NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 281. Verhandlungstag, 10.5.2016

Einzige Zeugin ist am 281. Verhandlungstag eine Ermittlerin des Bundeskriminalamts (BKA). Es geht um die Frage, ob Beate Zschäpe vom Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Wohnmobil in Eisenach tatsächlich aus dem Radio erfuhr.

Von: Ina Krauß, Eckhart Querner

Stand: 10.05.2016 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Die Polizeibeamtin korrigiert frühere Ermittlungsergebnisse bezüglich einer Angabe von Zschäpe in ihrer schriftlichen Erklärung vom Dezember 2015. Es geht um die Frage, ob Zschäpe tatsächlich aus dem Radio vom Tod ihrer Freunde in Eisenach erfuhr, wie sie behauptet. Die Ermittlerin des BKA hält die Aussage Zschäpes mittlerweile für glaubhaft. Zum Abschluss des Verhandlungstages geht es um den Beweisantrag von Nebenklägern der Kasseler Opferfamilie Yozgat. Diesen Beweisantrag, mit dem die Rolle eines Verfassungsschutzbeamten näher untersucht werden sollte, lehnt das Gericht ab.

Zeugin:

  • Kriminalkommissarin Jeanette P., Bundeskriminalamt (Vernehmung zu Zschäpe-Aussage)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Ina Krauß, BR)
Beginn 9.47 Uhr.
Richter Manfred Götzl begrüßt Anwesende und kommt gleich zur Sache: Die Anträge von Hermann Borchert (Verteidigung von Beate Zschäpe) und von Olaf Klemke (Verteidigung von Ralf Wohlleben) werden abgelehnt. Die Anwälte hatten beantragt, die Verhandlung auszusetzen, damit sie die Originalakten und ihre Kopien auf einer externen Festplatte vergleichen können. Sinngemäß sagt Götzl, man muss eigentlich in einem Rechtsstaat davon ausgehen, dass die Verteidiger dem Gericht vertrauen, dass die Kopie vollständig ist und das Gericht ihnen nicht mutwillig Aktenbestandteile vorenthält. Vertrauen ist das Stichwort, das öfter fällt. In der Begründung führt Götzl an, dass es beim Kopieren der Originalakten zu Fehlern kommen kann. Gericht kann keine Garantie für die Kopien übernehmen, was deren Qualität betrifft. Götzl klingt insgesamt genervt bis ärgerlich (redet leicht müde).

10.04 Uhr.
Zeugin Jeanette P., 28 Jahre alt, Kriminalkommissarin beim BKA.
Götzl: Thema: Ergänzende Ermittlungen zum Wohnmobil.

(Eckhart Querner, BR)
P: Am 17. März 2016 war ich hier, habe die Ergebnisse vorgetragen. Radio sichergestellt. Internetverlauf festgestellt: Neun Radioseiten wurden angesurft. Bei drei Sendern habe ich angefragt: MDR-Info berichtete erst ab 15.30 Uhr über Leichenfund. Bei MDR-Thüringen und MDR Jump lagen keine Nachrichtenmeldungen mehr vor. Matthias Reiche (MDR / ARD-Reporter beim Prozess) hat nachrecherchiert und Artikel geschrieben. Demnach gab es Meldungen über Leichenfund bereits um 14.00 Uhr.

Die Zeugin P. hat daraufhin nochmal nachgehakt und kontaktierte auch Reiche. Von ihm hat sie die Meldung zugeschickt bekommen. Zusätzlich Kontaktaufnahme mit Antenne Thüringen (wurde nicht von Zschäpe angesurft). Dort auch um 14.00 Uhr Bericht über Leichenfund. 12.00, 13.00, 14.00, 15.00 Uhr: insgesamt vier Berichte. Die ersten beiden nur über Banküberfall, ab 14.00 Uhr Verbindung zwischen Explosion im Wohnmobil und Überfall. Fazit: Über diese beiden Radiosender könnte Zschäpe vom Tod von Mundlos und Böhnhardt erfahren haben. Aus Internetverlauf ist das aber nicht ersichtlich. Um 14.00 Uhr wurde ein Tierheim angesurft. Googlen nach Mittel gegen Übelkeit, Fernsehprogramm etc.

Götzl: Sind Fragen?
Zeugin entlassen.
10.11 Uhr.

(Ina Krauß, BR)
Fortsetzung 10.35 Uhr.
Freibeweisverfahren, Vermerk 17. September 1998.
Am 17. September 1998 fand im Innenministerium Brandenburg Beratung statt. Thema (basierend auf V-Mann-Informationen): Jan W. ("Blood & Honour" Sachsen) soll zur Zeit den Auftrag haben, für die drei gesuchten, in Thüringen untergetauchten Skinheads Waffe zu besorgen. Geld dafür sollte von "Blood & Honour" Sachsen kommen. Antje P. (ebenfalls "Blood & Honour" Sachsen) sollte Zschäpe ihren Ausweis zur Verfügung stellen, um Ausreise nach Südafrika möglich zu machen.
Anwesend: Innenministerium und Verfassungsschutz Brandenburg, Verfassungsschutz Sachsen und andere.
Innenministerium Brandenburg ist nicht dafür, die Information an die Polizei weiterzugeben. Entscheidung: Verfassungsschutz Thüringen gibt die Info an Landeskriminalamt (LKA) Thüringen weiter ohne Angabe von Quelle. Antje P. wird überwacht.
Am 17. September 1998 teilte Verfassungsschutz Thüringen mit: Es gab eine Besprechung mit LKA Thüringen, das genauere Infos anforderte, um richterliche Genehmigung für Überwachungsmaßnahmen einholen zu können.
Entscheidung: Meldung (vom V-Mann) darf nicht weitergegeben werden, es darf auf keinen Fall was nach außen dringen.

Götzl verkündet folgenden Beschluss:

Abgelehnt wird: Antrag, Zeuge Ralf L. zu vernehmen, dass er in den 1990er-Jahren Gruppierung angehört hat mit Brüdern E., mit ihnen zusammenwirkte und Kontakte zu russischen Banden hatte, dass er unter Spitznahmen "Ralle" Verantwortung für Rekrutierung von Nachwuchs für kriminelle Aktivitäten hatte; dass er Uwe Böhnhardt rekrutierte und für seine Disziplinierung zuständig war; dass er ihn einmal schwer körperlich schwer misshandelte, sollte Schutzgeld eintreiben; dass er sich in hessischem Rockermilieu bewegte, Kasseler "Hells Angels" kannte; dass er weiterhin Kontakte zu Jenaer Neonazi-Szene hatte, auch zu Holger G. und Ralf Wohlleben.

Abgelehnt wird: Zeuge Volker B. zu vernehmen, zum Beweis der Tatsache, dass er Uwe Mundlos häufig in Gaststätte "Scharfes Eck" getroffen habe, dort Kontakte zu Rockermilieu hatte. Auch dem Antrag, Zeuge Volker B. zu vernehmen, dass neben Uwe Mundlos auch Andreas Temme im "Schafen Eck" verkehrte, wird nicht nachgekommen. Weitere Zeugen ebenfalls abgelehnt: Ralf und Anja W.

Begründung: Tatsächlich ohne Bedeutung. Bei L. und B., weil Aufklärungspflicht des Gerichtes zu diesen Ermittlungen nicht drängt. Selbst im Falle einer Bestätigung hat es keinen Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts über die Schuldfrage. Auch lassen sich keine Rückschlüsse auf Persönlichkeit und Sozialisation von Zschäpe ziehen.
Temme: Antragsteller vermuten nur, dass L. und Temme aufeinandertrafen, weil sich beide im selben Rockermilieu aufhielten oder in selber Gaststätte verkehrten.
Dass Temme und Mundlos sich kannten, ist Spekulation. Dass der Verfassungsschutz mitwirkte, ist "reine Spekulation".

(Eckhart Querner, BR)
12.07 Uhr.
Götzl: Frage an Sie, Frau Zschäpe, oder an Ihre Anwälte: Kommen Sie vor Pfingsten noch zur Beantwortung der Fragen?
Wir peilen das für Donnerstag an (sagt Grasel und meint übermorgen).
Schluss für heute.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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