NSU-Prozess


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NSU-Prozess Plädoyers der Nebenklage sollen heute starten

Nach wochenlanger Pause soll der NSU-Prozess fortgesetzt werden - mit den Plädoyers der Nebenklage. Das Oberlandesgericht München muss allerdings erst über noch ausstehende Befangenheitsanträge entscheiden.

Von: Thies Marsen

Stand: 04.10.2017 | Archiv

Gerichtssaal NSU-Prozess | Bild: picture-alliance/dpa

Mehrfach wurde der Beginn der Nebenklage-Plädoyers schon verschoben, weil die Verteidigung diverse Befangenheitsanträge gegen den Strafsenat des OLG stellte. Das ist bitter für die Angehörigen der NSU-Opfer, die die Plädoyers persönlich im Gerichtssaal verfolgen wollen.

"Das ist für die Nebenklage sehr, sehr schmerzhaft, weil einige Nebenkläger ihre Anreise aus der Türkei geplant haben - unter den besonderen Umständen des Oktoberfestes auch schon Zimmer besorgt haben."

Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann

Eigentlich wäre die Nebenklage direkt im Anschluss an die Bundesanwaltschaft an der Reihe gewesen. Die Anklagebehörde hatte ihr Plädoyer im NSU-Prozess vor drei Wochen beendet und teils hohe Gefängnisstrafen für die Angeklagten beantragt - unter anderem, wie erwartet, lebenslange Haft für Beate Zschäpe. Durchaus überraschend war, dass für den mutmaßlichen Terrorhelfer André E., der in viereinhalb Jahren Prozess meist im Schatten der Hauptangeklagten gestanden hatte, zwölf Jahre gefordert wurden. André E., bislang auf freiem Fuß, wurde daraufhin noch im Gerichtssaal festgesetzt und schließlich in Untersuchungshaft genommen, um zu verhindern, dass er sich absetzt. Seine Verteidigung reagierte mit einem Befangenheitsantrag, ebenso die Verteidigung des mutmaßlichen Lieferanten der Mordwaffe Ceska, Ralf Wohlleben. Auch ihn erwarten, geht es nach der Bundesanwaltschaft, zwölf Jahre. Durchaus zufrieden mit den Strafanträgen der Bundesanwaltschaft zeigte sich Yvonne Boulgarides, Witwe des Münchner NSU-Mordopfers Theodoros Boulgarides.

"Was ich besonders schlimm fand die ganzen Jahre, war die Ignoranz der Angeklagten gegenüber den Hinterbliebenen und auch Opfern der Bombenattentate. Mich hat erschreckt - wenn man so lange in einem Prozess sitzt -, dass da kein Umdenken einsetzt. Wenn das geforderte Strafmaß eingehalten wird, dann haben sie alle genug Zeit, darüber nachzudenken."

Yvonne Boulgarides

"Meine Mandaten glaubten Merkels Aufklärungsversprechen"

Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler

Möglichst hohe Haftstrafen für die Angeklagten zu erreichen, habe für die Nebenkläger im NSU-Prozess jedoch nicht im Vordergrund gestanden, betont Anwalt Mehmet Daimagüler. Er vertritt Angehörige der Nürnberger Mordopfer İsmail Yaşar und Abdurrahim Özüdoğru.

"Meiner Mandantschaft ging es nie darum, Genugtuung aus einer möglichst hohen Strafe zu gewinnen. Meine Mandantschaft wollte verstehen: Warum wurde unser Vater, Bruder umgebracht? Meine Mandantschaft hat dem Aufklärungsversprechung unserer Bundeskanzlerin geglaubt. Frau Merkel hatte gesagt, dass alle Behörden in Deutschland mit Hochdruck an der Aufklärung arbeiten würden. Kaum hatte sie das gesagt, wurden landauf, landab Hunderte Akten von Verfassungsschutzbehörden vernichtet. Dass Frau Zschäpe lebenslang ins Gefängnis geht, wird nicht die Fragen beantworten, die hier ins Verfahren gehört hätten, wenn denn der politische Wille dagewesen wäre."

Mehmet Daimagüler

"Nur ein Teilausschnitt des NSU-Komplexes"

Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer

Die Bundesanwaltschaft wolle, so der Vorwurf vieler Nebenkläger, den NSU - und damit die ganze Affäre - möglichst klein halten. Die Verwicklungen des Staates in den NSU-Komplex, all die erwiesenen Vertuschungen und Aktenvernichtungen durch Geheimdienste und Polizei, seien nicht ausreichend ermittelt worden - ebenso wie das Netzwerk von Unterstützern, das dem NSU geholfen habe, jahrelang im Untergrund zu leben und zu morden, kritisiert Sebastian Scharmer, Anwalt der Angehörigen des Dortmunder Mordopfers Mehmet Kubaşık.

"Auf der Anklagebank sitzen fünf Angeklagte. Es könnten aus meiner Sicht 50 oder mehr sein. Es steht fest: Wir haben nur einen kleinen Teilausschnitt des NSU-Komplexex ermittelt. Das wollte der Generalbundesanwalt auch so, sodass wir auf gar keinen Fall zufrieden sind nach dem Ende dieses Verfahrens. Es darf keinen Schlussstrich geben."

Sebastian Scharmer

Wenn nichts dazwischen kommt, werden die Nebenkläger ab heute die Gelegenheit erhalten, ihre Sicht auf die Terrorgruppe vor dem OLG darzustellen. Rund 50 Opferanwälte wollen plädieren, einige Angehörige der Ermordeten sowie Verletzte des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße wollen sich auch persönlich zu Wort melden. Laut vorsichtigen Schätzungen werden die Nebenklage-Plädoyers fünf bis sechs Wochen in Anspruch nehmen.


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