NSU-Prozess


0

NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 207. Verhandlungstag: V-Mann ohne es zu merken?

An diesem sehr kurzen Prozesstag wird nur ein Zeuge angehört: Der "Blood & Honour"-Funktionär Marcel D. war bereits einmal verhört worden und hatte damals seine als gesichert geltende V-Mann-Tätigkeit beim Thüringer Verfassungsschutz geleugnet. Auch heute bleibt er bei seiner Aussage.

Von: Thies Marsen, Mira Barthelmann

Stand: 20.05.2015 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

An diesem sehr kurzen Prozesstag wird nur ein Zeuge angehört: Der "Blood & Honour"-Funktionär Marcel D. war bereits einmal verhört worden und hatte damals seine als gesichert geltende V-Mann-Tätigkeit beim Thüringer Verfassungsschutz geleugnet. Auch heute bleibt er bei seiner Aussage.

Zeugen

Marcel D. (Umfeld Angeklagte)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Thies Marsen, BR)
9.57 Uhr
Heute wenig Presse, aber viele Zuschauer, vor allem Schüler, nur die Bank an der Rückwand ist noch frei.

Der für den Nachmittag geladene Zeuge Rocco E. (Erkenntnisse zur rechten Szene Chemnitz, Erkenntnisse zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe) hat sich entschuldigt.
Einziger Zeuge ist heute also Marcel D. Er war Sektionschef von "Blood&Honour Thüringen" bis zum Verbot 2000, außerdem Bundeskassenwart von B&H und Chef der B&H-Jugendorganisation "White Youth". Außerdem war D. Spitzel des Landesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen.

Rechtsanwalt Stahl (Verteidigung Zschäpe) ist heute nicht da.
Zschäpe im schwarzen Kostüm, die Haare zum Zopf geflochten.

9.46 Uhr
Es geht los
Zeuge Marcel D. - hatte bei seinem ersten Auftritt im April behauptet, nie Spitzel des Verfassungsschutzes gewesen zu sein, obwohl Richter Götzl zu Beginn seiner Befragung die Aussagegenehmigung des LfV Thüringen verlesen hat - womit amtlich bestätigt ist, dass er V-Mann war.
Rechtsanwalt Hoffmann (Nebenklage Keupstr.): Zeuge W. (Ex-V-Mann-Führer des LfV Thüringen) hat uns bestätigt, dass Sie als V-Mann für LfV gearbeitet haben.
D: Ich hab nicht erwartet, dass die was anderes sagen.

Er bleibt aber dabei, dass er kein VS-Spitzel war.
Die Nebenklagevertreter Narin, Hoffmann, Basay und v. d. Behrens bitten um eine Viertelstunde Pause, um ihren Fragenkatalog zu überarbeiten.
Rechtsanwalt Heer (Verteidigung Zschäpe) erhebt Einspruch, sei doch nicht  überraschend.
Götzl unterbricht trotzdem bis 10.10 Uhr.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
10:12 Uhr
Fortsetzung der Verhandlung
Hoffmann: Angesichts des Aussageverhaltens des Zeugens verzichte ich darauf jetzt weitere Fragen zu stellen, kündige aber an, dass ich der Entlassung widersprechen werde.
Rechtsanwalt Kolloge (Nebenklage Turgut): Ich betrachte das als sinnlos, was der Zeuge sagt. "Ich gebe keine Antworten." Ich finde, das ist keine Aussageverweigerung, sondern Zeugnisverweigerung. Antrag, dass der Zeuge gezwungen wird, Aussage zu machen.
Rechtsanwältin Schneiders (Verteidigung Wohlleben): Ich sehe überhaupt keinen Anlass dem einen Zeugen vom Landesamt für Verfassungsschutz mehr zu glauben als dem Zeugen hier.

Zeuge wird raus gebeten.

Rechtsanwalt Klemke (Verteidigung Wohlleben): Ich halte es für absurd §70 anzuwenden.
Götzl: §70: "Ich will nicht aussagen." Zeugnispflicht als solche wird verletzt. §153 ff StGB: Hier geht es um die wahrheitsgemäße Aussage.

G: Sie (an Kolloge) wollen erzwingen, dass der Zeuge wahrheitsgemäß aussagt. Bei §70 geht es aber um die Erfüllung der Zeugnis- und Eidespflicht als solche.
Kolloge: Das was der Zeuge macht, ist nicht nur unwahr, sondern eine grundlose Zeugnisverweigerung. Da die Angabe des Grundes falsch ist, meine ich, dass der Zeuge gezwungen werden kann. Das ist häufig so, wenn Zeugen hier sagen: Das weiß ich nicht.
Götzl: Nein, das war hier noch nie so. Es gibt sehr gute Gründe einem Zeugen die Daumenschrauben anzulegen, ich bitte, da weiter zu denken.
Sollen die Anträge aufrechterhalten werden?

(Thies Marsen, BR)
G: Wenn wir das Thema diskutieren, dann bitte mit Präzision. Seine Antworten mögen falsch sein, aber er verweigert nicht die wahrheitsgemäße Aussage.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Bundesanwalt Diemer: Ich sehe das auch so, entgegen der anders lautenden Aussagen von W. (LfV Thüringen). Er hat eine Aussage gemacht. Wir haben nach der Menschenrechtskonvention ein Folterverbot. Dieses Folterverbot gilt auch hier in diesem Prozess.
Kolloge: Mittel von §70 sind nicht als Mittel der Folter anzusehen.
Götzl: Es geht um Haft.

(Thies Marsen, BR)
Rechtsanwalt Narin (Nebenklage Boulgarides): Angesichts des Aussageverhaltens kann von einer Aussageverweigerung ausgegangen werden, weil die Tätigkeit des Verfassungsschutz so eng verwoben ist mit den übrigen Fragestellungen. Die Verweigerung zu Aussagen zu diesem Gesamtkomplex kommt einer Aussageverweigerung gleich.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Götzl: Ich wiederhole. "Ich will nicht aussagen!" = §70. "Ich will nicht wahrheitsgemäß aussagen!" = §153. Wir sind hier schon an einem wesentlichen Punkt. Wichtig für unser Verfassungsverständnis. Wir sprechen hier über zentrale Vorschriften.
Kolloge hält Antrag aufrecht.
Rückzug zur Beratung. Fortsetzung um 10:35 Uhr

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
11.06 Uhr
Fortsetzung
Götzl: Antrag wird abgelehnt. Verweigert er Zeugnis, dann Ordnungsgeld und Ordnungshaft. §70 dient nicht der Erzwingung von wahrheitsgemäßen Aussagen. Maßnahmen von §70 sind dafür nicht bestimmt. Zwangsmaßnahmen werden nicht verhängt.

(Thies Marsen, BR)
G: Anträge der NK, Zwangsmaßnahmen zu verhängen, werden abgelehnt.
Es geht um Aussagen, nicht um wahrheitsgemäße Aussagen. Gericht darf nur dann nach §70 vorgehen, wenn der Zeuge Aussage ablehnt.
Die Frage, ob er Mitarbeiter des VS Thüringen war, hat er beantwortet, indem er es abgestritten hat.

Zeuge kommt wieder rein
Göztl: Weitere Fragen?
Kein NK meldet sich.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
G: Sie haben heute nochmal den Vorhalt gehört. Wollen Sie Ihre Angaben ändern?
D: Nein.
G: Wenn der Entlassung widersprochen wird, dann geht es darum, dass er in einer weiteren Vernehmung erneut befragt wird.
Hoffmann: Ich möchte der Entlassung widersprechen und gleichzeitig einen Antrag stellen.
G: Ja, ja. Der Zeuge wird aber erst entlassen. Auf Wiedersehen! Dann kommen wir zu Ihnen,  Rechtsanwalt Hoffmann.

Zeuge kann gehen.

(Thies Marsen, BR)
Hoffmann: beantragt Jürgen Z. vom LfV zu vernehmen: Z. ist derjenige, der nach den Unterlagen den Zeugen geführt hat in seiner Tätigkeit als Informant, er ist derjenige, der am ehesten Kenntnisse über Tätigkeit vermitteln kann. Die Zeugenvernehmung wird ergeben, dass der Zeuge D. eng zusammengearbeitet hat mit anderen Gruppen in Thüringen und in Sachsen u.a. mit Ralf Wohlleben und den Mitgliedern von B&H in Chemnitz. Aufgrund der Vernichtung der Unterlagen zu dem V-Mann haben wir wenig Infos. W. (LfV, wurde schon im April befragt) hat nicht so eng mit D. zusammengearbeitet wie Z., deshalb brauchen wir Zeugen Z.. Erst Z. hören und dann Vernehmung D. abschließen.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Hoffmann: Und dann wird D. von der Masse von Indizien beeindruckt sein. Und deswegen beantrage ich den D. erst danach zu entlassen.
Bundesanwalt Diemer bittet um eine Unterbrechung.

(Thies Marsen, BR)
Narin: schließt sich Antrag Hoffmann an und will hinzufügen, dass Z. bekunden wird, dass D. für die Beschaffung von Geld und Logistik für die Untergetauchten Böhnhardt / Mundlos / Zschäpe zuständig war und mitbefasst war mit dem Vertrieb der von Mundlos gefertigten T-Shirts mit dem Aufdruck "Skinsons".

Rechtsanwältin v. d. Behrens (Nebenklage Kubasik) - schließt sich dem Antrag an: Auch das BKA hat Befragung (von D.) schon abgebrochen. Es ist komplett unglaubwürdig, dass er die drei nicht gekannt hat. Er kannte das Trio, er kannte André K. Erkenntnisse über mindestens zwei Spenden von D. an das Trio, eine dritte kam nicht zustande. Er hat Erkenntnisse über Unterstützung von Wohlleben für das Trio, Erkenntnisse zu André E.

Pause bis 11:20 Uhr

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Fortsetzung um 11.25 Uhr

Bundesanwaltschaft: Stellungnahme zum Beweisantrag , dass der Zeuge Marcel D., von 1998 bis 2001 mit anderen Gruppen in Sachsen und Thüringen und mit Ralf Wohlleben zusammengearbeitet haben soll.

In dieser Allgemeinheit halte ich diesen Beweisantrag für ablehnungswürdig. Für die Entscheidung ohne Bedeutung, keine Rückschlüsse auf die Taten möglich. Diese etwaigen Kontakte von Marcel D. spielen keine Rolle. Kein Erkenntnisgewinn zu erwarten.

(Thies Marsen, BR)
Rechtsanwalt Hoffmann (Nebenklage Keupstr.): Wir haben hier [die Fragen] im Raum stehen, hat der Angeklagte Wohlleben direkten Kontakt gehabt zu Blood&Honour-Strukturen, zu Herrn D., zu B&H Sachsen, hat er teilgenommen an Diskussion zum bewaffneten Kampf, hat er Unterstützung geleistet? Zu all dem muss der Zeuge Z. (LfV Thüringen) Auskunft geben können, denn er hat D. geführt.
Götzl bittet darum zur Klarheit, den Antrag (schriftlich) zu formulieren.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
G: Erklärung zu Edda Schmidt?
Hoffmann: Die Vernehmung ergab lediglich, dass sie auf der Schulungsveranstaltung über Brauchtum referiert hat. Sie habe nichts von untergetauchten Thüringern gewusst. Entgegen ihrer Beteuerung spricht allerdings einiges dafür, denn die Zeugin war nicht gewillt vollständige und wahrheitsgemäße Aussagen zu machen. Präsentierte wortreich Erinnerungslücken. Gleichzeitig hat sie aber nicht zu erklärende Erinnerungsinsel. Sie gab an, dass sie genau wisse, dass Tino Brandt nicht da gewesen sei, dass man ihr Bier gezahlt habe. Wie sie offen zugab, sah sie sich auch nicht verpflichtet vollständige Angaben zu machen. "Ich bin doch kein Verräter."

Götzl: Weitere Anträge? Nein. Gut.
Schluss für heute.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


0