NSU-Prozess


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255. Verhandlungstag, 14.1.2016 Ein müder und resignierter Wohlleben

Im NSU-Prozess ist die Befragung von Ralf Wohlleben vorerst beendet. Am Schluss saß er zusammengesunken und resigniert auf der Anklagebank. Hat er begriffen, dass er mit seiner Strategie, sich zu entlasten, vermutlich grandios gescheitert ist?

Von: Eckhart Querner

Stand: 14.01.2016 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: BR

14 Januar

Donnerstag, 14. Januar 2016

Den ganzen Tag hat Ralf Wohlleben in aufrechter Haltung die Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl beantwortet. Es dürften anstrengende Stunden gewesen sein für den mutmaßlichen Waffenlieferanten der untergetauchten NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. "Gab es Überlegungen von Böhnhardt, sich zu stellen?", fragt Götzl. "Wie oft haben Sie mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe telefoniert?" "Haben Sie sich mit einem der drei unterhalten, wovon sie [im Untergrund] leben?" Als am frühen Nachmittag weder der Richter noch die Bundesanwälte, weder die Verteidiger noch die vielen Nebenkläger weitere Fragen an ihn haben, verlässt Wohlleben seine straffe Körperhaltung. Er sitzt jetzt zusammengesunken auf der Anklagebank und wirkt müde und resigniert.

Tageszusammenfassung

Archivbild: Der Angeklagte Ralf Wohlleben kommt am 18.12.2013 in den Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München | Bild: picture-alliance/dpa zum Artikel NSU-Prozess, 255. Verhandlungstag Wohlleben redet viel und sagt wenig

"Das wäre spekulativ": Dieser Satz prägte die vergangenen Verhandlungstage. Ralf Wohlleben sagte ihn, wenn er auf detaillierte Fragen nicht konkret antworten konnte - weil ihn angeblich das Gedächtnis im Stich ließ. Von Tim Aßmann [mehr]

Wie am Vortag macht Wohlleben bei vielen Fragen zunehmend Erinnerungslücken geltend, kann oder will die Fragen nicht beantworten, hat angeblich oder tatsächlich vieles vergessen. Und trotzdem entsteht der Eindruck, der Angeklagte sei kooperativ und versuche, gemeinsam mit dem Gericht zur Aufklärung vieler Details beizutragen. Er schließt Sachverhalte meist nicht kategorisch aus, bleibt vage und substanzlos. Gerne benutzt er Formulierungen wie: "Da könnte ich nur spekulieren". Oder er gibt etwas zu, was strafrechtlich keine Konsequenzen hat. Aber er erklärt noch einmal, dass er Gewalt abgelehnt habe und bestreitet, die Ceska-Pistole besorgt zu haben, mit der neun der zehn NSU-Opfer erschossen wurden.

Ein "Kartell des Schweigens"?

Zunächst sieht es nach einem Tag nicht enden wollender Detailfragen aus. Doch nach der Mittagspause erklärt Richter Götzl unvermittelt, er habe keine weiteren Fragen. Noch überraschter dann die Äußerung der Bundesanwälte, auch sie hätten keine Fragen an Wohlleben. Und das, obwohl viele Beobachter damit gerechnet haben, dass die Vertreter der Anklagebehörde den Angeklagten noch einmal richtig in die Mangel nehmen würden. Lediglich die Verteidiger des Mitangeklagten Carsten S., der Wohlleben schon früh im NSU-Verfahren belastet hat, stellen ein paar Nachfragen. Und auch fast alle Nebenklage-Anwälte bleiben stumm. Ist es ein "Kartell des Schweigens", in dem sich vielleicht viele Prozessbeteiligten zusammengetan haben? Sind sie unvorbereitet oder desinteressiert? Wohl kaum!

"Eine Zumutung"

Drei Anwälte der Nebenklage, die verschiedene Opferangehörige vertreten, bringen es am Ende dieses 255. Verhandlungstages auf den Punkt. Sebastian Scharmer spricht im Namen von Gamze Kubasik, deren Vater 2006 in Dortmund mutmaßlich von Böhnhardt und Mundlos erschossen wurde. Scharmer sagt, seine Mandantin empfinde die Aussagen von Ralf Wohlleben als eine Zumutung. Die rechte Szene in Jena habe der Angeklagte als Gruppe von "Nationalpazifisten" und "Friedensbewegung" dargestellt.

Weit schärfer ist Anwältin Antonia von der Behrens. Wohlleben habe alle Beweise für die Radikalisierung der Kameradschaft Jena geliefert: die Gründung eines handverlesenen Kreises, das Bauen von Bombenattrappen mit echtem TNT-Sprengstoff, der Besitz eines Gerätes, mit dem Wohlleben den Polizeifunk abhören konnte. Er wusste von Schießübungen, auch wenn sie in Südafrika stattfanden, und wusste also auch - so von der Behrens - was mit der Ceska-Waffe passieren würde.

Der wichtigste NSU-Unterstützer - eine "Friedenstaube"

Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann hält die späte Einlassung Wohllebens - nach über zweieinhalb Jahren und über 250 Verhandlungstagen - für unglaubwürdig. Sie sei um die bisherige Beweisaufnahme "herumkonstruiert" worden. Der 40-Jährige habe keine Angaben zu seiner Entlastung gemacht. In Wohllebens eigenen politischen Darstellung, so Hoffmann, ist der mutmaßlich wichtigste NSU-Unterstützer eine Friedenstaube gewesen.

Wenn Wohlleben also am Ende seiner Befragung zusammengesunken und wie resigniert auf der Anklagebank sitzt, hat er vermutlich begriffen, dass er mit seiner Strategie, sich zu entlasten, grandios gescheitert ist.


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