NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 39. Verhandlungstag, 25.09.2013

Der 39. Prozesstag ist zweigeteilt: Zunächst wird die Beweisaufnahme im Mordfall Theodoros Boulgarides mit der Vernehmung mehrerer Sachverständiger und Zeugen fortgesetzt. Danach wird zum Mordfall Halit Yozgat gewechselt.

Von: Heike Borufka und Holger Schmidt

Stand: 25.09.2013 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Zum Fall Halit Yozgat, der am 6. April 2006 in seinem Kasseler Internetcafé ermordet wurde, ist besonders ausführlich die Aussage des Polizeibeamten Karl-Heinz G., der während seiner Ermittlungen engen Kontakt zu Familie Yozgat hatte und das Verhältnis als "harmonisch" beschreibt. Wieder kommen Fehler in der Ermittlungsarbeit ans Licht: Die Familie des Opfers stand im Fokus der Ermittlungen und ein ausländerfeindlicher Hintergrund der Tat wurde nicht angenommen.

Zeugen

  • Thomas M. (Polizeibeamter, Tatortfundbericht Boulgarides)
  • Markus K. (Rettungsassistent, Boulgarides)
  • Oliver P. (Sachverständiger, Obduktion Boulgarides)
  • Martin G. (Sachverständiger, Schussrekonstruktion Boulgarides)
  • Carsten R. (Polizeibeamter, Fall Yozgat)
  • Karl-Heinz G. (Polizeibeamter, Fall Yozgat)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Heike Borufka, HR)
9.53 Uhr Uhr.
Zeuge Thomas M., 35, Kriminalhauptkommissar, Hof an der Saale (Tatortfundbericht Boulgarides).

M: War zur Tatzeit im Bereitschaftsdienst für Spurensicherung eingesetzt, wurde benachrichtigt, dass in Schlüsseldienst in Trappentreustraße 4 tote Person aufgefunden wurde, haben am Abend noch mit der Spurensicherung begonnen, am Abend noch Obduktion.

Zeuge kommt nach vorne, Lichtbilder werden vorgelegt, bringt seine eigene Lichtbildmappe mit.
Tatortskizze: Block mit mehreren Häusern, stark befahrene Straßen, Mittlerer Ring schließt sich an Trappentreustraße an, gegenüber des Tatorts öffentlicher Parkplatz, 2 Buslinien (53 und 133) halten unmittelbar davor, sind im 10-Minuten-Takt gefahren, alle 5 Minuten kam ein Bus vorbei.
Luftbild: s.o., Busfahrpläne.
Bild Geschäft (blaue Folien vor Fenster von Feuerwehr wegen Schaulustiger).
Bild 4: Gehweg/Radweg mit Bushaltespur.
Bilder 5-9: Geschäftstür steht offen, dahinter Haustür geschlossen, Wohnung von außen (mit Geschäft verbunden), Klingel (12 Parteien), Blick von Haustür in Flur, links Stahltür, die in Gaststätte "Trappentreuhof" führt, im hinteren Flur Treppe, die in Wohnungen des Hauses führt.

M: Bei meinem Eintreffen war Wohnungstür von Hr. Boulgarides ins Schloss gezogen.
Keine Zeichen in Wohnung, dass hier ein Kampf stattgefunden haben könnte.

Bilder 10-17: Geschäftsraum: relativ eng darin, Schlüsseldienst-Regal, Registrierkasse (wurde geöffnet, Geld war drin = keine Anzeichen, dass Geld entnommen oder Kasse durchsucht wurde), Handy lag unterhalb des Tresens.
Bild 18: Boulgarides auf dem Rücken liegend, Rettungssanitäter hatten Pulli hochgeschoben, am Rücken Elektroden angeschlossen, Kopf blutig.
Bild 20: Festnetz-Telefon, auf Display: Nachrichten vorhanden.
Bild 21: Verkaufsregal, rechts daneben Tür zur Wohnung.
Bilder 26-27: Flur, Holzbretter, vermutlich vom Renovieren.
Bilder Wohnung: Schlafanzug auf Bett, "bestimmungsgemäß eingerichtet", 2 halbleere Weingläser auf Wohnzimmertisch und Teller mit Apfelstücken.
Bilder Keller: Wurden mit Rauschgiftspürhunden untersucht, die aber nichts fanden.
Bilder 63-98: Jacke und Poloshirt, auf Weste im oberen Bereich Blut und Gewebe, die nach unten führen, an rechter Hand an Daumenwurzel Blutantragungen, linke Hand an Handfläche und Mittelfinger Blut, Bluttropfen auf Hose, Blutspritzer im Hausschuh, Blutspuren zwischen den Beinen, tropften von oben nach unten, Blutspuren aus der Bewegung heraus, riesige Blutlache rund um den Kopf, Blutstropfen am Heizkörper und an Wand gegenüber des Kopfs.
Bekleidung: Blaue Strickjacke (52) wurde vor der Obduktion aufgeschnitten, Bluttropfen vorne, hinten 40 x10 cm Blut.
Blaues Poloshirt von Lacoste, wurde vor Obduktion aufgeschnitten, hinten am Kragen großflächige Blutantragungen, weil er in der Blutlache lag.
Jeanshose von Jinglers 36/35, dunkle Antragungen am unteren rechten Hosenbein, hinten rechts unterhalb des Gesäßes Blutspritzer.
Bild 151: Baugleiche Ceska 83 Kaliber 7,65 Browning.
Folgende Bilder zeigen die Schussversuche, mit einer oder 2 Tüten, u. a. großes Loch, das entsteht, wenn aus der Plastiktüte heraus geschossen wird, Hülsen blieben in Tüten zurück.
Auto von Boulgarides parkte gegenüber auf dem öffentlichen Parkplatz.

Auf Fragen von RA Hardy Langer (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Turgut):
M: Wurde dann von der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) "Bosporus" abgearbeitet.

Auf Frage von RA Eberhard Reinecke (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße) zu Telefon:
M: Stand darauf: "Sie haben neue Nachrichten plus Telefonhörer".

Auf Frage der Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben:
Sonderkommission entschied, Rauschgiftspürhund einzusetzen.

Pause bis 11.30 Uhr.

(Heike Borufka, HR)
11.38 Uhr.
Zeuge Markus K., 37, Rettungsassistent (Fall Boulgarides).
Einsatz 15. 6. 2005.
K: Erinnere mich noch, dass wir den Einsatz bekommen haben, waren relativ nah, ca. 3 Minuten später, da (bei Polizei: kamen um 19.10 Uhr am Tatort an), bin in Laden gegangen, fand männliche Person auf Boden liegend vor, war ziemlich viel Blut, offensichtlich waren die Schädelverletzungen so groß, war mit dem Leben nicht mehr vereinbar, beginnende Leichenflecken, habe noch EKG geschrieben, das war kurz nach sieben, weiß nicht, ob Polizei schon da war, beide Streifenwagen waren ziemlich schnell da, ich war drinnen, mein Kollege hat mir noch das EKG gebracht, sollte noch mal reingehen, weiß aber nicht mehr, was ich noch schauen sollte, am nächsten Tag habe ich meine Stiefel der Spurensicherung abgegeben, Lage des Geschädigten habe ich nicht verändert, habe EKG-Elektroden aufgeklebt, Opfer lag hinterm Tresen, Kopf Richtung Wand.

Auf Nachfragen von Richter Manfred Götzl:
K: Vorne bei mir war keiner, weil keiner dahin gehen wollte, am Eingang standen einige Personen, nichts Außergewöhnliches im Schlüsselgeschäft aufgefallen. Mir fiel nur Blutrinnsal auf (bei Polizeivernehmung).

11.50 Uhr: Ende Zeugenaussage.

(Holger Schmidt, SWR)
Götzl: Sonstige Personen außer Polizeibeamten anwesend? Kontakt?
K: Nur Kripo.
G: Lage Opfer?
K: Hinter dem Tresen, Kopf Richtung Wand.
(Aus Protokoll: War der erste am Tatort, Polizisten und Geschäftsführer vor Ort.)

Mittagspause bis 13.30 Uhr.

(Heike Borufka, HR)
Zeuge Dr. Oliver P., Sachverständiger, Institut für Rechtsmedizin München (Obduktion Boulgarides).
Fortsetzung der Befragung 13.38 Uhr.
Peschel: Ab 1 Uhr Leiche von Theodoros Boulgarides obduziert.

1,76 Meter groß, 91 kg.
Fanden sich 2 Schädelsteck- und ein Schädeldurchschuss, keine Schmauchspuren an der Einschussstelle, linke Unterkiefer gesprengt, Knochenfragmente in Schussrichtung nach oben, Schuss im wesentlichen im Bereich des Gesichts.
Steckschüsse an Nasenöffnung, typischer Hautdefekt, 1 Schuss horizontal in der rechten hinteren Schädelgrube (grabenförmiger Schädeldefekt), Projektil zwischen Kopfschwarte und knöchernem Schädel.
Zunge vollständig durchsetzt, Projektil offenbar aus Zunge ausgetreten und dann links oben in Mittelgesichtsskelett, Zähne z. T. zerstört, in linken Vorderhautlappen vor Schläfe eingedrungen.
Reichlich Blut und Flüssigkeit in oberen Atemwegen, Atemwege nahezu vollständig verlegt.
(Zschäpe hört offenbar interessiert zu.)
3 Schädelschussverletzungen, davon eine Gesichtsschussverletzung, eine Gesichtsschädel- und Hirnverletzung und ein weiterer Steckschuss mit Einschuss hinten rechts der Nase, der an der Schädelgrube vorbei verlaufen ist.
Todesursache: Schädellähmung mit Ersticken.

Peschel: 28. 7. 2005 toxikologische Untersuchung: Mageninhalt, Urin, Oberschenkelserum auf Drogen und Medikamente und LSD untersucht. Ergebnis negativ, kein Hinweis auf Aufnahme dieser Substanzen, die Handlungs- oder Einsichtsfähigkeit gestört hätten können.
Tatortuntersuchung: Leiche lag bekleidet in Rückenlage quer hinter dem Verkaufstresen.
Zwischen den Füßen und unmittelbar hinter der Ladentheke feine Tropfspuren im 90-Grad-Winkel aufgetragen: typische Spuren, wie sie beim Abtropfen von Blut aus einer Verletzung nur der Schwerkraft folgend zustande kommen.
Zu einem Blutkuchen gewordene Spur, lässt sich Kopfposition des Betroffenen lokalisieren.
Tatzeit ca. 19 Uhr passt zu den gemessenen Temperaturen.
1 Schuss auf den stehenden Herrn Boulgarides abgegeben worden, am plausibelsten ist der horizontal verlaufende Schuss, d. h. von einer stehenden Person ist frontal aus kurzer Distanz auf eine stehende Person ins Gesicht geschossen worden, Herr Boulgarides ging möglicherweise zu Boden, dann ist vermutlich auf ihn geschossen worden, ggf. beim Niedergehen, aber nicht zwingend.
Für gewisse Zeit war noch Kreislauf vorhanden, Bluteinatmung spricht dafür, aber schätzungsweise allenfalls Minuten.
Herz kann durchaus noch minutenlang schlagen, auch bei Verletzungen des zentralen Nervensystems, es setzt dann eine Schnappatmung ein.

14.05 Uhr, Ende Aussage.

(Heike Borufka, HR)
14.20 Uhr.
Zeuge Martin G., 64, Sachverständiger, Bayerisches Landeskriminalamt (Schussrekonstruktion Fall Boulgarides).
G: Sollte Munitionsteile näher anschauen und sie dann ans Bundeskriminalamt (BKA) unverzüglich weiterleiten.
Die Munitionsteile stammten aus derselben Waffe.
Aus Wiesbaden (BKA) wurde uns mitgeteilt: Stimmten überein mit Munitionsteile, die an anderen Tatorten übereinstimmten.
Der Schuss musste etwa in 50-Grad-Winkel Richtung Steinboden abgegeben worden sein, Leiche hatte 3 Schussverletzungen, 2 Löcher im Kinnbereich und eine Schussverletzung am Nasenflügel.
Geschoss, dass sich in der Nähe des Kopfes befand, war ursächlich für Durchschuss.
Erster Schuss wurde waagrecht im Stehen in den Kopf erhalten, Körper kam zum Liegen, beide anderen Schüsse (Durch- und Steckschuss) im Liegen. Vermutlich Waffe in eine Tüte eingewickelt, weil Schmauchspuren vermindert. Schütze stand vermutlich beim ersten Schuss vor der Theke und Herr Boulgarides hinter der Theke.

14.20 Uhr, Ende Befragung .

(Heike Borufka, HR)
15.20 Uhr.
Zeuge Carsten R., 45, Kriminalhauptkommissar, Polizeipräsidium Nordhessen, K11 (Fall Yozgat).
Zeuge ist auffallend nervös.
R: Ist lange diskutiert worden, zum Schluss wurde gesagt, wir brauchen keine Aussagegenehmigung.
Götzl: Geht um den 6.4.2006. Sie waren mit Ermittlungen betraut. Bitte stellen Sie uns Ihre Ermittlungen vor und machen uns mit dem Tatobjekt bekannt.
R: War an diesem Tag bereits nach Hause gefahren, war ein schöner Frühlingstag, mit dem Rad unterwegs, wurde alarmiert, so dass ich am Tatobjekt relativ spät war.
War kurz nach 20 Uhr am Objekt in der Holländischen Straße 48.
Herr S. vernommen, der am Objekt festgenommen worden war. Habe mich am Objekt umgeschaut und bin dann ins Präsidium, um ihn zu vernehmen.
Herr S. war am Tatort, war in einer der Telefonzellen im linken Bereich. Hatte mehrere Telefonate geführt. Beim ersten Telefonat habe er 2-3 Mal Geräusch gehört, das wie zerplatzter Luftballon klang.
Hat nichts gesehen, umgedreht, weitertelefoniert.
Habe im Augenwinkel eine große, kräftige Person gesehen, die vermutlich das Internetcafé verlassen habe, habe er beim Umdrehen gesehen, wie jemand rausgehuscht ist, hat später gesagt, so richtig habe er das nicht wahrgenommen, was das für eine Person war.
Im Lauf des Abends hatte sich ein Tatverdacht ergeben, deshalb Bericht erst am nächsten Tag geschrieben.
Mehrfamilienhaus in Kasseler Nordstadt an der Hauptausfallstraße, Straßenbahnlinie Richtung Vellmar. Objekt klassischer Nachkriegsbau mit 6 Häusern, unten Geschäfte, darüber überwiegend Wohnungen.
Herr Yozgat betrieb Internetcafé im Erdgeschoss, erster Raum 25-30 Quadratmeter groß.
Insgesamt 6 Telefonzellen, links 3, 4, 5, 6, die anderen beiden sind rechts.
Auf Tresen waren Computer, mit denen die Internet-PCs im Hinterraum betrieben wurden. Direkt im Abgang war eine weitere abgetrennte Telefonzelle, mit der Nr. 7 beziffert. In einem abgetrennten Raum war ein Sessel drin, da muss eine Zeugin mit einem kleinen Kind gewesen sein.
(Zeigt auf Skizze.) Opfer lag hinter einem ca. 1 Meter hohen, ca. 80 cm tiefen Tresen, als ich kam, war er durch Rettungskräfte nach vorne gezogen und lag in der Mitte des Raums. Als ich hinkam, war bereits Rechtsmedizin und Erkennungsdienst da.

Auf Frage der Nebenklage:
Sichtschutz zwischen PCs.

15.20 Uhr, Ende Zeugenaussage.

(Heike Borufka, HR)
16.40 Uhr.
Zeuge Karl-Heinz G., 63, Kriminaloberkommissar, bis Ende November 2009 Polizeipräsidium Nordhessen im Kommissariat für Gewaltdelikte (Fall Yozgat).
G: Hatte an dem Tag Bereitschaft und war den ganzen Tag über mit Todesermittlung im Fall eines Kleinkindes beschäftigt, als mich der Kriminaldauerdienst um 17.31 Uhr über einen Tötungsdelikt informierte. Notruf war um 17.11 Uhr eingegangen. Habe sofort meinen Kollegen verständigt, weil ich mit größeren Ermittlungen rechnete. Wurde mir mitgeteilt, dass das Opfer verstorben ist. Bin dann zur Dienststelle gefahren. Am Tatort nahm ich Rücksprache mit den Polizeibeamten, die als erstes am Tatort da war. Es war schon eine größere Menschenmenge außerhalb der Absperrung. Kollege sagte mir, dass bei seinem Eintreffen 2 Rettungsteams schon anwesend waren und mit der Rettung beschäftigt waren. Notarzt machte aber keine Hinweise auf etwas. Vor dem Geschäft waren 2 Jugendliche und ein älterer Mann, aus Irak stammend, die alle 3 während der Tat im Geschäft oder dem Café waren. Das Café gliedert sich in einen Vorraum und einen hinteren Raum, wo die Computer stehen. Vorne gibt es 6 Telefonzellen. Iraker hatte aus Telefonzelle 3 telefoniert, die unmittelbar im Eingangsbereich ist. Die beiden Jugendlichen haben im hinteren Bereich gesessen. Ich habe den Auftrag gegeben, die Hausbewohner und alle, die ringsherum standen, zu befragen, ob irgend jemand etwas gesehen hat. Das war mir besonders wichtig.

G: Die Holländische Straße ist eine stark befahrene Ausfallstraße mit Straßenbahnverkehr. Auch von Fußgängern stark frequentiert mit sehr vielen kleinen türkischen, aber auch anderen Geschäften. Direkt neben dem Internetcafé eine Fleischerei und Pizzeria und auf der anderen Seite eine türkische Teestube. War mir wichtig, sofort zu versuchen, Informationen zu bekommen. Bin in Tatort rein. Habe das Opfer auf dem Rücken liegend mit blutverschmiertem Gesicht gesehen. Notarztkoffer und Mullbinden lagen noch umher. Habe dann im Bereich des Schreibtisches geringe Bluttropfspuren gesehen. Hinter dem Schreibtisch sind in L-Form ausziehbare Schränke. Hier war auch ein Blutbild festzustellen, dass stimmig war mit Blut- und Hirnpartikel im Bereich des Mülleimers. Ich habe nach der ersten Inaugenscheinnahme die Rechtsmedizin verständigt, meinen Kollegen Dr. W. Zusammen mit Prof. S. haben wir 2 Einschusslöcher an der rechten Kopfseite oberhalb des Ohres und linksseitig versetzt festgestellt. Keine typischen Abwehrverletzungen z. B. an den Händen festgestellt. Die Leiche wurde danach beschlagnahmt. Die Computeranlage wurde von der entsprechenden Dienststelle sichergestellt. Danach habe ich die Wohnung versiegelt. Am nächsten Tag wurde er dann im Klinikum Kassel obduziert in Anwesenheit von Dr. W. Die Obduktion hat ergeben, dass das Opfer mit 2 Schüssen in den Kopf getötet wurde. 2 Projektile steckten im Kopf. Sie wurden sofort nach Wiesbaden zur Untersuchung gebracht. Der Erschossene hatte Schürfwunden am Kopf, die mit dem Spurenbild (Blut an Eckleiste) stimmig waren. Aufgrund der Spurenlage bin ich davon ausgegangen, dass der Verstorbene auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch sitzend erschossen wurde und sich dann gedreht hat. Die Obduktion hat weiter ergeben, dass keine Gewaltanwendungen am Opfer erkennbar waren.

G: Danach wurde Leichnam sofort freigegeben. Darum hatten die Angehörigen gebeten wegen der zeitnahen Überführung. So wurde dann bekannt, dass der Erschossene mit einer Ceska 7.65, die bereits bei 8 Serienmordstraftaten benutzt worden waren. Hat mich bei der Annahme bestätigt, dass nicht eine Person dort tätig war, sondern dass es mindestens 2 Täter waren, weil die Holländische Straße stark frequentiert ist und man damit rechnen muss, dass jeden Moment jemand aus dem Haus oder vorbeikommt.
(Zeuge zeigt auf Lichtbildern Haus, Internetcafé, Nachbarhäuser.)
(Zschäpe hat Brille aufgesetzt und schaut zu.)
Unter anderem lag im Fensterbereich ein blutverschmierter Stuhl, dachte zunächst, es habe ein Kampf stattgefunden. Stellte sich dann raus, der Vater hatte dorthin geworfen. Ich habe unterhalb des Schreibtisches geguckt, da war Geld vorhanden, es war alles geordnet. Hinweise auf einen Raub habe ich nicht gefunden.
(Zschäpe nimmt die Brille wieder ab, schaut aber weiter zu.)
Ganz schmaler Einblick vom hinteren in den vorderen Raum.
(Foto: Halit Yozgat liegt mit hochgezogenem Pullover auf dem Rücken vor dem Schreibtisch.)
Türe der Telefonzellen sind mit Plakaten beklebt, die Sicht ist also dadurch stark eingeschränkt.
(Foto:) Kinderwagen gehörte einer schwangeren Frau, die mit einem Kleinkind in einer Telefonzelle telefoniert hat.

Auf Nachfragen von Richter Götzl:
Zeuge G: War mir wichtig, dass Zeugen sofort vernommen wurden. Vater des Getöteten wollte seinen Sohn ablösen, weil der Sohn zur Abendrealschule gehen wollte. Vater war da. Er war stark benommen. Habe nur gefragt, ob er irgend etwas gesehen hat.
Die Computeranlage wurde sichergestellt. Die Auswertung der Anlage hat die Zeugenaussage der beiden Jugendlichen und der Frau bestätigt. Zunächst sind die beiden Jugendlichen nacheinander in das Internetcafé reingekommen. Der eine hat sich an Platz 3, der andere an Platz 7 gesetzt. Danach kam die Frau, die aus Telefonzelle 7 telefoniert hat. Gegen 16.50 Uhr ist eine Person reingekommen, der Verstorbene hat der Person den Platz Nummer 2 zugewiesen. Der Verstorbene hatte zu dieser Zeit mit einem Schulkameraden telefoniert. Er hat gehört, wie er sagte, Sie können Platz 2 benutzen. Passte zur Auswertung. 17.01 Uhr hat er sich ausgeloggt. Der, der in der Telefonzelle war und Knallgeräusche gehört hat, hat einfach weiter telefoniert. Schemenhaft hat er aus dem Augenwinkel einen Schatten gesehen, der da vorbei ist. Die anderen haben die Knallgeräusche auch nicht so zugeordnet, dass es Schüsse gewesen wären. Sonst hätten die sofort reagiert.

Auf Nachfrage von Götzl zum Opfer:
Zeuge G: Nachdem bekannt war, dass es ein Opfer innerhalb der Tötungsserie war, ist sofort eine sehr große Mordkommission gebildet worden und es ist Abgleiche gemacht worden. Mordkommission "Café": War gemeinsam mit Kollegen F. für mögliche Motivlage im Umfeld der Familie zuständig. Wir haben sehr viele Gespräche mit Familie Yozgat geführt, sehr kooperativ, harmonisch und vertrauensvoll. Habe Hr. Yozgat gesagt, wir werden alles tun, um die Wahrheit herauszufinden. Deshalb ist es wichtig, dass wir nichts auslassen. Die waren sofort damit einverstanden. Wir haben von Anfang bis Ende sehr harmonisch zusammen gearbeitet.
Halit Yozgat wurde von allen Freunden und Bekannten als netter, freundlicher Kumpel bezeichnet. Hatte mit keinem Ärger. Auch innerhalb der Familie gab es da keine Probleme. Eltern hatten ihm das Internetcafé ausgestattet, damit er eine Beschäftigung hatte. Wenn er nicht konnte, haben Eltern ausgeholfen.
Wir haben die Freunde, Bekannten und Schulkameraden befragt, ob es Ärger gab. Es gab keine Ansätze, dass irgendein Motiv vorhanden sein könnte.
Halit hatte einen guten Freund, der wegen Drogendelikten im Gefängnis saß. Aber auch da kein Ansatzpunkt, dass er da in irgendwelche Geschäfte verwickelt war. Auch innerhalb der Familie keine Ansatzpunkte gefunden.
In der Teestube gab es Drogenhandel. Da kamen welche aus Holland und wollten Geld erpressen und wurden festgenommen und abgeschoben. Aber da hatten die Yozgats gar nichts mit zu tun. Es war kein Zusammenhang herzustellen zwischen den Yozgats und dieser Tätergruppe. Auch die finanzielle Situation war so, dass Familie in der Holländischen Straße ein Haus gekauft hat. Da waren noch Schulden, aber Tatzusammenhang konnte nicht hergestellt werden. Die Cimpas-Holding (lautmalerisch) hatte Familie Geld Angelegt, das veruntreut wurde. Aber auch da keine Motivlage. Fazit: Ermittlungen im Umfeld der Familie gaben keine Anhaltspunkte für Spur oder Motiv. Ich hatte das Gefühl, dass die Familie und ich an einem Strang gezogen haben.

Zeuge G: Halit war der einzige Sohn der Familie. 1991 in Kassel eingeschult, dann Gesamtschule. Vater untersagte Gymnasium. Schulische Leistungen verschlechterten sich. Machte Hauptschulabschluss. Wollte Vorbeter in Moschee werden, redeten ihm Eltern aus. Halit weigerte sich, Lehre bei VW Baunatal zu machen. Nimmt 2003 deutsche Staatsangehörigkeit an. Vater richtete ihm Internetcafé im Herbst 2004 ein, weil er keiner Tätigkeit nachging. Im Februar 2006 meldete er sich an der Abendrealschule an. Er wurde als freundlicher Schüler beschrieben, der aufgepasst hat. Seine schulischen Leistungen waren laut Schule gut. Während er in der Schule war, wurde Café von Eltern oder Aushilfen geführt. Vater war Schichtarbeiter. Geschäft wurde in der Regel am späten Vormittag von Aushilfe oder Eltern eröffnet, damit Halit ausschlafen oder lernen konnte.

Auf Fragen von Götzl zu Einsatz von verdecktem Ermittler:
Keine Hinweise wurden bekannt, die einen Tatzusammenhang herstellen können. Auch Telefonüberwachung der Familie ergab keinen Hinweis.
Familie: gläubige Muslime, aber westlich orientiert, hatten sich in unser Gesellschaftssystem sehr gut integriert.

Bundesanwaltschaft: Wie ging es mit dem Internetcafé weiter?
Zeuge G: Herr Yozgat war bestrebt, das Café zu verkaufen. Der Tod hat die gesamte Familie sehr, sehr mitgenommen. Ganz besonders die Mutter. Bei allen Gesprächen kam zum Ausdruck, dass es die Eltern stark mitgenommen hat. Sohn war Mittelpunkt der Familie und wurde auf so abscheuliche Art herausgezogen.

Auf Fragen von RA Thomas Bliwier (Nebenklage-Anwalt der Eltern von Halit Yozgat):
Zeuge G: Türkischer Polizist aus Hessen hat Gespräche mit Herrn Yozgat geführt. Herr Yozgat hatte sich ihm anvertraut.
B: Trifft es nicht zu, dass Hr. Yozgat sich beschwert hat, dass die Ermittlungen in die falsche Richtung laufen. Vermerk türkischer Polizist: dass die Ermittler seiner Meinung nach einen falschen Weg hätten, sollten aufhören, in der Familie zu ermitteln. Fing an zu weinen, er habe nichts zu verheimlichen, habe seinen Sohn verloren. Er wäre der festen Überzeugung, dass sein Sohn und die anderen Opfer wegen Ausländerfeindlichkeit ermordet wurden. Es muss ein Spinner sein, der etwas gegen Ausländer hat.
G: Hr. Yozgat hat sich uns gegenüber nicht so verhalten.
B: Türkischer Polizist hat bei Mordkommission "Café" angerufen und von dem Gespräch erzählt.
G: Habe davon nichts gehört, habe Gespräch nicht geführt. Habe Familie Yozgat gesagt, wir müssen alles mit einbeziehen.
B: Haben Sie in alle Richtungen ermittelt?
G: Ich weiß, dass beim BKA und bei dem entsprechenden Kommissariat nachgefragt wurde. Habe ich nicht veranlasst, wer das veranlasst, weiß ich nicht.
B: Konkrete Ermittlungen in Richtung Ausländerhass, Fremdenhass?
G: Wenn wir mit anderen gesprochen haben oder in der Schule waren, haben wir nach ausländerfeindlicher Auseinandersetzung gefragt, vor allem mit Blick auf die Serie. Das war uns wichtig. Zum Beispiel, als wir im Gefängnis waren. War eine Möglichkeit zu erfahren, gab es da etwas? Auch als ich erfahren habe, dass der Iraker aus einer Kurdengegend kam, haben wir gefragt
B: Mache Ihnen keinen Vorwurf, ziehe nur in Zweifel, dass es ein harmonisches Miteinander mit der Familie gab.
G: Herr Yozgat hat sich uns gegenüber so nicht geäußert.

Auf Nachfragen von Nebenklage-Vertretung:
Zeuge G: Während der Obduktion habe ich den Erkennungsdienst nach Handy gefragt. Antwort: Ist keines an der Leiche und am Tatort gefunden worden. Infolgedessen wurde festgestellt, dass ein Mitarbeiter der Pathologie das Handy gestohlen hat. Aufgrund der Ortung wurde es bei ihm festgestellt. Auswertung des Telefons erfolgte dann.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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