NSU-Prozess


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149. Verhandlungstag Wieder was gelernt!

An diesem Verhandlungstag konnte unser Gerichtsreporter sehr viel lernen, wie er uns in seinem Prozesstagebuch verrät.

Stand: 14.10.2014 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: BR

14 Oktober

Dienstag, 14. Oktober 2014

Was man alles lernen kann, wenn man am 149. Verhandlungstag den NSU-Prozess beobachtet! Zum Beispiel das: Da kommt die Polizei am 24. November 2011, drei Wochen nach dem Auffliegen des NSU, um die Wohnung des mutmaßlichen Unterstützers und Angeklagten André E. zu durchsuchen. Die Spezialkräfte klingeln nicht, sondern brechen die Wohnungstür gewaltsam auf. Hoppla!

In der Wohnung, auf der Couch: Ehefrau Susann E. und ihr Liebhaber Patrick G.

Der Tischler ist schon dabei

Ehemann André E. weilte bei seinem Bruder in Brandenburg und ist dort kurz zuvor festgenommen worden. Dann die Durchsuchung der Wohnung, Sicherstellung von Festplatten, Speicherkarten, USB-Sticks etc., das berichtet heute im Münchner NSU-Prozess der Beamte des Bundeskriminalamts (BKA), der vor drei Jahren die Durchsuchung leitete. Und dann erfährt der Prozess-Beobachter noch, dass die Polizei bei ihrem Einsatz an wirklich alles gedacht zu haben scheint. Zum Beispiel auch daran, einen Tischler mitzubringen. Während die Beamten sämtliche Räume auf den Kopf stellen, repariert der Handwerker das beim Aufbruch zerstörte Türblatt - damit Frau E. nach dem Abzug der Polizisten wieder ordnungsgemäß abschließen kann. Ungewohnter Service, ganz nach dem bekannten Motto: die Polizei, dein Freund und Helfer. Wieder was gelernt!

Viele "Zeugen"

Und dann ist da das wenig rühmliche Auftreten verschiedener Fotografen und Kameraleute bei der Hausdurchsuchung: Zur Verwunderung der Behörden sind etliche von ihnen sehr frühzeitig von der Polizeiaktion informiert. Der BKA-Beamten beschreibt vor Gericht die Situation lakonisch: "Das Presseaufkommen war sehr hoch. Ungewöhnlich! Trotz Betretungsverbots kamen einige von ihnen ins Wohnhaus und störten die Durchsuchung."

Lernstunde im Gerichtssaal

Noch was gelernt heute: Die so genannten Turner-Tagebücher gehörten nachweisbar zur Standard-Lektüre von Rechtsextremisten, eine Anleitung zum Terror gegen Juden, Migranten und Andersdenkende. Auch die Angeklagten Ralf Wohlleben und André E. lasen sie. Beide hatten die antisemitische und rassistische Hetzschrift, verfasst 1979 vom US-amerikanischen Neonazi William Pierce, auf ihren Rechnern gespeichert. Pierce inspirierte damit zahlreiche Rechtsterroristen, nicht nur in den USA, Großbritannien und Dänemark, sondern, wie jetzt klar wird, auch in Deutschland. Wohlleben und E. löschten zwar rechtzeitig vor den Hausdurchsuchungen das Buch von ihren Festplatten, doch BKA-Fahnder entdeckten später Datenreste und Ordnerstrukturen. Woraus folgt, dass beiden NSU-Unterstützern bewusst war, dass sie Schwierigkeiten bekommen würden, wenn Ermittler die Propaganda-Schrift auf den Rechnern entdecken. Aber löschen alleine hilft halt nicht. Denn wie heute im NSU-Prozess zu lernen ist, konnten Asservatenauswerter des BKA mit Hilfe mehrerer Spezial-Suchprogramme die Speicherung dieser modernen Neonazi-Bibel auf den Computern Wohllebens und E.s nachweisen. Wieder was gelernt!


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