NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 118. Verhandlungstag, 4.6.2014

Am 118. Verhandlungstag wird die Beweisaufnahme zum Anschlag in der Kölner Probsteigasse weitergeführt. Die Zeugin war 2001 Opfer eines Sprengstoffanschlags – vermutlich des NSU.

Von: Mira Barthelmann, Paul-Elmar Jöris, Holger Schmidt, Tim Aßmann

Stand: 04.06.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Die Zeugin wurde damals schwer verletzt. Sie schildert den Verlauf des Anschlags, ihre schweren Verletzungen und die Folgen für sie und für ihre Familie. Das Opfer hatte großes Glück zu überleben. Der rechtsradikale Hintergrund der Tat wurde damals nicht erkannt.

Zeugen:

  • Daniel Q. (Kriminalbeamter aus Köln)
  • Elke O. (Kriminalbeamtin aus Köln)
  • Mashia M. (Anschlagsopfer Probsteigasse)
  • Johannes G. (Dermatologe)
  • Rainer J. (HNO-Arzt in Köln)
  • Thomas M. (Chirurg aus Köln)
  • Gerald S. (emeritierter Universitätsprofessor aus Köln)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Tim Aßmann, BR u. Holger Schmidt, SWR)
118. Tag Beginn 09:53 Uhr. Zuschauer- und Pressetribüne wieder fast voll. Als Nebenkläger ist die Familie aus der Probsteigasse da.
Es kommt der Zeuge Daniel Q., 51 Jahre alt, Kriminalbeamter aus Köln.
Q: Ich kann mich noch gut erinnern, weil es mich persönlich sehr berührt hat. Bin alarmiert worden, habe die Verwüstung im Laden gesehen. Ich habe auch das Mädchen in der Klinik gesehen. Dieses Bild hat sich in meine Seele eingeprägt, ich werde das nie vergessen (stockt). Wir haben in alle Richtungen ermittelt, nach jedem Grashalm gegriffen, auch einen persönlichen Racheakt nicht ausgeschlossen.
Götzl: Ermittlungen zur Dose?
Q: Reste der Dose gefunden, über Barcode Hersteller in Rheinland-Pfalz ermittelt, bin zu der Firma hingefahren, Inhaber war so nett, dass er mich sogar am Sonntag empfangen hat und hat mir zwei oder drei Dosen als Vergleichsstücke zur Verfügung gestellt.
Zeuge holt aus, von der Tat zu erzählen.

Rechtsanwalt Heer grätscht rein: Zunächst unmittelbaren Zeugen hören, Zeuge darüber belehren!

Götzl: Er muss ja den Zusammenhang herstellen. Allgemeine Diskussion bricht an. Rechtsanwältin Lunnebach (Nebenklage Probsteigasse): Eindruck entsteht, Verteidigung will nichts von der Tat hören. Götzl droht mit Unterbrechung. Zeuge ist beleidigt.
Q: War ne rote Stollendose aus Blech mit weißen Sternen drauf.
G: Welche Firma?
Q: Kann mich nicht mehr erinnern. Habe es in den Vermerken gelesen, müsste auf Akten verweisen. Namen der Firma hab ich jetzt nicht mehr präsent.
Götzl hält jetzt Namen des Ansprechpartners und der Firma aus Akten vor. Dem Zeugen sagt das weiterhin nichts.
Q: Hatte ihn gefragt in welcher Stückzahl Dose hergestellt wurde, weil wir Vertriebsweg nachvollziehen wollten. Hat uns dann Liste zukommen lassen und wir haben in Köln eine Vielzahl von Läden aufgesucht, wo diese Dosen verkauft wurden.
Götzl hält vor: Dose wurde in China produziert und über die Firma vertrieben.
Q: Ja
G: Schildern wie Situation im Krankenhaus bei Geschädigter war. In welcher Verfassung?
Q: Das Opfer lag in Schwerstverbrennungsklinik im Meerheimer Klinikum. Eltern waren auch dort. Ich hatte Auftrag Lichtbilder vom Opfer für die Beweisführung zu bekommen. Behandelnder Arzt sicherte zu, dass er Bilder zur Verfügung stellt. Das Opfer lag auf einem Bett, war fast völlig entkleidet weil die Haut sich regenerieren musste und das Opfer war verbrannt. Verbrannt, aufgedunsen, blutende Verletzungen im Gesicht, an den Unterarmen. (Stimme des Zeugen scheint leicht zu stocken)
G: Ansprechbar?
Q: Nein. Kann gar nicht genau sagen wie das Opfer aussah. Könnte genauso gut sagen: Es sah aus wie ein Stück Grillfleisch. War ein Bild des Grauens.
Hab in meiner Laufbahn viel gesehen aber das Bild dieses Opfers war quasi an der Spitzenposition.
G. hält vor, dass der Zeuge am Tag des Anschlags Nachmittags im Klinikum war und das Opfer gesehen hat.
Q: Ja.
G: Welche ärztlichen Maßnahmen wurden damals getroffen.
Q: Opfer wurde intubiert glaube ich. Hatte den Arzt auch gefragt wie groß Überlebenschancen waren. Glaube er hat mit den Achseln gezuckt und gesagt: "Weiß ich nicht. Es ist schon heftig."
Götzl hält aus Akten vor: Nicht akute Lebensgefahr. Einschätzung damals: selbstständige Atmung erst nach einer Woche möglich.
Greger (Bundesanwaltschaft): Haben sie Kleidung des Opfers sicher gestellt?
Q: Müsste auf Akten verweisen
Greger: Also kein Bild vor Augen
Q: Nein
Götzl: Jetzt muss ich schon mal fragen: Sie haben gesagt sie hatten alle Akten vor Augen. Wozu hat das Aktenstudium denn eigentlich gedient? Was hat das gebracht?
Q: Herr Vorsitzender. Ich hatte letzte Woche viel Trouble. Sehr kleine Dienststelle. Viel zu tun. Habe mir Akten geben lassen und nach allen Vermerken gesucht und konnte mich im Großen und Ganzen an Alles erinnern und das gebe ich jetzt hier wieder.
Lunnebach: Hatten sie auch mit Spurenakten zu tun? Stichwort Anwohnerbefragung.
Q: Ich habe auch Anwohner befragt. Wir sind ganze Häuser abgegangen.
L: Phantombild benutzt.
Q: Kann Frage heute nicht mehr beantworten, weil Bild erst nach Anschlag gefertigt wurde. Kann sein, dass wir es bei Begehung dabei hatten.
L: Ist mal darüber geredet worden, ob Ermittlung an Mordkommission abzugeben wäre?
Q: Kann mich nicht erinnern ob wir überlegt haben. War zu dem Zeitpunkt auch nicht vorrangig. Entscheidend sind die ersten 24 bis 36 Std. Da müssen wir alles gesichert haben und in dieser Phase ist es eigentlich unerheblich welche Dienststelle es macht.
Sachverständiger Dr. Peschl: Außer den Verletzungen, die sie schon beschrieben haben, noch andere in Erinnerungen.
Q: Es waren Verletzungen an den Unterarmen. Fragte mich wie sie zustande kamen. Meine der Arzt hätte gesagt, es könne von Splittern kommen. In Erinnerung ist wirklich das verbrannte Fleisch, die verbrannte Haut.
Zeuge unvereidigt entlassen

(Tim Aßmann, BR u. Paul-Elmar Jöris, WDR)
10:46 Uhr
Es kommt die Zeugin Elke O., Kriminalbeamtin aus Köln.
O: Ich war am 21. Feb in der Klinik, um mich zu erkundigen, ob Opfer vernehmungsfähig. Habe von behandelndem Arzt erfahren: nicht mehr künstlich beatmet, aber stehe unter Schmerzmittel und sei psychisch noch sehr belastet. Ich habe sie erst im März zu Hause gesehen, bei der Vernehmung.
Götzl: Situation bei Vernehmung?
O: Sehr starrer Blick und Hände zitterten. Sie hatte Narben im Gesicht und an den Händen. Sie erklärte, das käme von der Explosion. Sie konnte spontan auf Fragen antworten. Als wir sie nach möglichen Tätern fragten, fing sie an zu weinen.
Götzl hält vor: Kopfverletzungen verheilt, trägt Kurzhaarfrisur, Augenzittern.
Zeugin bejaht.
G: Gefühlsregungen bei Vernehmung?
O: Eigentlich nicht. Nur als wir nach Motiv gefragt haben, wer die Tat begangen haben könnte. Da hat sie angefangen zu weinen.
Lunnebach: Was war ihre Rolle im Verfahren.
O: Anfangs mit Ermittlungen betraut, später Aktenführung mitbetreut.
L: Sie waren auch zuständig für Spurenakten.
Heer beanstandet die Frage als suggestiv.
L: Quatsch
Götzl meint an die Adresse von Heer, man könnte auch eigentlich mal großzügiger sein.
Lunnebach und Heer streiten nun munter.
Heer: Was fällt ihnen eigentlich ein?
L: Ich will was von der Zeugin hören und nicht von Ihnen.
Götzl: Man kann die Frage auch einfacher stellen.
L: Ich halt mich hier nicht mit albernen Formalitäten auf.
L. hält Zeugin vor: Griechischer Kulturverein?
O: Zeugin gab Spur dass im selben Gebäude oder nebenan auch so ein Verein war und da war die Frage: Gab es da Motiv?
L: was wäre das für Motiv gewesen
O: Möglicherweise politisch motiviert aber das weiß ich nicht. Die Spur hat so nichts ergeben.
L: Ausländerfeindliches Motiv?
O: Ich mag das jetzt nicht beurteilen. Es ist einfach ne Spur, ein mögliches Ziel.
L: Haben sie Gedanken verfolgt es könnte sich um ausländerfeindlichen Anschlag handeln.
O: Ich persönlich?
L: Ja.
O: Es gab zu dem Zeitpunkt keinen Hinweis darauf. Mein Ziel war den Täter zu ermitteln. Aus welcher Richtung er jetzt kommt war für mich zweitrangig.
L: Überlegung unter Kollegen ob es ausländerfeindlicher Anschlag sein könnte.
O: war sicherlich Thema aber konkret kann ich mich jetzt nicht erinnern.

Die Zeugin weiß nicht, ob es in dem Fall Kontakte zum pol. Staatsschutz gab. Sie selbst hatte keine, auch nicht zum Verfassungsschutz.
Zeugin entlassen. Pause bis 11:05 Uhr, dann Vernehmung des Opfers Probsteigasse

(Tim Aßmann, BR u. Mira Barthelmann, BR)
Weiter um 11:13 Uhr
Zeugin Mashia M., 32 Jahre alt, Chirurgin aus Köln.
Götzl: Bitte erzählen Sie
M: Korb lag am 19.1 hinten im Büroraum, war neugierig, hab Dose leicht aufgemacht, hab ne blaue Campinggasflasche gesehen, keine Zündvorrichtung gesehen, Dose zugemacht, hab Dose wieder hingelegt, bin unter den Tisch, um was zu suchen. In dem Moment explodiert. Helles Licht. Lag dann auf dem Boden, hatte Schmerzen, konnte nichts sehen, nicht schreien, nicht reden. Augen zu durch die Verbrennungen, hatte keine Orientierung, konnte Ausmaß der Schäden erst jetzt in der Verhandlung sehen. Im Krankenwagen schon zügig sediert wegen der starken Schmerzen, danach keine Erinnerungen mehr bis ich im Krankenhaus aus Koma erwacht bin.
G: Erinnerungen an die Dose.
M: Eltern erzählten mir weil wir Kinder nachfragten: Eltern sagten: Mann hat die vergessen, kommt wieder, um sie zu holen, nicht öffnen, ist nicht unser Eigentum.
An dem Tag hat mich einfach nur interessiert was ist in der Dose, was ist da als Geschenk verpackt und tja dann war es die Bombe.
Korb stand zunächst im Vorraum (zwischen Verkaufsraum und Büro) und wurde dann nach hinten geräumt. Einen oder eineinhalb Monate stand der Korb dort wo es ja jederzeit zur Explosion hätte kommen können.
War ein großer Schreibtisch, dahinter war Couch. Auf dem massiven Stahlschreibtisch stand da der Korb. Ich stand vor dem Tisch, kam nicht gleich zur Explosion. Ich war schon um den Tisch rumgegangen und bückte mich in dem Moment und war mit meinem Kopf auf Höhe des Schreibtisches. Vom Öffnen der Dose bis zur Explosion vergingen ungefähr 5 bis 10 Sekunden.
Explosion war Gottseidank um sieben. Später wären mit Sicherheit viele Schüler da gewesen. Laden wurde damals so zwischen halb acht und halb neun geöffnet.
G: Wann aus Koma erwacht und mich würden auch ihre Verletzungen interessieren?
M: Schon bei der Explosion im ersten Moment war mir bewusst dass meine Augen zugeschmolzen waren, ich habe sie mit allerletzter Kraft nicht mehr aufkriegt, gespürt, dass meine Haare verbrannt waren. Eineinhalb Monate wurde ich dann im Koma gehalten. Dann kam die Aufweck-Phase wo ich schon Sachen mitbekommen habe wie das meine Eltern da waren, dass mir Briefe vorgelesen wurden von meinen Eltern, von Klassenkameraden.
Ich hatte ja keinen Spiegel bekommen. Ich wusste, dass es schlimm aussieht. Wurde versucht mir alle Spiegel fernzuhalten. Als ich dann mal alleine auf Toilette gegangen bin, war einfach nur Schock. Ich war total blau-grün, verbrannt, Schnittwunden im Gesicht. Das war total furchtbar. Hatte OPs um Trommelfelle wieder herzustellen, hatte unter der Haut Schmutztätowierungen von Schwarzpulver im Gesicht. Hatte Laseroperationen, Narbenkorrekturen. Ist immer noch sichtbar, wenn ich abgeschminkt bin.
Entlassen wurde ich ungefähr Mitte März. Durch Entzug der Schmerzmittel kam es zu Entzugserscheinungen. Ich konnte mich alleine nicht waschen. Musste Physio machen, um überhaupt wieder längere Strecken als 50 oder 100 Meter selbst gehen zu können. Dauerte Monate bis ich psychisch überhaupt wieder so stabil war, dass ich vor die Tür konnte.
Hatte dann nette Lehrer, die mir ermöglicht haben mein Abitur nach zu machen. Hab dann im November das Abitur gemacht. Dann fing das an mit den Operationen. War insgesamt viermal im Sankt Franziskus in Köln. Dann Narbenkorrekturen im Abstand von ein paar Wochen, dann Laserkorrekturen, die sich über Jahre hingezogen haben. Habe dann Medizin und Physik studiert. Der Schritt da hinzugehen und sich in die Öffentlichkeit zu stellen war für mich der Schwierigste. Bin dann fürs Studium weg gegangen für ein paar Jahre aus Köln um auch mal Abstand zu gewinnen zu Allem.

M: Ermittlungsverfahren von damals:
Da war ich lange nicht involviert. Die ersten Vernehmungen nicht mitgekommen. Frau O. (die Kriminalbeamtin von vorhin) war relativ spät bei mir. Was ich mitbekommen hatte, dass die Polizei bei meinen Eltern war, rechtsradikaler Tathintergrund war ausgeschlossen worden. Also irgendein Täter, Zufallsopfer. Die Polizei sagt dir das. Wir hatten ja keine Akteneinsicht. Wir waren sicherlich naiv. Wir hatten keine Anwälte. Ich bin teilweise geschockt und entsetzt, wenn ich mir das heute anschaue. Ich konnte damals für mich ganz gut damit abschließen. Dann das Bekennervideo. Da stand ich erst mal unter Schock. Damit hatte keiner gerechnet. Dann haben wir diese Videos gesehen. Auf meine Frage, wie man eine akute Gefahr ausschließen kann, wurde nur erwidert, dass es keine Hinweise darauf gibt. Kann ich nicht nachvollziehen. Ich muss sagen, nach meiner Vernehmung, hatten wir relativ spät Akteneinsicht. Die meisten Infos musste ich mir über die Medien zusammensuchen. Es ist ja immer noch nicht klar, gab es zusätzlich Helfer. Klar, ist das für uns nicht einfach. Man weiß nicht, ob morgen wieder Leute bei uns vor der Tür stehen. Das ist für meine Eltern nicht einfach.
G: Eltern? Geschwister?
M: Die schlimmste Zeit war für meine Eltern, als ich im Krankenhaus war. Ich weiß noch als meine Eltern mich rausgetragen hatten. Die haben nur nach Hilfe geschrien. So eine Erfahrung als Eltern durch zu leben ist nicht einfach. Dann war die lange Phase im Krankenhaus. Die haben Tag und Nacht bei mir Wache gehalten. Der Laden musste komplett renoviert werden. Vater hat versucht den Laden wieder aufzubauen. Für meine Mutter war das nicht mehr tragbar, diesen Laden wieder zu betreten. Für meinen Vater allein war es nicht möglich den Laden zu führen. Er hat ihn dann verkauft.
G: Schaden?
M: Fehlende Einnahmen. Die ganze Familie, 4 Kinder. Den akuten Schaden hätte man noch kompensieren können. Auch durch die Versicherung.
G: Konsequenzen für Geschwister?
M: Ich muss sagen, meine Schwester wurde immer wieder vernommen, ihre Schwester so verletzt zu sehen. Klar körperliche Schäden, psychische Schäden haben die nicht erlitten. Aber, es gibt Menschen, die dich aufgrund deiner Herkunft, versuchen umzubringen. Wir sind alle als ganz Junge nach Deutschland gekommen. Wir haben alle unsere Schulabschlüsse gemacht. Akademische Laufbahn. Das ist traurig. Traurig um mich. Traurig für meine Familie. Schade.
Ich selber habe diesen Täter nicht gesehen. Ich kann keine Beschreibung wiedergeben.
G: Wie hat ihr Vater den Täter beschrieben?
M: Junger Mann gewesen sein, um die 30 Jahre. So um die 1'80, schlank, wahrscheinlich deutsch, weißes Hemd, hellblaue Jeans. Alle Zeugen, die ihn gesehen haben, längeres Haar, gewellt, blond. Nicht auffallend. Leider.
Es gab noch einen dritten Zeugen. Phantombild. Dieser Mann war ein paar Wochen später wohl noch einmal da und hat darauf gewartet, dass mein Vater ins hintere Zimmer geht. Er ist ihm dann gefolgt, um wohl nachzusehen, ob die Dose immer noch da ist.
G: 5.3.2001 - Befragung: "Ich kann mich erinnern, dass da noch ein Geschenkband um die Dose herum war."
M: Ich kann es mir aber nicht vorstellen. Ich meine, dass ich relativ leicht und zügig die Dose geöffnet habe. Ich hab da jetzt nicht irgendwie groß Geschenke ausgepackt. Ich habe den Deckel nur einen Spalt weit gehoben. Für mich sah das aus wie eine Camping-Gasflache. Naiv. Ich hätte Zeit gehabt. Na gut. Ändern kann ich es jetzt auch nicht.

(Tim Aßmann, BR)
12:22 Uhr
M: Aus dem Tinnitus ist mittlerweile ein ganz leises Rauschen geworden, dass aber konstant da ist.
An der RWTH Aachen erst Physik studiert, dann auf Medizin umgesprungen und in Bayern studiert.
Rechtsanwalt Daimagüler: Haben sie jemals erwogen Deutschland zu verlassen?
M: Als das Video veröffentlich worden ist, wo du mitbekommst, dass du wegen Deiner Herkunft so angefeindet, so angegriffen wirst - ist natürlich der erste Gedanke: Was soll ich dann noch hier?
Ich hab mir soviel Mühe gegeben, bin ein Muster an Integration. Wenn man Leute wie mich so bekämpft: was soll ich dann hier?
Später hab ich dann gedacht. Ich hab mir alles aufgebaut. Jetzt erst Recht!
(eine Klatscherin von der Zuschauertribüne)
Erdal fragt nach Beobachtungen von Mutter:
M: Dass Frau in Laden kam und vehement nach Toilette fragte. Der Ort von dem man alles einsehen kann. Die Frau hat meine Mutter dann überredet. Hat sie nach hinten gelassen. Daran hatte sich meine Mutter erst nicht erinnert, als Video dann kam und klar wurde, dass ne Frau dabei war, kam ihr das auffällig vor. Natürlich kann sie nicht sagen dass es Frau Zschäpe war, aber es gibt wohl Ähnlichkeiten.

Der Sachverständige Peschel fragt nun nochmal detailliert nach den Verletzungen.
M: Ich hab wahnsinnig viel Glück gehabt, dass am Auge selbst, nichts verletzt war. Bei den Nachuntersuchungen kam raus, dass ich keine Einschränkung der Sehfähigkeit erlitten habe.
Rechtsanwalt Stahl (Verteidigung Zschäpe): Sie erwähnten auffällige Person, die dringend auf Toilette wollte. Wann kam dieses Thema auf?
M: Als das Video kam und klar wurde da gab es Trio, kam das Thema natürlich bei uns auf. Hätte man auf diesen Mann reagieren müssen? Hätte man die Hinweise sehen müssen? Meine Mutter machte sich Vorwürfe.
Stahl: Hat ihnen denn ihre Mutter erzählt wer diese auffällige Person war und wer sie gesehen hat.
M: Nur sie.
Stahl: Konnte sie berichten, wann sie die Person gesehen hat?
M: Muss einige Wochen vor der Abgabe des Korbes stattgefunden haben.
Stahl: Hat ihre Mutter diese Person ihnen gegenüber irgendwie beschreiben können?
M: Sie sah der Frau Zschäpe ähnlich ja. Es gab Ähnlichkeiten. Natürlich hat meine Mutter nicht gesagt dass ist sie.
Stahl: Im Video ist Frau Zschäpe nicht zu sehen.
M: aber daraufhin gab es relativ zügig Veröffentlichungen. Da ist Frau Zschäpe zu erkennen und nicht in dem Video. Wäre ja auch ziemlich leichtsinnig gewesen sich in dem Video zu zeigen.
Zeugin unvereidigt entlassen
Lunnebach: Erklärung: Ich kann nur sagen ich fände es gut wenn hier mehr Leute leben würden wie Frau M.
Klatschen von der Tribüne.
Pause bis 13:20 Uhr

(Mira Barthelmann, BR)
13:30 Uhr Dr. Johannes G., Dermatologe
G: In den Folgejahren habe ich Frau M. behandelt, um die Schmutztätowierungen zu bessern. Das Ziel war es vollständig zu entfernen, aber das kann man auch mit einem aufwändigen Lasersystem nie garantieren. Wir haben dann in monatlichen Abständen das Gesicht behandelt mit einem Lasersystem. Gleichzeitig bestanden Narben auf dem Gesicht, haben wir mit Fruchtsäure-Peelings behandelt mit dem Ziel, dass die Narben flacher werden. Bis 2007.
Götzl: Wie viele Lasertherapien?
G: 8 bis 10 Behandlungen.

13:35 Uhr Dr. Rainer J., 55 Jahre alt, HNO-Arzt in Köln
Götzl: Behandlung von Mashia M.:
J: Am 16.3.2001 zum ersten Mal gesehen. Verdacht an beiden Ohren eine ausgeprägte Trommelfellverletzung. Hat sich auch bestätigt. Man konnte relativ eindeutig sehen, dass beide Trommelfelle geplatzt waren. Die Folge davon war, dass das Hörvermögen eingeschränkt war. 30 Prozentige Verminderung des Hörvermögens. Dann Abheilphase. Diese Verletzungen haben keinen Zeitdruck.
Am 9.5.2001 wiedergesehen. Habe sie in ein entsprechendes Fachkrankenhaus eingewiesen, um korrigieren zu lassen. Das ist dann auch durchgeführt worden.
Zwei getrennte Eingriffe. Im gleichen Jahr gemacht worden. Die eine Ohrseite ist am 30.5. und die zweite am 16.7.2001 operiert worden. Auch in der Zeit danach hat sich gezeigt, dass beide Seiten nicht vollständig geschlossen werden konnten. Es musste nochmal eine Nach-OP gemacht werden im folgenden Jahr. Ich habe die Patientin zuletzt gesehen 2005. Da waren die beiden Trommelfellverletzungen wieder verschlossen. Aber durch die Schädigung durch den Knall (Lautstärke): Bleibende Innenohrschädigung auf der rechten Seite. 20-prozentige Hörverminderung.

G: Wahrscheinlich bleibende Schäden?
J: Innenohrschädigung wird zu fast 100 Prozent bestehen bleiben. Ohrgeräusche könnten sich zu 30 Prozent wieder zurückbilden.

13.30 Uhr Dr. Thomas M., 57 Jahre alt, Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie, Köln
G: Behandlung von Mashia M. berichten weswegen? Befunde? Diagnose? Ergebnis bei Entlassung.
M: 4.10.2005 in meiner Praxis. Ein Opfer von diesem Explosionsanschlag. Beschwerden im Oberlippen- / Naseneingangsbereich. Röntgenaufnahme. Es handelte sich um Fremdkörper, die nicht auf dem Bild zu sehen waren. OP-Termin. In örtlicher Betäubung entfernt. Mehrere kleine, holzähnliche Fremdkörper. Der Heilungsverlauf verlief völlig glatt. Fäden entfernt.
G: Nochmal vorgestellt?
M: Nein.

(Tim Aßmann, BR u. Mira Barthelmann, BR)
13:59 Uhr
Stellungnahme Bundesanwaltschaft zu Antrag auf Vernehmung von Tibor R.
Greger: Ablehnen, denn Tatsache warum vernommen werden soll ist ohne Bedeutung für Gegenstand des Verfahrens. R. soll Ausspionieren von Asylbewerberheim durch Mundlos bezeugen. Das weist keinen Bezug zu einem der fünf Angeklagten und einer der fünf Taten auf.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 14:42 Uhr. Nun ist auch der für 14 Uhr geladene Prof. Dr. S. da.
67 Jahre alt, emeritierter Uni-Prof. aus Köln, jetzt wohnhaft in der Schweiz, Vorname: Gerald.
S.: Patientin kam am 19.1 als Notfallverlegung mit dem Hubschrauber zu uns. Hatte Orbitalbodenverletzung (Augenboden), Schnittwunden, Verbrennungen an 5 Prozent der Oberfläche. War sechs, sieben Wochen bei uns. Die meiste Zeit intubiert. Später entlassen. Nachträglich war sie wieder bei uns für multiple Narbenkorrekturen.
Narben und Hautverunreinigungen kann man nie komplett entfernen, aber ich denke es ist ganz gut gelungen.
Holzsplitter lässt man - wenn kleiner – drinnen, bevor man stundenlang operiert.
Greger: Bestand Lebensgefahr?
S: Lebensgefahr bestand eigentlich nicht. Natürlich ist ein Patient, der intubiert ist, erst wieder in Ordnung, wenn er wieder bei Bewusstsein ist, aber wirkliche Lebensgefahr bestand eigentlich nicht.
Lunnebach: Selber operiert?
S: Nein. Ist so üblich als Leiter einer Universitätsklinik. Das machen die zuständigen Oberärzte.
L: Wann haben sie Frau M. selbst gesehen.
S: Ob es Tag 1 oder 2 war, kann ich ihnen nicht mehr sagen. In der Folge regelmäßig.

Schluss

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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