NSU-Prozess


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NSU-Prozess: 369. Tag Die Plädoyers rücken näher

Langsam, aber kontinuierlich räumt das Oberlandesgericht die letzten Hürden auf dem Weg zu den Plädoyers aus dem Weg. Auch wenn heute neue Beweisanträge gestellt wurden, rückt die Endphase des NSU-Prozesses doch zweifellos näher.

Von: Thies Marsen

Stand: 21.06.2017 | Archiv

Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt am 07.03.2017 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (Bayern) neben ihrem Anwalt Mathias Grasel. Vor dem Oberlandesgericht wurde der Prozess um die Morde und Terroranschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) fortgesetzt. | Bild: picture-alliance/dpa/Peter Kneffel

Gerade einmal eineinhalb Stunden dauerte der heutige 369. Verhandlungstag im NSU-Prozess. Zeugen waren keine geladen, es ging ausschließlich um Beweisanträge, insbesondere um einen Antrag der Verteidigung des mutmaßlichen NSU-Waffenlieferanten Ralf Wohlleben. Diese verlangt, dass ein psychiatrisches Gutachten über die beiden NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erstellt wird - um zu beweisen, dass die beiden unter einer psychopathischen Persönlichkeitsstörung litten. Die Bundesanwaltschaft hat der Erstellung eines solchen Gutachtens gestern widersprochen, darauf reagierten Wohllebens Anwälte heute mit einer erneuten Stellungnahme und einer Erweiterung ihres bisherigen Antrags.

Wie gestört sind Neonazis?

Die Argumentation der Wohlleben-Verteidiger: Die beiden NSU-Mörder Mundlos und Böhnhardt verübten ihre Taten nicht etwa aufgrund von Ausländerhass, Rassismus oder ihrer verbrecherischen Nazi-Ideologie, sondern wegen einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Beide seien traumatisiert gewesen, Böhnhardt durch den frühen Tod seines Bruders und eines im Gefängnis erlebten sexuellen Missbrauchs, Mundlos dadurch, dass seine Mutter sich mehr um seinen behinderten Bruder als um ihn gekümmert habe, außerdem habe er sich durch Beate Zschäpe abgewiesen gefühlt.

Die Persönlichkeitsstörung habe dazu geführt, dass sich die beiden Uwes gegenüber ihrer Umwelt – und damit auch gegenüber ihrem mutmaßlichen Waffenlieferanten Wohlleben - manipulativ verhalten hätten und diese über ihre tatsächlichen Motiv getäuscht hätten. Wohlleben habe aufgrund dieser Täuschung gar nicht erkennen können, dass die beiden der Lage waren, schwerste Straftaten zu begehen. Auch die Altverteidiger von Beate Zschäpe schlossen sich dem Beweisantrag an.

Ein Grundriss und Zschäpes Glaubwürdigkeit

Auch Nebenklage-Anwalt Eberhard Reinicke stellte heute einen neuerlichen Beweisantrag. Dabei geht es zwar um ein Detail - den Grundriss der Wohnung in der Zwickauer Heisenbergstraße 6, in der das NSU-Kerntrio zeitweise wohnte - doch Reinicke geht es um Grundsätzliches: Er will Zschäpes Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen. Die Hauptangeklagte hatte in einer schriftlichen Erklärung davon gesprochen, dass in der besagten Wohnung jeder der drei ein eigenes Zimmer hatte, doch der Grundriss des Appartements gibt das nicht her. Nachdem Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel die Unstimmigkeit damit erklärt hatte, dass in der Wohnung eine provisorische Zwischenwand eingebaut worden sei, will Nebenkläger Reinicke nun zwei Zeugen, darunter die Vermieterin, vor das Oberlandesgericht laden lassen, um die Sache aufzuklären - und damit auch die Frage, ob Zschäpe gelogen hat.

Dass der Strafsenat dem Antrag nachkommen wird, ist allerdings eher fraglich. Zuletzt hat er die meisten Beweisanträge abgelehnt, so auch heute: Er verwarf mehrere Anträge der Wohlleben-Verteidigung und einiger Nebenkläger, die den hochrangigen Neonazi-Funktionär Stefan L. - Szenename: Pinocchio - betreffen. Wie die ARD jüngst enthüllte, soll Stefan L., vormals Deutschland-Chef des braunen Musik- und Terrornetzwerks "Blood & Honour", jahrelang als Spitzel für die Berliner Polizei und das Bundesamt für Verfassungsschutz gearbeitet haben. Doch Pinocchio wird kein Thema mehr werden im NSU-Prozess. Wie der vorsitzende Richter Manfred Götzl heute mitteilte, hält der Senat diesen Aspekt für nicht verfahrensrelevant. Es sei unklar, ob L. überhaupt V-Mann gewesen sei. Und falls doch, dann sei auch nicht sicher, dass er dem Verfassungsschutz Informationen über den NSU zugeleitet habe.

Die kommenden drei Verhandlungstage hat das Münchner Oberlandesgericht abgesetzt, erst Donnerstag nächster Woche geht der Prozess weiter. Dann wird erneut der psychiatrische Gutachter Henning Saß befragt werden. Gut möglich, dass an diesem Tag die Beweisaufnahme im NSU-Verfahren zu Ende geht und danach das nächste Kapitel aufgeschlagen wird: Die Plädoyers.


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