NSU-Prozess


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412. Verhandlungstag, 27.2.2018 Besonders viele Neonazis im Gerichtssaal

Seit dem Prozessbeginn vor fünf Jahren haben auch Neonazis regelmäßig ihr Interesse am NSU-Prozess gezeigt und sind zu den Verhandlungsterminen gekommen. Selten allerdings waren sie so massiv vertreten wie heute.

Von: Thies Marsen

Stand: 27.02.2018 | Archiv

Hände und eine Computer-Tastatur (Symbolbild) | Bild: picture-alliance/dpa

27 Februar

Dienstag, 27. Februar 2018

Es ist nicht sonderlich angenehm, in einen Raum zu kommen, den zuvor vier ausgewiesene Neonazis in Beschlag genommen haben, insbesondere dann nicht, wenn es sich bei diesen um gute Freunde von mutmaßlichen Rechtsterroristen handelt, oder gar um solche, die selbst im Verdacht stehen, Helfer einer Neonazi-Killertruppe gewesen zu sein.

So beschleicht denn heute auch den Gerichtsreporter eine leichte Beklemmung beim Betreten der Zuschauertribüne im NSU-Prozess. Denn dort befinden sich zunächst lediglich ein einsamer Zeitungskollege und dazu, ganz vorne in der ersten Reihe, drei Männer und eine Frau, an Kleidung und Verhalten unschwer als Angehörige der rechten Szene auszumachen.

Unter den Zuhörern: die mutmaßlich beste Freundin Zschäpes

Zwei sind dem Reporter ohnehin seit längerem namentlich bekannt: Susann E., Ehefrau des Angeklagten André E. und mutmaßlich beste Freundin der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, sowie André K., ein früher Freund der späteren NSU-Terroristen Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos aus Jena, der für die Untergetauchten unter anderem Fluchtmöglichkeiten ins Ausland ausgekundschaftet haben soll.

Gegen Susann E. ermittelt die Bundesanwaltschaft bis heute wegen Terrorunterstützung. Gegen André K. wird nur deshalb nicht ermittelt, weil seine bekannten Unterstützungsleistungen für das untergetauchte Terrortrio verjährt sind. Der NSU bzw. sein Unterstützerumfeld hatte den Kontakt zu André K. 1999 abgebrochen, weil dieser tausende Euro unterschlagen haben soll, die für die Untergetauchten bestimmt waren.

Nein, mit solchen Leuten teilt man wirklich ungern den gleichen Raum, da hilft selbst die Gewissheit wenig, dass auch Neonazis, ebenso wie alle anderen Besucher, vor Eintritt in den Verhandlungssaal erst einmal den Metalldetektor am Eingang passieren und sich dann einer genauen Durchsuchung unterziehen müssen und dass die Zuschauertribüne von mehreren uniformierten und bewaffneten Aufpassern der Justiz gesichert wird.

Auch ein verurteilter Rechtsterrorist ist auf der Tribüne

Später kommen zwar noch weitere Zuhörer auf die Tribüne, darunter aber auch ein bereits verurteilter Rechtsterrorist: Karl-Heinz Statzberger. Er saß fünf Jahre im Gefängnis, weil er einen Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung des neuen jüdischen Gemeindezentrums in der Münchner Innenstadt verüben wollte.

Zuschauerin fühlt sich von Neonazis bedrängt

Angesichts des insgesamt geringen öffentlichen Interesses an der heutigen Verhandlung beträgt das Verhältnis zwischen Neonazis, Journalisten und einfachen Zuschauern heute im Saal A101 zeitweise annähernd 1 : 1 : 1. Die Rechten geben sich betont selbstsicher, feixen, Klopfen ihre Sprüche. Eine Zuhörerin fühlt sich von den Neonazis irgendwann derart bedrängt, dass sie erst sicherheitshalber ihr türkisches Buch wegklappt und schließlich den Platz wechselt.

Kamen die Neonazis wegen Wohllebens Geburtstag?

Umso größer ist die Freude bei den Angeklagten unten im Saal über die Anwesenheit der extrem rechten Zuschauer: Der mutmaßlicher Terrorhelfer André E. lächelt und grüßt zu seiner Ehefrau hinauf. Noch besser hat es sein Mitangeklagter Ralf Wohlleben erwischt. Der mutmaßliche Lieferant der Mordwaffe, mit der neun Menschen umgebracht wurden, darf heute auf der Anklagebank Händchen halten mit seiner Ehefrau, die neben ihm Platz genommen hat. Anlass dürfte Wohllebens Geburtstag sein: Er wird heute 43 Jahre alt.

Diverse Anträge verzögern den Prozess weiter

Im Gerichtsverfahren selbst dagegen passiert kaum relevantes: Die Verteidigung, die eigentlich schon in der übernächsten Woche mit ihren Schlussvorträgen beginnen soll, stellt zwar diverse neue Anträge, die sich allerdings nur um Altbekanntes drehen und deshalb den Prozess zwar einmal mehr verzögern, ihm aber wohl kaum eine entscheidende Wendung geben dürften: Zschäpes Altverteidiger wollen – mal wieder – von ihrem Mandat entbunden werden und Wohllebens Anwälte wollen – mal wieder – beweisen, dass die Mordwaffe nicht unbedingt von ihrem Mandanten, sondern auch von jemand ganz anderem geliefert worden sein könnte.

Neonazis kennen die Wohlleben-Verteidiger gut - und schätzen sich

Als nach dem Ende des durch viele Unterbrechungen geprägten Verhandlungstages dann draußen vor dem Justizzentrum die Neonazi-Besucher auf die Wohlleben-Verteidiger treffen – darunter der langjährige Chef der verbotenen Neonazi-Organisation Wiking-Jugend sowie eine einstige NPD-Funktionärin – gibt es viele Umarmungen und Küsschen. Man kennt sich, man schätzt sich. Und schon wieder beschleicht den Gerichtsreporter eine leichtes Gefühl der Beklemmung.


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