NSU-Prozess


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107. Verhandlungstag, 16.4.2014 "Da ist viel kokettiert worden mit dem ganzen Dreck"

Ein ganzer Tag war heute reserviert worden für Jana J. Die Zeugin ist die Ex-Freundin von Ralf Wohlleben und pflegte viele Kontakte in der rechten Szene. Im Jahr 2000 ist J. aus Jena weggezogen. Damit soll für sie zwar das Kapitel "Rechtsextremismus" beendet gewesen sein, ihre Rolle und ihre Mitwisserschaft verfolgen sie aber bis in die Gegenwart.

Von: Mira Barthelmann

Stand: 16.04.2014 | Archiv

Mira Barthelmann | Bild: BR

16 April

Mittwoch, 16. April 2014

Es sind weit mehr als 100 Fragen, die J. heute beantwortet hat. Kein einziges Mal verändert sich die Stimmlage der Zeugin. Sie redet schnell, deutlich, mit leicht thüringischem Akzent. Äußerlich erkennbare Emotionen? Fehlanzeige! Der Ton der schlanken, mittelgroßen Frau bleibt immer gleich. Sie spricht über ihre Verbindungen mit dem "Thüringer Heimatschutz" wie über ein Kapitel, das sie weder damals noch heute groß tangiert hat und das lange, lange zurückliegt.

Traumatische Kindheit

Tatsächlich geht es um die Zeit Ende der 1990er-Jahre. J. war damals 16, 17 Jahre alt. Sie war nach Jena gezogen, um ihr Fachabitur zu machen. Sie hat dafür Schul-Bafög beantragt. Die Familienverhältnisse: Schon immer schwierig. "Als ich zwölf war, eskalierte die Situation. 1996 ist die Familie dann komplett auseinander gebrochen." Die Folge: chronische Erkrankungen, Angstzustände, Panikattacken. Bis heute werde sie deshalb ab und zu ärztlich behandelt.

Schutz und Halt bei den Rechten?

Damals hat sie nicht über ihre psychische Erkrankung gesprochen. Nur einem hat sie vertraut: André K. "Er war einfach jemand, der damit umgehen konnte." K. war den Behörden damals schon bekannt - als einer der Hauptakteure des militanten Kameradschaftsnetzwerkes "Thüringer Heimatschutz". J. schildert vor Gericht in gebetsmühlenartigen Wiederholungen, dass er rechte Aufmärsche und Plakataktionen organisiert habe. Und auch für den Aufkleber mit der Aufschrift "Bratwurst statt Döner" sei er verantwortlich gewesen. Auch J. hat Ende der 1990er-Jahre mitdemonstriert. Heute stellt sie ihre Demo-Teilnahme als eine eher zufällige Begebenheit dar: "Wenn man in der Situation selbst ist, dann weiß man gar nicht, wo man da hinterherläuft. Da gibt es eine Demo, vorneweg ein Transparent mit 'Thüringer Heimatschutz' und dann wird man dieser Gruppe zugeordnet." J., eine Frau, die nach einer traumatisierenden Kindheit dann als Jugendliche in der rechten Szene für eine gewisse Zeit Halt sucht? Sie sagt: "Ich bin da damals reingeraten, aber auch wieder rausgekommen."

Bewunderung für Zschäpe

Eins wird heute deutlich: J. fehlte es an Selbstbewusstsein. Sie sei Beate Zschäpe, der Hauptangeklagten in diesem Verfahren, nur einige Male begegnet. Doch das genügte offenbar, um sich ein Bild von der damals 23-Jährigen zu machen: "Sie hatte eine sehr selbstbewusste, aufgeschlossene, offene Persönlichkeit. Ich fand sie freundlich, witzig. (…) Sie hat mir mit ihrem Selbstvertrauen schon imponiert. Ich hab nicht so viel Selbstvertrauen gehabt."

Viel Koketterie

Einer der Nebenklage-Vertreter lässt Ausschnitte aus einem Beitrag des BR-Magazins "report München" vorführen. Darin enthalten: Material der Arte-/BBC-Dokumentation "Europa von rechts außen" von 1998. Auch die Zeugin J. ist einer Szene zu erkennen. Sie gibt zu, bei den Dreharbeiten dabei gewesen zu sein. Zahlreiche Mitglieder des "Thüringer Heimatschutzes" kommen zu Wort. Es ist unter anderem die Rede von einer drohenden Volksvernichtung. J.'s Kommentar: "Wenn man drinsteckt, dann kommt es einem nicht so radikal vor. Da ist viel kokettiert worden mit dem ganzen Dreck. Ich bin jetzt auch einigermaßen entsetzt."

Alles ganz normal

Einigermaßen entsetzt. J. hätte auch sagen können: Mir ist die Suppe angebrannt. Von Reue schwingt an diesem Tag in den weit mehr als 100 Antworten nichts mit. Und wenn man J. zuhört, kommt man nicht umhin zu fragen: Reue? Warum auch? Für welche Taten? Das war doch alles ganz normal. Damals. Das haben doch alle gemacht. In der Szene. So sieht es zumindest die Zeugin heute und auch viele andere Zeugen, die bereits vor dem Münchner Oberlandesgericht ausgesagt haben. Das Bild vom Umfeld des NSU - von Prozesstag zu Prozesstag verdichtet es sich und gewinnt an bedrückender Farbigkeit.


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