NSU-Prozess


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Tagebuch der Gerichtsreporter 58. Verhandlungstag

Vieles will Brigitte Böhnhardt, die Mutter des toten mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt auch am zweiten Tag ihrer Vernehmung nicht preisgeben, weil es "privat" sei. Für alle unerwartet lässt sie dann plötzlich einen Blick in ihr Innnerstes zu. Völlig unvermittelt wendet sie sich direkt an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und dankt ihr, dass diese sie noch vor der Polizei über den Tod ihres Sohnes Uwe informiert hat.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 20.11.2013 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

20 November

Mittwoch, 20. November 2013

Eineinhalb Tage hat Brigitte Böhnhardt nun schon als Zeugin ausgesagt. Wie üblich soll sie zunächst ohne Fragen alles berichten, was ihr wichtig scheint. Weil sie auf manche Dinge nur wenig oder gar nicht von sich aus zu sprechen kommt, stellt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl Nachfragen. Er tut dies sehr behutsam und einfühlsam. Auch über den Anruf von Beate Zschäpe am 5. November 2011 berichtet Frau Böhnhardt erst auf Nachfrage. Und das wieder nur sehr zögerlich.

Todesnachricht um 7 Uhr morgens

Um sieben Uhr morgens habe das Telefon bei Brigitte Böhnhardt geklingelt. "Hier ist die Beate", kommt es aus dem Hörer. "Welche Beate?", habe sie noch ganz verschlafen geantwortet, sagt die 65-Jährige. "Uwe’s Beate". Neun Jahre nach dem letzten heimlichen Treffen mit dem schon damals untergetauchten NSU-Trio das erste Lebenszeichen. Brigitte Böhnhardt ist nach eigenen Worten geschockt. Dann, so gibt sie das Telefonat wieder, habe sie gefragt: "Wollt ihr Euch stellen?" Antwort: "Nein." Frage "Warum nicht?" Antwort: "Der Uwe kommt nicht mehr." Den weiteren Verlauf des Gespräch schildert Böhnhardt so: "Und warum nicht?" Sie habe unter Schock gestanden. Dann wiederholte Beate - so nennt Brigitte Böhnhardt die Hauptangeklagte meistens: "Nein, der Uwe kommt nicht mehr." Für einen Moment schweigt Zschäpe. Böhnhardt weiter: "Dann habe ich sie direkt gefragt. Ist der Uwe tot?" 'Ja', hat sie gesagt, 'der Uwe ist tot'."

"Danke, dass Du’s trotzdem gemacht hast!"

"Ich frage, warum", erzählt sie weiter. "Haben Sie gestern Nachrichten geschaut?" "Nein, wir waren bei Freunden." "Dann schauen Sie doch mal, in Eisenach ist was passiert, das sind die beiden Jungs." Zittrig sei die Stimme von Beate gewesen, beschreibt Böhnhardt das Telefonat. Sie sei froh gewesen, dass sie vom Tod ihres Sohnes nicht von der Polizei erfahren habe. Das wäre schrecklich gewesen. Und dann wendet sie sich ganz unvermittelt direkt an die Hauptangeklagte: "Danke trotzdem, dass Du das gemacht hast." Fast alle auf der vollbesetzen Zuschauertribüne zucken zusammen, recken die Köpfe, um zu sehen, wie die Hauptangeklagte reagiert. Doch wie so oft: Äußerlich ist Beate Zschäpe nichts anzumerken. Nur ein wenig rutscht sie am Stuhl hin und her, sitzt ganz aufrecht, die Arme verschränkt.

Das Telefonat belastet Zschäpe

Mehr will die Zeugin zunächst nicht über den Anruf sagen. Erst auf Nachfrage von Richter Götzl nennt sie weiter Einzelheiten des Telefonats. Zschäpe habe gesagt, die beiden Uwes hätten sich erschossen, weil sie keinen Ausweg sahen. Beide hätten sie beauftragt, die Eltern zu informieren. Die Schilderung dieses Anrufs, so analysieren einige Nebenklägeranwälte bereits in der Mittagspause, habe erheblich Bedeutung für das Verfahren. Denn, auch wenn es nicht geklärt sei, woher Beate Zschäpe überhaupt vom Selbstmord ihrer Komplizen wusste, mache er eines erneut deutlich: "Zschäpe hatte Täterwissen."

Darf Brigitte Böhnhardt Beate Zschäpe danken?

Gesprächsthema Nummer eins aber bleibt der unerwartete Dank von Mutter Böhnhardt an Zschäpe. Nebenklage-Anwalt Andnan Erdal formuliert, was viele denken: "Aufgrund der Tatsache, dass sie bislang kein einziges Wort des Bedauerns für die Getöteten gefunden hat, aber sich stattdessen bei Frau Zschäpe bedankt hat, finde ich das eine Unverschämtheit."

Späte Worte des Bedauerns

Vielleicht hat Brigitte Böhnhardt etwas von dieser Stimmung mitbekommen. Am Nachmittag drückt sie ihr Bedauern aus. Die Trauer der Angehörigen tue ihr unendlich leid. Sie würde viel darum geben, es ungeschehen zu machen. Endlich sagt sie das, meinen die einen. Andere kritisieren, das komme viel zu spät.


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