NSU-Prozess


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399. Verhandlungstag, 19.12.2017 Das Versagen der Polizei

Nebenklageanwalt Eberhard Reinecke beschäftigt sich in seinem Schlussvortrag mit schweren Ermittlungsfehlern der Polizei. Zugleich weist er die Kritik seines Kollegen Mustafa Kaplan zurück. Der hatte letzten Donnerstag der Mehrheit der Opferanwälte vorgehalten, dass ein Strafprozess kein Untersuchungsausschuss sei.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 19.12.2017 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

19 Dezember

Dienstag, 19. Dezember 2017

Die Rechtsanwälte Eberhard Reinecke und Mustafa Kaplan vertreten beide Opfer des Nagelbombenanschlages in der Kölner Keupstraße. Beide sind von der Schuld der fünf Angeklagten an den Verbrechen des NSU überzeugt. Und haben trotzdem ganz unterschiedliche Auffassungen darüber, was in diesen Prozess gehört und was nicht. Letzten Donnerstag hatte Kaplan der großen Mehrheit der Opferanwälte vorgeworfen, Themen behandelt zu haben, die nichts in einem Strafprozess zu suchen hätten. Ob Polizei und Verfassungsschutz versagt hätten, könne und dürfe nicht in einem Strafprozess geklärt werden. In dem gehe es, so Kaplan, ausschließlich um die persönliche Schuld der Angeklagten. Alle anderen Fragen müssten in einem Untersuchungsausschuss erörtert werden. Er habe zwar Verständnis, dass die Angehörigen der Opfer diese Fragen gestellt  hätten. Er erwarte aber von seinen Kollegen, dass die ihren Mandanten den Unterschied zwischen einem Strafprozess und einem Untersuchungsausschuss erklären könnten.

Reinecke weist Kritik zurück

Diese scharf formulierte Kritik weist Rechtsanwalt  Reinecke heute in ebenso scharfer Form zurück. Er betont, dass er als Vertreter der Nebenklage von Hause aus verpflichtet sei, die Interessen seines Mandanten zu vertreten. Er erlebe immer wieder, dass Anwälte ihre Rolle missbrauchten, um das Verfahren nach Gusto zu führen. "Ich darf aber meine Mandanten nicht in intellektueller Überheblichkeit belehren." Und als ob damit die Replik nicht schon beißend genug wäre, setzt Reinecke noch eins drauf. Im Gegensatz zu Kaplan würden die meisten Nebenklageanwälte den Unterschied zwischen einem Strafprozess und einen Untersuchungsausschuss sehr wohl kennen, da viele von ihnen im Gegensatz zu Kaplan auch in diesen Gremien mitgewirkt hätten.

Die Fehler der Polizei

Dann wendet sich Reinecke Dingen zu, die wohl aus Sicht von Kaplan für die Beurteilung der persönlichen Schuld der Angeklagten weitgehend bedeutungslos sind. Er beschäftigt sich ausführlich mit Fehlern staatlicher Ermittlungsbehörden. Das Argument der Bundesanwälte, wonach die Verwendung der Tatwaffe mit Schalldämpfer lange Zeit zu Recht als Hinweis auf die organisierte Kriminalität verstanden worden sei, hält er für leicht widerlegbar. Ein Profikiller möchte unentdeckt bleiben, er würde deshalb niemals bei neun Morden die gleiche Waffe verwenden. Die Opfer aus der Keupstraße hätten sehr schnell eine Ahnung gehabt, dass Ausländerfeindlichkeit das Motiv für den Anschlag gewesen sei. Doch ihre Hinweise hätten die Ermittler grundlos ignoriert. Genauso wie die Aussage einer Zeugin, die angab, auf den Bildern der Überwachungskamera die gleichen Fahrradfahrer gesehen zu haben wie bei der Ermordung von Ismail Yasar in Nürnberg. Obwohl die Zeugin ausdrücklich erklärte, die beiden Männer hätten hellhäutige Gesichter gehabt, seien ihr nur Lichtbilder von südländisch aussehenden Vergleichspersonen vorgelegt worden. Das interpretiert Reinecke als Ausdruck des "institutionellen Rassismus", der jahrelang die Polizeiarbeit im Zusammenhang mit den Verbrechen des NSU bundesweit beherrscht habe.

Appell an das Gericht

Der Hauptangeklagten Beate Zschäpe wirft Reinecke vor, unbelehrbar zu sein und sich bis heute nicht von den Verbrechen distanziert zu haben. Im Prozess hat sie seiner Überzeugung nach ihr Wissen über die Morde nicht preisgegeben. Der Opferanwalt appelliert deshalb an das Gericht, nicht nur eine lebenslange Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zu verhängen. Es solle auch in das Urteil hineinschreiben, eine Entlassung aus der Haft komme irgendwann nur dann in Frage, wenn Zschäpe ihre Wissen mitteile und damit zeige, dass sie sich mit den Verbrechen auseinander gesetzt habe.


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