NSU-Prozess


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391. Verhandlungstag, 23.11.2017 Geschichtsstunde im Gerichtssaal

Erneut hat ein Vertreter der Nebenklage Kritik an der Bundesanwaltschaft geübt. Er zweifelt in seinem Schlussvortrag deren These an, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hätten erst nach ihrem Untertauchen Anfang 1998 ihre rechtsextremistische Terrorvereinigung gegründet. Zudem habe der Nationalsozialistische Untergrund NSU nicht nur aus den drei Personen bestanden.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 23.11.2017 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

23 November

Donnerstag, 23. November 2017

Um seine Argumentation zu belegen, holt Rechtsanwalt Peer Stolle weit aus. Legt umfassend dar, warum Anfang der 90er Jahre nach dem Fall der Mauer Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern weit verbreitet war und von breiten Bevölkerungsschichten nicht kritisch gesehen, sondern sogar gutgeheißen wurde. "Wir alle erinnern uns an die Bilder von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen." Damals kam es zu rassistisch motivierten Angriffen auf Ausländerwohnheime. In Lichtenhagen steckten bis zu 500 Rechtsextreme das Sonnenblumenhaus in Brand, in dem sich zu diesem Zeitpunkt noch 100 Vietnamesen aufhielten. 3000 Schaulustige begleiteten die gewalttätigen Aktionen mit Beifall und behinderten die Löscharbeiten der Feuerwehr. Nach dem Ende der DDR  war es die Zeit, in der sich ein Gesellschaftssystem auflöste.

Keine Wendeverlierer

Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seien aber keine Wenderverlierer gewesen, betont Stolle. Er zeichnet nach, wie sich in den damaligen Jahren auch mit Unterstützung eines bayerischen V-Mannes in Thüringen rechtsradikale Organisationen bilden. Erst der Thüringer Heimatschutz, und dann die Sektion Jena, zu der Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe gehören. Aber auch Ralf Wohlleben und Holger G, die ebenfalls im NSU-Prozess auf der Anklagebank sitzen. Stolle vertritt den Sohn des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik. Dessen Witwe und Tochter hatten in den beiden Tagen zuvor selbst das Wort ergriffen. Und so für emotionale Momente im Prozess gesorgt, heute geht es eher nüchtern zu, denn der Sohn des ermordeten Kioskbesitzers will selbst nicht in der Öffentlichkeit auftreten. So spricht nur sein Anwalt.

NSU bestand schon vor 1998

Die zentrale These von Stolle: die Vereinigung, die später NSU genannt wird, bildet sich nicht erst 1998 als Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in den Untergrund gehen. Sondern deutlich früher. Zum Beleg führt Stolle etliche rassistisch motivierte Straftaten an, die die drei zusammen mit anderen Mitgliedern der Sektion Jena begehen. Daraus folgt, so Stolle, dass der NSU nicht nur aus den drei Personen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bestanden habe. Und auch nach deren Abtauchen seien die drei nicht, wie die Bundesanwaltschaft immer wieder betont hat, eine abgeschottete Zelle gewesen. Die "Verbundenheit" habe fortbestanden, über viele Jahre habe es "Unterstützerhandlungen" gegeben.


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