NSU-Prozess


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196. Verhandlungstag, 26.03.2015 Hoffnung, dass Unrecht gesühnt wird

Dass der NSU-Prozess belastend ist für alle Beteiligten, lässt sich nicht nur an den Gesichtern der beiden Untersuchungshäftlinge Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben ablesen.

Von: Thies Marsen

Stand: 26.03.2015 | Archiv

Thies Marsen | Bild: BR/Theresa Högner

26 März

Donnerstag, 26. März 2015

Die Gesichter der beiden, soweit sich das von der Pressetribüne aus beurteilen lässt, werden immer eingefallener und fahler. Über die Entscheidung des Gerichts, die Prozesstage bis mindestens Ende April auf zwei Tage pro Woche zu beschränken, ist auch so mancher Nebenkläger erleichtert: Endlich mal wieder Zeit, sich auch um andere Mandanten zu kümmern. Und wir Reporter haben jetzt wieder mehr Zeit für Recherchen außerhalb des Gerichtssaals – auch wenn sich der Prozess nun natürlich insgesamt noch mehr in die Länge ziehen wird.

Perspektive nach Jahren der Ungewissheit

Besonders belastend ist das Verfahren aber für die Opfer des NSU und für deren Angehörige. Wobei für all die Verletzten und Traumatisierten aus Keupstraße und Probsteigasse in Köln, wo der NSU Bomben legte, ebenso wie für die Angehörigen der zehn Ermordeten zumindest eines gilt: Der Prozess und mit ihm der Versuch, den NSU-Komplex aufzuklären, gibt ihnen Hoffnung, dass das Unrecht gesühnt wird. Und er macht sie in gewissem Sinne vom bloßen Objekt, zu dem sie von den Mördern, aber auch von den einseitigen bis rassistischen Ermittlungen der Sicherheitsbehörden gemacht wurden, wieder zum Subjekt, zur handelnden Person. Natürlich spült er schlimme Erinnerungen an die Bewusstseinsoberfläche, aber für so manchen öffnet sich nun auch wieder eine Zukunftsperspektive nach Jahren der Ungewissheit und Perspektivlosigkeit.

Alte Wunden reißen auf

Für die Opfer der 15 Raubüberfälle, die den Terroristen Böhnhardt und Mundlos zugeschrieben werden, ist der Prozess dagegen eine pure Belastung. Für sie ist es einfach nur ein Aufreißen alter Wunden - was sich am 196. Verhandlungstag besonders zeigte. Eine Zeugin, eine ehemalige Bankangestellte aus Stralsund, tauchte erst gar nicht auf und legte als Attest ein psychologisches Gutachten vor. Immer noch ist es ihr unmöglich, über die Vorfälle von damals zu berichten. Dafür erzählten zwei ihrer damaligen Kolleginnen dem Gericht mit zitternder Stimme und teils unter Tränen von der Brutalität und Skrupellosigkeit mit der die Bankräuber – mutmaßlich Böhnhardt und Mundlos – vorgingen. Die Sparkassen-Angestellten von Stralsund – ausnahmslos Frauen – hat es besonders hart erwischt, denn bei ihnen schlugen die Räuber gleich zweimal zu, im Abstand von gerade einmal zehn Wochen.

Albträume nach Überfällen

„Nicht schon wieder“, habe sie nur gedacht, als am 18. Januar 2007 plötzlich wieder ein Mann mit Strumpfmaske in der Sparkasse auftauchte, berichtet eine Zeugin. Den ersten Überfall am 7. November 2006 hatte sie noch gut verkraftet. Doch nach der zweiten Tat musste auch sie in psychologische Behandlung. Immerhin: Sie arbeitet wieder, auch wenn sie sagt: „Die Angst ist immer dabei.“ Ihre Kollegin dagegen ist inzwischen frühverrentet. Immer wieder hat sie versucht, im Beruf Fuß zu fassen, doch im direkten Kontakt mit Menschen zu arbeiten, ist ihr nicht mehr möglich.

Die erste Zeit habe sie noch nicht mal in die Stadt gehen können, erzählt sie. Sie habe immer auf die Augen großer Männer geachtet, ob die vielleicht den Augen des Bankräubers ähnelten, der sie mit vorgehaltener Pistole in den Tresorraum gedrängt und mehrfach gedrohte hatte, sie umzubringen. Große, fast komplett weiße Augäpfel. Während der Körper des Täters so zitterte, dass die Sporthose flatterte, war der Blick, der sie durch die Sehschlitze der schwarzen Sturmhaube traf, kalt und starr – ein Blick, der sie bis heute in ihren Nächten verfolgt.


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