NSU-Prozess


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375. Verhandlungstag, 25.7.2017 NSU-Prozess - Die Plädoyers haben begonnen

Eine Zäsur im NSU-Prozess. Mit dem Beginn der Plädoyers hat die Bundesanwaltschaft die Schlussphase in dem Mammutverfahren eingeläutet. Ihre Anklage sieht sie in allen Punkten durch die Beweisaufnahme bestätigt.

Stand: 26.07.2017 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

25 Juli

Dienstag, 25. Juli 2017

Zunächst sieht es wieder so aus, als ob auch an diesem 375. Verhandlungstag die Schlussanträge nicht beginnen können. Erwartungsgemäß hat das Gericht nochmal alle Anträge der Verteidigung abgelehnt, von den Plädoyers eine Tonaufnahme fertigen zu lassen oder sie von einem Stenographen auf Kosten des Staates aufzeichnen zu lassen. Wieder geht es nicht voran, doch der für diesen Fall erwartete Befangenheitsantrag wird auch zur Überraschung der Bundesanwaltschaft nicht gestellt. Als ihr um 11.50 Uhr Richter Manfred Götzl das Wort erteilt, bittet Herbert Diemer um kurzen Aufschub. "Ich habe meine Notizen oben und muss sie erst holen“, sagt der Bundesanwalt. Lautes Gelächter im Saal ist Folge, dann gibt es freilich an diesem Tag nichts mehr zu lachen.

Zschäpe ist für Bundesanwaltschaft Mittäterin


"Hoher Senat“, beginnt Diemer zehn Minuten später das Plädoyer der Anklagebehörde. In einer Art Einführung macht er zunächst grundsätzliche Anmerkungen zum Prozess. Die Bundesanwaltschaft sieht ihre Vorwürfe durch den Prozessverlauf in allen Punkten bestätigt. Beate Zschäpe sei Mitgründerin, Mitglied und Mittäterin der Terrororganisation NSU gewesen. "Ohne ihr Zutun“ hätte der NSU seine Verbrechen nicht begehen können, Verbrechen die, wie es die Bundesanwaltschaft formuliert, einem "widerwärtigen Naziregime den Weg bereiten“ sollten.

Bundesanwaltschaft weist Kritik zurück


Es sei unzutreffend, wenn behauptet werde, das Umfeld des NSU und weitere Unterstützerkreise seien nicht weiter ausgeleuchtet worden. Mögliche Fehler von Behörden aufzuklären sei zudem Aufgabe politischer Gremien oder anderer Untersuchungskommissionen, betont Diemer. Die Beweisaufnahme sei der menschlichen, gesellschaftlichen und historischen Bedeutung des Strafprozesses in jeder Hinsicht gerecht geworden. Sätze, die später vor der Tür von vielen Opferanwälten scharf kritisiert werden. "Das gibt meinen Mandanten nicht den Frieden in der Nacht“, sagt etwa Mehmet Daimagüler, "sie haben nicht das Gefühl, und zwar zu Recht nicht das Gefühl, dass der Staat alles getan hat, um aufzuklären. In diesem Saal werden wir nur ein Fragment der Wahrheit kennenlernen.“ Und sein Kollege Sebastian Scharmer ergänzt: "Insbesondere wie groß das Netzwerk des NSU tatsächlich gewesen ist, wie groß die terroristische Vereinigung gewesen ist und wer an den Morden noch beteiligt gewesen ist“, das alles habe die Bundesanwaltschaft einfach beiseite geschoben. Ein Vorgeschmack auf die Schlussanträge der Nebenkläger, doch heute und die nächsten Tage hat im Saal nur die Bundesanwaltschaft das Wort.

Nach 45 Minuten immer eine Pause

Oberstaatsanwältin Anette Greger übernimmt es, die Vorwürfe im einzelnen zu erläutern. Der NSU habe arbeitsteilig seine Verbrechen begangen. Beate Zschäpe sei die "Tarnkappe“ des NSU gewesen. Sie habe die Taten der Männer verschleiert, für Alibis und falsche Ausweise gesorgt, als "Kassenwart“ die Finanzenverwaltet und die Verbrechen auch dokumentiert. Das Bild, das Zschäpe in ihrer Einlassung selbst von sich gezeichnet hat, versucht Greger durch viele Zeugenaussagen und Indizien zu widerlegen. Sie sei nicht die macht- und hilflose Person gewesen. "Beate hatte ihre Männer im Griff“ zitiert Greger etwa die Aussage von Zschäpes Cousin. Sie erinnert an Fotos, die das Trio kurz nach dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße vergnügt und harmonisch im Urlaub zeigen. "Wie passt das“, fragt Greger, "zu der Angabe von Zschäpe“, die nach dem Anschlag wütend auf ihre beiden Uwes und deren Verbrechen gewesen sein will. Und schließlich betont die Oberstaatsanwältin, dass Zschäpe auch schon vor dem Untertauchen im Januar 1998 rechtsextrem und gewaltbereit gewesen sei. Zum Beweis führt sie die Beteiligung Zschäpes an mehreren einschlägigen Delikten in den Jahren 1996 und 1997 an. Alle 45 Minuten legt das Gericht eine Pause ein, insbesondere die Verteidigung von Ralf Wohlleben hatte zuvor beklagt, dass ihr Mandant dem Vortrag der Bundesanwaltschaft nicht mehr folgen könne.

Der weitere Fahrplan

Von den angekündigten zweiundzwanzig Stunden Schlussantrag schafft die Bundesanwaltschaft heute gut zwei Stunden. Die restlichen vier Verhandlungstage sollten also gerade für ihre Plädoyer reichen. Ein konkretes Strafmaß wollen die Ankläger erst am Ende ihres Vortrages fordern. Aber schon nach dem Auftakt zweifelt niemand daran, dass die Bundesanwälte eine lebenslange Haftstrafe fordern werden und auch die besondere Schwere der Schuld gegeben sehen dürften. Die Verbrechen des NSU seien die "heftigsten und infamsten“ Terroranschläge seit denen der linksextremen Rote Armee Fraktion (RAF), hat Bundesanwalt Diemer gleich zu Beginn betont. Ob der Münchner Staatsschutzsenat dies auch so sieht, dürfte sich in wenigen Monaten erweisen. Auch wenn das Gericht gestern vorsorglich Verhandlungstage bis August nächsten Jahres reserviert hat. Nach der Sommerpause geht es mit den Plädoyers von Nebenklage und Verteidigung weiter, ein Urteil noch in diesem Jahr ist damit höchstwahrscheinlich.


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