NSU-Prozess


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263. Verhandlungstag, 23.2.2016 Auch ein Opfer des NSU

Bei allem berechtigten Entsetzen über die Morde und Sprengstoffanschläge des NSU, bleiben die mehr als ein Dutzend Raubüberfälle der Terrorgruppe meist unbeachtet - und damit auch die Menschen, die bei diesen Verbrechen psychisch und körperlich verletzt wurden. Um eines der vergessenen Opfer des NSU ging es heute im Sitzungssaal A 101.

Von: Thies Marsen

Stand: 23.02.2016 | Archiv

Thies Marsen | Bild: BR/Theresa Högner

23 Februar

Dienstag, 23. Februar 2016

Nico R. war einfach nur ein Azubi, der eine Lehre zum Bankkaufmann machte. Und leider war er damit zur falschen Zeit am falschen Ort - genauer: am 5. Oktober 2006 in einer Sparkassen-Filiale in Zwickau, die an diesem Tag von Uwe Böhnhardt überfallen wurde. Ein untypischer Überfall für den NSU, denn Böhnhardt kam alleine ohne Uwe Mundlos. Und es fielen Schüsse. Nachdem Böhnhardt zunächst gedroht hatte, Nico R. zu erschießen, falls der Tresorraum nicht geöffnet würde, wusste sich der damals 18-Jährige Azubi nicht anders zu helfen, als den Bankräuber mit dem Mute der Verzweiflung anzugreifen. Er stürzte sich auf Böhnhardt, dieser drückt ab und verpasste Nico R. einen Bauchschuss.

Ein beinahe tödlicher Schuss

zum Artikel 263. Tag im NSU-Prozess Ein mutiger Azubi wurde zum Opfer

Die Beweisaufnahme im NSU-Prozess geht in die Endrunde. Die mutmaßlich vom NSU begangenen Morde und Attentate sind weitestgehend abgearbeitet. Momentan befasst sich das Gericht mit den Banküberfällen. Von Alf Meier [mehr]

Es sind vor allem medizinische Fachbegriffe, die heute im Gerichtssaal vorgetragen werden - erst von der Narkoseärztin und dem Chirurgen, der die Not-Operation vornahm, anschließend vom sachverständigen Rechtsmediziner. Doch auch der Zuhörer ohne Medizinstudium erkennt, welch ein Glück Nico R. damals hatte. Dass er nur dank einer sofortigen Infusion und einer Not-OP überlebte. Dass das Projektil sich auf fast wundersame Weise einen Weg vorbei am Magen und zwischen den Darmschlingen hindurch suchte, so dass diese beiden Organe nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dass aber Milz und Bauchspeicheldrüse verletzt wurden, erstere so schwer, dass sie schließlich sogar entfernt werden musste.

Gezeichnet - für immer

Glück im Unglück könnte man das nennen, dass es nur die Milz getroffen hat und nicht ein lebenswichtiges Organ. Doch ein Sachverständiger macht klar, dass Nico R. für den Rest seines Lebens gezeichnet und gefährdet ist. Denn das Fehlen der Milz ist quasi eine tickende Zeitbombe. Weil dieses Organ wichtige Funktionen für die Immunabwehr übernimmt, droht ohne Milz jederzeit eine Sepsis - ein Überschwemmen des Körpers mit Bakterien, potentiell tödlich.

Nico R. bleibt nichts übrig als mit dieser ständigen Gefahr zu leben. Sein Leben wurde durch den Überfall ohnehin völlig durcheinandergewirbelt, wie er vergangene Woche im NSU-Prozess schilderte. Er brach die Banklehre ab, wurde Tischler, hat oft Probleme mit dem Immunsystem. Auch er ist ein Opfer des NSU, nur eben eines, das oft vergessen wird.


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