NSU-Prozess


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364. Verhandlungstag, 18.5.2017 Gutachter im Kreuzverhör

Nach Ansicht des Freiburger Psychiaters Joachim Bauer ist die Schuldfähigkeit von Beate Zschäpe wegen einer krankhaften Persönlichkeitsstörung eingeschränkt. Damit sieht er die Hauptangeklagte im NSU-Prozess völlig anders als der vom Gericht bestellte Forensiker Henning Saß, der zudem im Gegensatz zu Bauer Zschäpe auch künftig für gefährlich hält. Am Donnerstag musste sich der von der Verteidigung beauftragte Psychiater stundenlang vielen kritischen Fragen stellen.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 18.05.2017 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

18 Mai

Donnerstag, 18. Mai 2017

An Selbstbewusstsein mangelt es dem Professor aus Freiburg nicht. Er habe ein "sehr gutes Gutachten" erstellt, sagt er an einer Stelle der mehrstündigen Befragung durch Richter Manfred Götzl. Der will an diesem Verhandlungstag ganz genau wissen, warum der Freiburger Psychiater die Darstellung von Zschäpe für glaubwürdig hält. Und warum sie seiner Meinung nach an einer dependenten Persönlichkeitsstörung leidet, die ihre Schuldfähigkeit einschränke. Bauer berichtet überraschender Weise von einem weiteren Treffen mit Zschäpe nach der Erstattung seines Gutachtens in der Justizvollzuganstalt Stadelheim. Dort habe er sie unter anderem gefragt, warum sie nach dem Mordtaten protestiert habe, obwohl doch Uwe Böhnhardt sie immer wieder misshandelt habe. Laut Bauer habe Zschäpe das als "Reflexschrei" erklärt, als spontanen Protest, über dessen Folgen sie sich in dem Moment keine Gedanken gemacht habe.

Bauer hält Zschäpe für glaubwürdig

Der Freiburger Psychiater bleibt auch nach stundenlanger Befragung bei seiner Überzeugung. An mehreren Stellen muss er allerdings einräumen, dass er mit Zschäpe über viele Sachverhalte gar nicht gesprochen habe. Aber nicht, weil er das vermeiden wollte, sondern weil schlicht die Zeit nicht dafür ausgereicht habe, die für seine Exploration zur Verfügung hatte. Und diese punktuelle Befassung mit nur drei Morden und den Aussagen weniger Zeugen des Verfahren, das lassen auch die vielen kritischen Nachfragen von Seiten der Bundesanwaltschaft erkennen, ist wohl der größte Schwachpunkt seines Gutachtens.

Anders als der von ihm "hochverehrte Kollege Saß - das ist keine Floskel", so betont Bauer mehrfach, hat er zwar mit Zschäpe gesprochen, aber dabei nur einen Bruchteil von Dingen exploriert. Angesichts der vielen Verbrechen, die der NSU über viele Jahre begangen hat, haken da auch viele Opfervertreter nach: "Kann man da die eingeschränkte Schuldfähigkeit für alle Taten annehmen?" Eine Frage, die Anwältin Doris Dierbach stellt diese Frage für viele im Saal. Der Freiburger Psychiater Bauer meint ja, da er von einem "überdauernden Schema einer dependenten Persönlichkeitsstörung" bei Beate Zschäpe ausgeht.

Zweifel an der fachlichen Befähigung

An seiner fachlichen Eignung als Gutachter haben viele Opferanwälte allerdings erhebliche Zweifel. Auf Nachfrage muss Bauer einräumen, dass er Anfang der achtziger Jahre als Assistent lediglich an fünf forensischen Gutachten mitgewirkt habe. Und auch die Publikation "Mindestanforderungen für forensische Prognosegutachten" ist Bauer nach eigenen Angaben nicht bekannt. Immer wieder entsteht der Eindruck, dass Bauer nicht ein nüchtern analysierender Gutachter ist, sondern eher ein Therapeut, der viel Verständnis für seine Patientin zu haben scheint. Dazu passt auch eine Episode, die durch einen Vermerk aus der Justizvollzugsanstalt Stadelheim bekannt wird. Bei einem seiner Besuche hat Bauer demnach eine kleine Schachtel Pralinen für Zschäpe dabei gehabt. Das sei nur eine "reine Geste der Humanität" gewesen, verteidigt Bauer sein Mitbringsel und verwehrt sich dagegen, in diesen "Akt der Humanität" etwas hineinzuinterpretieren.


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