Arbeiter usw. war, einfach nicht mehr repräsentiert fühlen.

Paul, Freitag, 20.Mai 2016, 07:40 Uhr

7. Zeitverschwendung

Jede Zeile ist eine zuviel. In der Natur wäre er schon lange aussortiert worden. Bei uns bekommt er Therapien, Anti-Agrressions-Training und vieles mehr. Perlen vor die Säue werfen, sagt ein deutsches Sprichwort. Ich hoffe, das darf man noch wiedergeben?