NSU-Prozess


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333. Verhandlungstag, 10.1.2017 Zschäpe bestätigt ungewollt Gutachter

Nach zwei vergeblichen Anläufen wollte das Oberlandesgericht endlich das psychatrische Gutachten über Beate Zschäpe in den NSU-Prozess einführen. Anträge ihrer Altverteidiger verhinderten dies erneut. Doch indirekt machte die Hauptangeklagte die umstrittenen Ausführungen selbst zum Thema - mit einer überraschenden Erklärung.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 10.01.2017 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

10 Januar

Dienstag, 10. Januar 2017

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hält sich nicht lange mit Formalien oder Höflichkeiten auf. Keine besondere Begrüßung am ersten Prozesstag im neuen Jahr. Als sei man erst gestern im großen Schwurgerichtssaal zusammen gesessen, beginnt er nach der Weihnachtspause diesen 333. Verhandlungstag. Götzl ist anzumerken: Heute will er endlich den Sachverständigen Henning Saß hören, der sein psychatrisches Gutachten über Zschäpe in schriftlicher Form schon vor vielen Wochen abgeliefert hatte. Im Dezember hatte der Staatsschutzsenat dessen Anhörung bereits eingeplant, verschiedene Anträge ihrer drei Altverteidiger ließen es nicht dazu kommen. Und auch heute legten noch mal Anja Sturm und Wolfgang Heer nach. Doch das bleibt nur eine Randnotiz.

Zschäpe ergreift die Iniative

Denn völlig überraschend bringt Zschäpe selbst das Gutachten in den Prozess ein: in Form einer Erklärung, die sie von ihrem Wahlverteidiger Mathias Grasel vortragen lässt. Darin geht sie auf alle Punkte ein, die in dem psychiatrischen Gutachten besonders heikel für sie sind. Denn der renommierte Forensiker schreibt auf über 170 Seiten, dass aus seiner Sicht kaum etwas gegen die These der Bundesanwaltschaft spricht: Zschäpe wäre demnach eine gleichberechtigte und aktive Mittäterin im untergetauchten NSU-Trio gewesen. Für völlig unmöglich hält es der Psychiater zwar nicht, dass Zschäpe eine, wie sie selber mehrfach erklären ließ, Mitläuferin gewesen sei, die keinen Einfluss auf die Verbrechen des NSU hatte. Wahrscheinlicher ist für Saß aber eine andere Version: Gestützt auf Akten, Zeugenaussagen und die Beobachtung von Zschäpe in dem Prozess schlussfolgert er, dass sie genau weiß, was sie will, dass sie keine Konflikte scheut, andere manipulieren kann und ihren Willen durchsetzt. Also alles andere als die hilflose und abhängige Geliebte des brutalen Mörders Uwe Böhnhardt wäre, als die sich die Hauptangeklagte heute erneut darzustellen versucht.

Zschäpe versucht, Ungereimtheiten zu erklären

Weil Zschäpe und ihren Verteidigern offenbar selbst aufgefallen ist, dass beispielsweise die von ihr behauptete Wut auf Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach dem Nagelbombenanschlag in Köln und die unbeschwerten Urlaubsfotos der drei wenige Wochen danach nicht wirklich zusammenpassen, versucht sie das heute zu erklären - bevor Professor Saß überhaupt auf diesen Widerspruch hingewiesen hat. Ihre Erklärung, sie sei eben in all den Jahren geübt darin gewesen, ihre wahren Gefühle zu verbergen und sie habe sich nur wegen ihrer Liebe zu Böhnhardt trotz der von ihr scharf verurteilten Tat für den Urlaub entschieden, wirkt aber auf die meisten Prozessbeteiligten und auch auf mich alles andere als glaubhaft. Genauso wie ihre Behauptung, sie hätte auch in den emotionalsten Momenten des Prozesses nur deshalb geschwiegen, weil ihre Altverteidiger ihr dazu geraten hätten. Etwa, als sie von der Mutter des ermordeten Halit Yozgat nach dem "Warum" gefragt wurde, sei ihr das, anders als es zu beobachten war, sehr nahe gegangen. Und sie hätte gerne darauf geantwortet. Was sie aber damals eigentlich hätte sagen wollen, verschweigt Zschäpe erneut. Und weil ihre heutige Aussage damit so kühl und kalkuliert wirkt, fällt mir wieder der alte Juristenspruch ein: Kann man glauben, muss man aber nicht.

Zschäpe bestätigt indirekt den Gutachter

Das ist natürlich eine subjektive Bewertung, die in diesem Prozesstagebuch ausdrücklich erlaubt ist. Genauso wie der folgende Gedanke. Alles, was Beate Zschäpe heute vorgetragen hat, hätte sie auch nach der Einführung des Gutachtens in den Prozess anmerken können. Darauf wollte sie aber nicht warten, sondern hat erneut das Heft des Handelns in die Hand genommen. Hat sich also genau als eine solche Persönlichkeit präsentiert, die in ihr der Gutachter sieht. Ob ihr und ihren Verteidigern bewusst war, dass sie damit dessen Einschätzung indirekt gerade zu noch einmal bestätigt haben?

Völlig unterschiedliche Verteidigungsansätze

Und indirekt wird durch diesen bereits um 14.00 Uhr beendeten Verhandlungstag dann noch eines deutlich. Die drei Altverteidiger und die beiden neuen Vertrauenanwälte von Zschäpe verfolgen völlig unterschiedliche Strategien. Während Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm Teile des Gutachten ablehnen, weil es auch ihre Kommunikation mit der Angeklagten auswertet, haben Hermann Borchert und Stahl in Zschäpes Erklärung die Anweisungen der Juristen an ihre Mandantin als Beleg dafür aufgeführt, wieso in dem Prozess so lange geschwiegen hat. Gegensätzlicher geht es wirklich nicht!


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