NSU-Prozess


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315. Verhandlungstag, 12.10.2016 Briefe lassen Verteidiger-Streit neu aufflackern

Die "Alt"-Verteidiger von Beate Zschäpe fühlen sich "in der Verteidigung behindert". Grund: Das Gericht hat ein wichtiges Schreiben ausschließlich an Zschäpes vierten Pflichtverteidiger Mathias Grasel weitergeleitet.

Von: Ina Krauß

Stand: 12.10.2016 | Archiv

Ina Krauß | Bild: BR/Julia Müller

12 Oktober

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Nach Aussage von Rechtsanwalt Stahl wurde dieses Schreiben nicht an die drei anderen Pflichtverteidiger Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer weitergeleitet.

Als Prozessbeobachter hat man sich längst daran gewöhnt, dass durch Zschäpes Verteidigerriege ein tiefer und gut sichtbarer Riss geht: Auf der Anklagebank nimmt Beate Zschäpe stets neben ihrem Pflichtverteidiger Mathias Grasel Platz, dann bleibt in der Regel ein Platz leer. Er ist ihrem Wahlverteidiger Hermann Borchert vorbehalten, der aber nur äußerst selten im Gerichtssaal auftaucht. Dann erst kommen die Plätze für die drei "Alt"-Verteidiger Sturm, Stahl und Heer. Sie haben keinen direkten Kontakt mehr zu ihrer Mandantin. Auch heute sprach sie in einer Verhandlungspause ausschließlich mit Mathias Grasel, der sie seit Ende 2015 zusätzlich zu Sturm, Stahl und Heer als Pflichtverteidiger vertritt.

Verteidiger: Zschäpe-Brief soll nicht verlesen werden

Dennoch machen die Zschäpe-Verteidiger Sturm, Stahl und Heer ihre Arbeit – heute gaben sie etwa eine Stellungnahme zur umstrittenen Verwertbarkeit eines Briefes von Beate Zschäpe ab. Sie wollen verhindern, dass die Kopie des Briefes vor Gericht verlesen wird. Auf 26 Seiten schrieb Zschäpe im März 2013 an den Neonazi Robin S., der in der JVA Bielefeld im offenen Vollzug saß. Die Nebenklage will das Schreiben in den Prozess einbringen, denn es verrät ziemlich viel über die Persönlichkeit Beate Zschäpes. Sie zeigt sich darin ziemlich selbstbewusst. Ganz anders als im Prozess: In ihren von ihrem Verteidiger Grasel verlesenen Aussagen zeichnet sie das Bild einer emotional abhängigen Frau und Mitläuferin der beiden mordenden Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. So versucht sie offenbar den Vorwurf der Mittäterschaft an zehn Morden zu entkräften. Ihr droht eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Vorwürfe an Richter Götzl

Die Auseinandersetzung um den Brief währt nun schon einige Wochen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte erkennen lassen, dass er erwägt, den Brief als Beweismittel einzubeziehen. Was bisher nicht bekannt war, ist, dass das Gericht den Empfänger des Briefes, Robin S., um eine Stellungnahme bat. Der wehrt sich am 22.9. schriftlich gegen eine Verwendung des Schreibens im NSU-Prozess; sieht seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Diese Antwort von Robin S. leitete das Gericht an Zschäpe-Verteidiger Grasel weiter. Nicht aber an Stahl, Sturm und Heer.

"Wir sind hier im Blindflug unterwegs", beschwerte sich Wolfgang Stahl beim Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Und sein Kollege Wolfgang Heer warf Götzl vor, ihn und seine zwei Kollegen nur noch wie Statisten zur Aufrechterhaltung des Verfahrens zu behandeln.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl reagierte nahezu wortlos. Begründete, dass nur Grasel um die Weiterleitung des Schreibens gebeten hatte. Und verkündete, dass es morgen um 9:30 Uhr weitergeht. 

Damit beendete Götzl einen Verhandlungstag, an dem nur ein Zeuge gehört wurde. Es ging um die Überprüfung einer Aussage des Angeklagten Carsten S., in der er von einer Schlägerei Ende der 90er-Jahre an der Straßenbahnendhaltestelle Rudolstädter Straße in Jena-Winzerla berichtet hatte. Der Zeuge Mario Sch., ehemaliger Ortsteilbürgermeister in Jena-Winzerla, ist stark sehbehindert und kam mit einem Blindenhund. Um die Jahrtausendwende konnte er zwar noch besser sehen, seine Aussage war dennoch wenig ergiebig.

Hat Zschäpe im Mai 2000 in Berlin eine Synagoge ausgespäht?

Wichtig allerdings sind einige wenige Fragen, die Richter Manfred Götzl heute an Beate Zschäpe richtete. Er will von ihr wissen, ob sie sich im Mai 2000 in Berlin aufgehalten hat, mit wem und unter welchen Umständen. Nebenklagevertreter Yavuz Narin hatte die Aussage eines ehemaligen Polizisten aus dem Jahr 2000 entdeckt. Der Wachpolizist hatte am 7.5.2000 eine Frau und einen Mann beobachtet, die offenbar die Synagoge am Prenzlauer Berg ausspähen wollten. Er identifizierte die beiden wenige Tage später als die untergetauchten Neonazis Beate Zschäpe und Uwe Mundlos, über die das Fernsehen in einem Fahndungsaufruf berichtet hatte. Der Wachpolizist ist Ende Oktober als Zeuge im NSU-Prozess geladen.


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