NSU-Prozess


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120. Verhandlungstag, 26.6.2014 Sie kann nicht hinsehen

Heute wurden im Gericht Fotos der schwer verletzten jungen Frau gezeigt, die Opfer des dem NSU zugeschriebenen Sprengstoffanschlags 2001 geworden war. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe vergrub dabei nur ihr Gesicht im Schal und starrte auf ihren Laptop.

Von: Thies Marsen

Stand: 26.06.2014 | Archiv

Beate Zschäpe | Bild: picture-alliance/dpa

26 Juni

Donnerstag, 26. Juni 2014

Auf den Pressebänken werden die Reihen nach über einem Jahr NSU-Prozess lichter, doch das Publikumsinteresse scheint ungebrochen. So ist die Zuschauertribüne des Saals A 101 im Münchner Oberlandesgericht auch heute wieder fast vollbesetzt und die meisten der Interessierten haben offensichtlich nichtdeutsche Wurzeln. Eine kleine Genugtuung, dass diejenigen, die die Nazi-Terroristen des NSU am liebsten ermordet hätten oder aus dem Land jagen wollten, nun hinunterschauen können in den Saal und Zeuge werden, wie Beate Zschäpe und Co. der Prozess gemacht wird.

Bilder der schwer verletzten 19-Jährigen

Beate Zschäpe versucht derweil weiter, die Realität auszublenden - das, was ihre beiden mutmaßlichen Mitverschwörer Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aus purem rassistischen Hass angerichtet haben und wofür laut Anklage auch Zschäpe mitverantwortlich ist: Als die Fotos der jungen Frau an die Wand geworfen werden, die durch einen mutmaßlichen Anschlag des NSU auf einen Kölner Getränkemarkt 2001 schwer verletzt wurde, vergräbt Zschäpe ihr Gesicht fast komplett in ihrem Schal, starrt auf den Bildschirm des Laptops vor ihr. Sie will das von Brand- und Splitterwunden deformierte Gesicht des damals 19-jährigen Opfers nicht anschauen, nicht die offenen Wunden, nicht die zugeschwollenen Augen, nicht die verbrannten Augenbrauen, nicht den Plastikschlauch der Beatmungsmaschine, der durch den Mund in die Lunge führt.

Opfer hat sich zurückgekämpft

Die junge Frau, die auf den Fotos zu sehen ist, stand kurz vor dem Abitur, als sie am 19. Januar 2001 eine Christstollendose öffnete, die ein unbekannter Mann fünf Wochen zuvor in dem Getränkemarkt liegen gelassen hatte. Zehn Sekunden später explodierte eine mit etwa einem Kilogramm Schwarzpulver gefüllte Sauerstoffflasche, die in der Dose gelegen hatte. Die 19-Jährige überlebte nur deshalb, weil die Akkus der Zündvorrichtung sich schon fast entladen hatte, und die Bombe deshalb nicht sofort in die Luft ging, sondern mit leichter Verzögerung, in dem Moment, da die junge Frau sich zufällig gerade bückte. Die Verletzungen waren trotzdem erheblich: Tagelang wurde sie ins künstliche Koma versetzt, sie wurde beatmet, ihre geplatzten Trommelfelle mussten operiert werden, auch ihr Gesicht, denn kleinste Splitter und Schwarzpulverreste hatten sich unter dem Druck der Explosion in ihre Haut gebohrt und das Gesicht teilweise entstellt.

Den Getränkemarkt gibt es nicht mehr, die Mutter hat bis heute Angst, fühlt sich verfolgt. Immerhin: Die Tochter ist ihren Weg trotzdem weitergegangen. Sie hat das Abitur gemacht, Medizin studiert, ist heute Ärztin. Auch das eine kleine Genugtuung bei aller Fassungslosigkeit über die Grausamkeit der Neonazi-Terroristen.


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