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Aufstand der Eltern in Herrsching "Spaenle soll sich endlich um die Mittelschul-Kinder kümmern!"

Lehrer in Dauerüberlastung, zusammengelegte Klassen, Unterrichtsausfall als Regelzustand: Eltern in Herrsching am Ammersee haben es nicht mehr ertragen, dass ihre Kinder an der Mittelschule nicht den Unterricht bekommen, der ihnen zusteht. Sie haben sich zusammengetan und mit einem offenen Brief beim Kultusministerium protestiert.

Von: Gerhard Brack

Stand: 03.06.2017 | Archiv

Elternbeiratsvorsitzende Karin Bernhart wirkt geduldig und zurückhaltend, aber wenn sie über die Situation an ihrer Schule spricht, platzt ihr der Kragen:

"Ich fordere von der CSU, von dem Herrn Dr. Spaenle insbesondere, dass er sich endlich mal um die Mittelschulen kümmert, dass er sich um die Kinder kümmert, die später mal ihn irgendwo bedienen, ihm einen Schrank bauen oder Sonstiges. Dass er sich kümmert, dass die Lehrer wieder vernünftig arbeiten können, dass wir eine ganz normale Schule wieder werden können und dass wir uns nicht ärgern müssen über das Kultusministerium und die CSU, die seit vielen Jahren nichts tut."

Karin Bernhart

Ein Hilferuf der Eltern

Der offene Brief ist ein Hilferuf, den die Elternbeiräte von Grund- und Mittelschule der Christian-Morgenstern Volksschule Herrsching an Kultusminister Spaenle geschickt haben. Hinter ihnen liegt ein langer Leidensweg. Bettina Möbius:

"Ich bin Mutter von einer Schülerin aus der 9 M. In der Klasse fehlt seit Weihnachten der Klassenlehrer, der Mathe, Deutsch und GSE (Geschichte-Sozialkunde-Erdkunde) unterrichtet hat. Meine Tochter hat jetzt die ersten Prüfungen vom Quali geschrieben, eben ohne Klassenlehrer, die haben auch immer nur für zwei bis drei Wochen irgendwelche mobilen Reserven bekommen oder auch nicht. Da gab es ein Riesenproblem, dass ganz viel Stoff nicht unterrichtet wurde. Jetzt fällt eine Woche Unterricht aus, dann hat sie halt drei Wochen Pfingstferien. Wie geht das weiter?"

Bettina Möbius

Mutter: "Nicht betreut im Klassenzimmer"

Auch Andrea Schreyegg ist in großer Sorge um ihre Tochter. Die besucht die Klasse 7M. Aber regulären Unterricht gibt es da schon lange nicht mehr, sagt Schreyegg:

"Für mich sind jetzt die Basics eskaliert, es fehlt jetzt definitiv an Grundlagen. Die Kinder sind nicht betreut im Klassenzimmer, die hüpfen quasi vier Stunden im Klassenzimmer umher, beschäftigen sich selbst, was man sich ja dann vorstellen kann, wie das dann aussieht, es laufen dann Filme auf dem Whiteboard, und dann geht’s halt in der Fünften Stunde mal mit Mathe los."

Andrea Schreyegg

Kultusministerium: Ausfälle kompensiert

Symbolbild: Leeres Klassenzimmer

Durch den vielen Unterrichtsausfall verlernen die Schüler, sich zu konzentrieren, fürchten die Eltern. Manche seien nur noch leistungsfähig, wenn Eltern sie zuhause unterrichten oder die Kinder Nachhilfe bekommen. Das Kultusministerium hat auf Anfrage des BR zu den Problemen Stellung genommen und verweist auf seine Mühen, die Ausfälle aufzufangen:

"Die Vorbereitung auf die Quali-Prüfungen ist sichergestellt: Der krankheitsbedingte Ausfall einer Lehrkraft in Jahrgangsstufe 9 wurde durch eine Vertretungslehrkraft kompensiert. Eine weitere längerfristige Erkrankung einer Lehrkraft der Schule wurde ebenso durch Umorganisation an der Schule sowie eine Vertretung abgefangen. Da diese Vertretungslehrkraft über keine Fakultas für das Fach Technik verfügt, mussten hier vorübergehend Stunden fachfremd abgedeckt werden. Nach den Abschlussprüfungen stehen entsprechende Lehrkräfte – auch mit der Fakultas für Technik – wieder zur Verfügung. Die Schulleitung plant den Einsatz dieser Lehrkräfte mit dem Ziel, dass nach den Prüfungen der gesamte Unterricht auch im Fach Technik wieder abgedeckt und, falls eine vorübergehende Lernverzögerung in diesem Fach entstanden sein sollte, sie bis zu den Sommerferien wieder ausgeglichen werden kann."

Schriftliche Stellungnahme des Kultusministeriums

Forderung: Flüchtlingskinder auch an Gymnasien!

Die Eltern fordern vor allem mehr Personal: Lehrer – auch mit der Ausbildung Deutsch als Fremdsprache, Sozialpädagogen, einen Psychologen. Das Kultusministerium wiegelt ab:

"An der Mittelschule ist eine sozialpädagogische Fachkraft im Rahmen der Jugendsozialarbeit an Schulen tätig. Über das Staatliche Schulamt kann die Schule auf schulpsychologische Unterstützung zurückgreifen."

Schriftliche Stellungnahme des Kultusministeriums

Die Schule hat 370 Kinder, ein Sechstel davon sind Flüchtlinge. Durch den Lehrermangel sind nur drei Übergangsklassen statt der benötigten vier möglich, die restlichen Flüchtlingskinder werden auf die "normalen" Klassen aufgeteilt, monieren die Eltern. Geregelter Unterricht werde so fast unmöglich, sagen sie und verlangen, dass auch Gymnasien und Realschulen künftig Flüchtlinge aufnehmen.

Eltern wollen mehr Personal

Schule und Schulamt bemühen sich zwar um Ersatz für erkrankte Lehrer, berichtet Elternbeirätin Sibylle Müller – doch das reicht nicht. An der Schule werde den Eltern gesagt:

"Wir haben einfach das Problem, wir haben ein paar Krankheitsfälle, wir haben aber auch einfach freie Stellen, wir haben auch keine mobile Reserve, es ist alles weg, und wir finden keinen Lehrer."

Sibylle Müller

Das Kultusministerium beschwichtigt: Ja, es habe Ausfälle gegeben, aber:

"Die in diesem Schuljahr bayernweit ungewöhnlich hohen Erkrankungsfälle konnten auch an der Grund- und Mittelschule Herrsching weitgehend durch Vertretungslehrkräfte kompensiert werden. Vertretungslehrkräfte standen in diesem Schuljahr bayernweit im Umfang von 2.377 Vollzeitkapazitäten zur Verfügung, davon 40 Lehrkräfte (Vollzeit und Teilzeit) im Landkreis Starnberg. Eine weitere bayernweite Erhöhung der Mobilen Reserven ist bereits geplant."

Schriftliche Stellungnahme des Kultusministeriums

Lehrerverband: "Geld ist da, Köpfe nicht!"

Die Mobile Reserve muss aufgestockt werden, verlangen die Eltern. Sie wollen mindestens 50 zusätzliche Stellen allein im Großraum München.  Zwar hat der Freistaat zuletzt bayernweit 400 neue Stellen für Grund- und Mittelschulen geschaffen. Doch die können nicht besetzt werden, berichtet Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands BLLV:

"Leider befinden wir uns erstmals in der Situation, dass Stellen, also Geld für Lehrerinnen und Lehrer, vorhanden ist, aber leider kein einziger Lehrer mehr auf der Straße ist aus dem Grund- und Mittelschulbereich. Das heißt, wir haben eine Situation, die wir so noch nie hatten: Geld ist da, Köpfe nicht."

Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV

Jetzt setzen die Behörden darauf, dass arbeitslose Gymnasial- und Realschullehrer einspringen oder sich umschulen lassen zu Mittelschullehrern. Das ist allerdings nicht besonders "sexy", wie Simone Fleischmann es ausdrückt, denn Mittelschullehrer müssen mehr Stunden unterrichten und werden dafür schlechter bezahlt.

Aber Geld ist nicht alles, wirbt die zuständige Direktorin des Schulamts Starnberg, Elisabeth Hirschnagel-Pöllmann, und appelliert an den Idealismus der Bewerber: Als Klassleiter an einer Mittelschule Kinder durch die Pubertät zu führen, sei eine sehr erfüllende Aufgabe:

"Als Pädagogen und nicht als reinen Wissensvermittler, die den pädagogischen Bezug zum Schüler suchen, diese Lehrer brauchen wir."

Elisabeth Hirschnagel-Pöllmann, Direktorin des Schulamts Starnberg


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