NSU-Prozess


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314. Verhandlungstag, 6.10.2016 Ein brisanter Beweisantrag

War Beate Zschäpe auch an der Ausspähung von Anschlagszielen und Opfern des NSU beteiligt? Ein am Donnerstag von Opferanwalt Yavuz Narin eingebrachter Beweisantrag liefert dafür Indizien - und wirft brisante Fragen auf.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 06.10.2016 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

06 Oktober

Donnerstag, 06. Oktober 2016

Der Polizeibeamte, der am 8. Mai 2000 bei seinen Kollegen im Berliner Landeskriminalamt (LKA) eine Zeugenaussage machte, war sich ganz sicher: Die Frau, die er tags zuvor bei seinem Dienst an der größten Synagoge der Hauptstadt in der Rykestraße gesehen hatte, war Beate Zschäpe. Und einer der beiden Männer, der mit ihr dort über eine Karte gebeugt im Restaurant "Wasserturm" gebeugt saß, war Uwe Mundlos. Die beiden seien auch am Nachmittag dort vorbeigekommen. Um welche Personen es sich handelte, erfuhr der Polizist freilich erst am Abend des 7. Mai - beim Fernsehschauen. Die MDR-Sendung "Kripo live" strahlte einen Fahndungsaufruf aus. Die Polizei suchte die 1998 untergetauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Der Polizist meldete sich daraufhin umgehend bei seinen Kollegen, die am nächsten Tag seine Aussage auf fünf Seiten protokollierten.

War Zschäpe auch an Anschlagsplanungen beteiligt?

Opferanwalt Narin will mit der neuerlichen Vernehmung des Polizeibeamten beweisen, was viele vermuten, für das es bisher aber keine Belege gibt: die aktive Beteiligung von Zschäpe an der Planung von Verbrechen des NSU. Bisher hat ja die Angeklagte in ihren Einlassungen behauptet, mit Ausnahme eines Banküberfalls immer erst im Nachhinein von den Taten erfahren zu haben, die Mundlos und Böhnhardt begingen.

Eine brisante Beobachtung

Auf die Synagoge in Berlin wurde im Zeitraum 1999 bis 2011 keine politisch motivierte Straftat verübt. Das Bundeskriminalamt (BKA) misst der Aussage des Polizisten vom Mai 2000 daher keine besondere Bedeutung zu. Narin freilich sieht das anders. Der NSU habe bei der Auswahl seiner Ziele sehr genau darauf geachtet, dass er bei seinen Verbrechen kein hohes Risiko einging, gefasst oder erkannt zu werden. Weil die Synagoge durch die Polizei und einen privaten Wachdienst gut geschützt war, habe die Terrorzelle offenbar auf ein Verbrechen dort verzichtet. Dass sich aber Mundlos und Zschäpe, die in den Jahren zuvor ihren Hass auf Juden immer wieder zum Ausdruck gebracht hatten, stundenlang zufällig in unmittelbarer Nähe zur Synagoge aufhielten, und das auch noch mit einer Landkarte oder einem Stadtplan, lässt aus Sicht des Münchner Anwalts nur einen Schluss zu: Die beiden prüften, ob ein Anschlag möglich war. Und das nur wenige Monate vor dem ersten NSU-Mord im September 2000.

Der Beweisantrag wirft Fragen auf

Doch nicht nur deswegen hat der Beweisantrag heute im Umfeld des Gerichtssaals für Diskussionen gesorgt. Was hat die Polizei eigentlich nach der Zeugenaussage ihres Kollegen unternommen, um die am Abend zuvor per Fernsehaufruf gesuchten Personen zu finden? Das ist die eine brisante Frage, die andere lautet: Wer waren eigentlich die vom Beamten beschriebenen weiteren Begleitpersonen von Mundlos und Zschäpe? Uwe Böhnhardt hat der Polizist nicht gesehen. Wer waren der weitere Mann, die andere Frau und die zwei Kinder? Beides mag der Vorsitzende Richter Manfred Götzl demnächst vielleicht wieder als für die Urteilsfindung ohne erhebliche Bedeutung einstufen. Doch eine genauere Überprüfung der möglichen Beteiligung von Zschäpe an den Planungen der Verbrechen wird er nicht so leicht zurückweisen können. Denn der Anklagepunkt der Mittäterschaft steht ja seit Beginn des Prozesses auf einem juristisch etwas wackligen Fundament. Wenn es zusätzliche Indizien geben sollte, wären die allemal auch in diesem späten Stadium des Prozesses verfahrensrelevant.

V-Mann "Primus" wird nicht geladen

Dass sich der Senat in vielen Punkten bereits seine Meinung gebildet hat, machte er am heutigen 314. Verhandlungstag mit der Ablehnung einer ganzen Reihe von Beweisanträgen der Verteidiger von Ralf Wohlleben deutlich. Die hatten vor einigen Wochen beantragt, die Rolle des inzwischen in der Schweiz lebenden Neonazis Ralf M. näher zu beleuchten. Die ARD hatte im Sommer aufgedeckt, dass der ehemalige V-Mann des Verfassungsschutzes mit Decknamen "Primus" Uwe Mundlos möglicherweise nach dessen Abtauchen in seiner Bauunternehmung beschäftigte. Und "Primus" könnte den NSU, so die These von Rechtsanwalt Olaf Klemke, aus der Schweiz auch mit Waffen versorgt haben. Doch das Gericht sieht keinen Grund, deshalb den V-Mann zu laden. "Selbst wenn es so gewesen wäre", begründet Götzl die Ablehnung der Anträge, hätte es "für die Überzeugung des Gerichts keine tatsächliche Bedeutung". Es sei längst klar, dass Mundlos und Böhnhardt über eine Vielzahl von Waffen verfügten und deshalb noch von einer unbekannten Quelle damit versorgt worden sein müssen. Denn die Angeklagten Ralf Wohlleben und der geständige Carsten S. hätten nur die Ceska-Pistole besorgt.

Verurteilung von Wohlleben immer wahrscheinlicher

Fast eine Stunde lang begründet der Richter die Ablehnung der Anträge. Danach wirken die Anwälte von Wohlleben regelrecht resigniert. Der Senat sei nicht mehr bereit, die Herkunft der Tatwaffe ergebnisoffen zu prüfen, lamentiert Verteidiger Klemke, sondern habe sich die Arbeitshypothese der Bundesanwaltschaft zu eigen gemacht. Der Richter habe keinen Beschluss erläutert, sondern "ein Urteil verkündet". So kann man das in der Tat sehen. Der Staatsschutzsenat scheint, das lässt er heute erneut durchblicken, von der Schuld des früheren NPD-Funktionärs überzeugt. Wohlleben hat laut Anklage Beihilfe zum Mord geleistet, weil er zusammen mit Carsten S. die Pistole besorgt hat, mit denen Böhnhardt und Mundlos neun ihrer zehn Opfer töteten.


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