NSU-Prozess


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317. Verhandlungstag, 26.10.2016 Der Fall Peggy erreicht den NSU-Prozess

Der Mordfall Peggy hat nun auch den NSU-Prozess beschäftigt. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl richtete heute mehrere Fragen an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe – etwa ob sie über nähere Informationen zu dem Mordfall verfüge. Die Nebenklage wiederum will erreichen, dass die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Bayreuth zum Fall Peggy in das NSU-Verfahren eingebracht werden.

Von: Thies Marsen

Stand: 26.10.2016

Beate Zschäpe und Mathias Grasel | Bild: picture-alliance/dpa/Matthias Schrader

Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-Verfahren ist immer für eine Überraschung gut. Noch heute Morgen hatte eine Sprecherin des Oberlandesgerichts erklärt, dass der Fall Peggy wohl kein Thema im NSU-Prozess werde. Doch Richter Götzl brachte den Mordfall heute selbst aufs Parkett und fragte Beate Zschäpe unter anderem, ob sie über nähere Informationen zu dem Mordfall verfüge und ob sich auf einem Computer, der in der ausgebrannten Wohnung des NSU in Zwickau gefunden worden war, eventuell Bilder von Kindern und Jugendlichen befunden hätten.

Zschäpes Verteidiger Hermann Borchert kündigte an, dass Zschäpe zu den Fragen schriftlich Stellung nehmen werde. Die Nebenklage wiederum will erreichen, dass die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Bayreuth zum Fall Peggy in das NSU-Verfahren eingebracht werden. Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler stellte heute einen entsprechenden Beweisantrag. Vergangene Woche war bekannt geworden, dass in der Nähe von Peggys Leichnam DNA des NSU-Terroristen Uwe Bönhardt gefunden worden war. Außerdem soll sich in unmittelbarer Nähe ein Treffpunkt von Neonazis befunden haben.

Gibt es einen Zusammenhang

Und: Rechtsextremisten schickten offenbar kurz nach dem Verschwinden des Mädchens einen Hassbrief voller rassistischer Beschimpfungen an die Mutter, die damals mit einem Türken zusammenlebte. Ob die Fälle NSU und Peggy tatsächlich zusammenhängen, müsse sich zeigen, so Rechtsanwalt Daimagüler. Er frage sich aber, ob die zahlreichen Pannen in beiden Fällen Zufall seien, schließlich seien beide Ermittlungen zeitweise vom gleichen Polizisten geleitet und in beiden Fällen sei lange Zeit vor allem gegen türkischstämmige Menschen ermittelt worden. Er frage sich, so Daimagüler, ob das „ein systemisches Problem“ sei.

Wiederentdeckt: Zschäpe an der Berliner Synagoge

Auf Antrag der Nebenklage vernahm das Oberlandesgericht heute außerdem einen ehemaligen Objektschützer der Polizei, der im Mai 2000 die Berliner Synagoge in der Rykestraße bewachte. Damals beobachtete er eine Gruppe von mehreren Personen, darunter eine junge Frau. Als er am selben Abend zufällig die mdr-Sedung „Kripo live“ einschaltete, erkannte er die Frau wieder: Als Beate Zschäpe, nach der damals gefahndet wurde. Der Objektschützer meldete sich sofort beim LKA Thüringen und wurde schon am nächsten Tag vernommen.

Heute konnte er sich zwar an vieles nicht mehr erinnern, was er vor 16 Jahren zu Protokoll gegeben hatte: Etwa dass Zschäpe in Begleitung von zwei kurzhaarigen sportlichen Männern, einer jungen Frau und zwei Kleinkindern gewesen sei und dass die Gruppe Kartenmaterial studiert habe. Dennoch wirft seine Aussage die Frage auf, inwiefern Beate Zschäpe am Ausspionieren von Anschlagszielen beteiligt war.

Zschäpe als Tourist in der Hauptstadt?

Klar ist seit heute immerhin: Beate Zschäpe war im Jahr 2000 in Berlin. Ihr Anwalt Matthias Grasel verlas eine entsprechende Erklärung Zschäpes. Demnach reisten sie, Mundlos und Böhnhardt aber nur als Touristen in die Hauptstadt. Man habe Alexanderplatz, Brandenburger Tor und KaDeWe besucht, an eine Synagoge könne sie sich nicht erinnern.

Zahlreiche Nebenkläger vermuten dagegen, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sich in Berlin unter anderem mit dem Chemnitzer Neonazi-Führer und mutmaßlichen NSU-Unterstützer Jan W. getroffen haben – denn dessen Handy wurde damals vom Verfassungsschutz überwacht und in besagtem Zeitraum mehrfach in Berlin geortet. Er könne sich gut vorstellen, dass die NSU-Terroristen mit der Synagoge ein potentielles Anschlagsziel ausspioniert hätten, so Rechtsanwalt Daimagüler. Da dieses aber zu stark bewacht gewesen sei, habe man sich dann offenbar weicheren Zielen zugewandt. Ihren mutmaßlich ersten Mord verübten die NSU-Terroristen nur vier Monate später.


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