NSU-Prozess


0

NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 14. Verhandlungstag, 24.06.2013

Schwerpunkt des 14. Verhandlungstages ist die Beweisaufnahme im Mordfall Abdurrahim Özüdogru, der am 13. Juni 2001 in seiner Änderungsschneiderei in der Gyulaer Straße in Nürnberg erschossen wurde.

Von: Tim Aßmann, Matthias Reiche und Rolf Clement

Stand: 24.06.2013 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

In diesem Zusammenhang werden auch die NSU-Bekennervideos ("Paulchen Panther"-Videos) gezeigt.

Zeugen:
Karl-Heinz B. (Kriminalpolizei Nürnberg)
Norbert H. (Kriminalpolizei Nürnberg)
Jürgen K. (Nachermittlungen Fall Özüdogru)
Rita G. (ehemalige Nachbarin Özüdogru)
Sabine M. (ehemalige Nachbarin Özüdogru)
Michael L. (Auffindung Özüdogru)
Harald M. (Rentner)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Tim Aßmann, BR)
Beginn 9.51 Uhr.

RA Thomas Bliwier (Nebenklage-Anwalt der Eltern des ermordetetn Halit Yozgat): Antrag: Mike Sch. (inhaftierter Neonazi aus Dortmund, der Briefkontakt mit Zschäpe hat) laden. Er kannte Zschäpe und beide Uwes schon vorher. Hatte Kontakt auch zu "Sturm 18" aus Kassel. Auch anderen Neonazi aus Dortmund vorladen, der V-Mann war. Mitglieder der Szene befanden sich in Kassel auf Konzert und trafen dort beide Uwes.

Bliwier nennt jetzt noch weitere Zeugen aus dem "Sturm 18"- Umfeld in diesem Zusammenhang und fordert deren Ladung. Unter den Zeugen ist auch Benjamin G., der als V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes über die rechte Szene berichtete. Sein V-Mann-Führer war Andreas T., der beim Mord an Halit Yozgat am Tatort war.

Bliwier: Aus Vernehmung (eines Teils der genannten Zeugen) wird Verbindung Böhnhardt und Mundlos nach Kassel deutlich werden. Zschäpe hält weiter Kontakt zu gewalttätiger Szene in Dortmund und Kassel. Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen und Hessen hatte Infos zu Taten in Dortmund und Kassel.

Richter Manfred Götzl: Beweisanträge künftig bitte am Ende jedes Verhandlungstages aus Rücksicht auf geladene Zeugen. Appell an Anwälte: Bitte pünktlich sein.

Zeuge Karl-Heinz B., Polizeioberkommissar der Wache Nürnberg-Süd.
Am Abend  des 13. Juni 2001 kam gegen halb Zehn die Meldung aus der Gyulaer Straße. Ein Passant hatte beim Vorbei gehen einen Mann gesehen, der blutete. Kollege Meindl und ich sind dann hin und versuchten rein zu kommen, von der Gyulaer Straße war die Tür zu, wir sind von anderer Seite rein, links war ein Mann, am Boden sitzend, angelehnt an Holztür, machte leblosen Eindruck, hab ihn angesprochen, keine Reaktion, hab Puls gefühlt, nichts gespürt und gemerkt: "Der ist ziemlich kalt". Dann kamen Rettungsdienst und Notarzt. Der hat besichtigt und festgestellt: Nicht natürlicher Tod. Dann Kriminaldauerdienst verständigt und Objekt abgesichert bis Kripo übernommen hatte.
Anette Greger (Vertreterin Bundesanwaltschaft): Waren Sie auch in Wohnung Özüdogru?
B: Nein. Wir haben die Wohnung nicht betreten. Nach meiner Erinnerung war die Türe zugesperrt?
G: Haben sie selber Bilder vom Toten gemacht?
B: Nein, aber der Kriminaldauerdienst.
G: Erinnerung an Kleidung?
B: Nein. Späteres Bild hätt ich nicht in Verbindung mit Erschossenem bringen können.
Zeuge entlassen.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 10.45 Uhr.
Zeuge Norbert H., ehemals Kriminalpolizei Nürnberg.
Fand Toten in halb liegender, halb sitzender Position vor. Bespricht an der Richterbank Tatortfotos.
H: Lage des Opfers wurde verändert, weil man Pistole suchte.
Gezeigt werden mehrere Fotos, die das Opfer sowohl aus der Ferne als auch als Nahaufnahme zeigen. Zu sehen sind Eintritts- und Austrittswunden.
Zschäpe schaut die Fotos nicht an, guckt auf ihren Laptop oder redet mit Verteidigern.
Zu sehen sind teils riesige Blutlachen.
Sind rund 50 Tatortbilder.
Zu sehen auch ausgeworfene Patronenhülse.
H. hat dann Rekonstruktion durchführen lassen, weil er Leiche nicht im Originalzustand aufgefunden hat und weil zwei Schüsse abgegeben wurden und ihnen die Positionen Opfer und Täter jeweils bei den Schüssen interessierten. Ging um jeweilige Schussachsen. Rekonstruktion wurde mit Puppe durchgeführt. Dazu kommt am Nachmittag noch Sachverständiger. Dann wird Stadtplanausschnitt angeschaut. Tatort im südlichen Stadtgebiet, reine Wohngegend. Er zeigt Anwesen. Eckhaus Gyulaer Straße / Siemensstraße. Dann wird Wohnungsskizze betrachtet. H. zeigt Leichenfundort und Fundorte von einem Projektil und zwei Patronenhülsen.

RA Yavuz Narin (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Theodoros Boulgarides): Herr Zeuge, ist Ihnen bei Tatortarbeit außen am Anwesen an den Fallrohren der Regenrinnen etwas aufgefallen?
Zeuge H: Nö.
N: Gibt es Außenaufnahmen im Original bzw. in größerer Auflösung?
Richter Manfred Götzl: Was meinen Sie?
N: Später wurden Aufkleber der "Fränkischen Aktionsfront" an Fallrohren festgestellt und wir wollen wissen, ob die damals schon da waren. Die Aufkleber stammen aus dem Jahr 2001.
H: Könnte mir vorstellen, dass Negative noch in Dienststelle sind. Ob Aufkleber (der "Fränkischen Aktionsfront") zu sehen sind, kann ich nicht beurteilen.

RA Mehmet Daimagüler (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen von Özüdogru): Sie haben auch evtl. Beteiligung des Opfers an Drogenhandel geprüft, nahmen Durchsuchungen vor. Welche Hinweise gab es denn?
H: Hatte damit nichts zu tun.
D: Es gibt Vermerke mit seiner Unterschrift bzgl. Durchsuchungen mit Drogenhunden.
H: Kann sein, dass ich dabei war. Das weiß ich nicht mehr hundertprozentig. Grund wurde mir vom Sachbearbeiter vorgegeben. Befragung unvereidigt beendet.

(Matthias Reiche, MDR)
Zschäpe gibt sich mit ihrem Laptop beschäftigt, hebt den Blick nur selten vom Bildschirm. Bilder zeigen auch, dass der ermordete Änderungsschneider ein so genannter "einfacher Mann" war, der in eher ärmlichen Verhältnissen lebte.
Unbehagen auch bei den Berichterstattern bei dieser ersten konkreten Konfrontation mit den so genannten NSU-Taten.

Mittagspause bis 13.10 Uhr.

(Matthias Reiche, MDR)
13.20 Uhr.
Zeuge Jürgen K., Berliner Hauptkommissar, war 2007 mit Nachermittlungen zum Nürnberger Fall betraut.
Es geht um Bankbesuch der Zeugin Rita G., die ebenfalls für den heutigen Dienstag auf der Zeugenliste steht.

Da sie noch nicht da ist, bekommt die Verteidigung Zschäpes die Möglichkeit zur Stellungnahme auf den Antrag von Nebenklageanwalt Thomas Bliwier. Er wollte noch einige Zeugen laden, um die Verbindung des Trios in die Dortmunder Neonazi-Szene zu belegen. Zschäpes Anwälte sehen die Notwenigkeit nicht, da dies den Prozess nur verzögern würde. Auch sei angeblich klar, dass Zschäpes Brieffreund (der in Bielefeld einsitzende Robin S.) die Hauptangeklagte nicht schon vor ihrer Inhaftierung kannte.

Pause bis 13.45 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
13.49 Uhr.

Bekenner-Videos des NSU werden nacheinander gezeigt, unterlegt mit Rechtsrock: "Kraft, Kraft, Kraft für Deutschland, wir sind am Puls der Zeit, zum Widerstand bereit."
Zschäpe scheint immer mal wieder kurz mit dem Oberkörper im Takt mit zu wippen. Einer ihrer Verteidiger, RA Wolfgang Heer, spricht sie an. Worum es geht, weiß man nicht, aber sie hört auf zu wippen.

Pause bis 14.30 Uhr.

(Rolf Clement, DLF)
Zeugin Rita G., 70 Jahre alt, Rentnerin, wohnhaft in Nürnberg, 13. Juni 2001.
Zeugin G: Der Schneider war ein ganz lieber Nachbar und ein Kunde, hat immer - jeden Tag - die Zeitung bei mir geholt, war ein ganz netter Mann. An diesem Tag hat er die Zeitung bei mir im Geschäft (Lottogeschäft) gekauft, dann hat mich eine Verkäuferin abgelöst. Er ist dann gegangen, ich bin dann auf die Bank gefahren, habe mich vor den Ladentisch gesetzt, da saß ich, habe ein wenig mit der Kollegin geplaudert, dann ist dieser Mann reingekommen und hat Zigaretten gekauft. Ich habe ihn erkannt von dem Phantombild. Hat Marlboro gekauft, mehr kann ich eigentlich gar nicht sagen. Ich habe irgendwie am späten Abend vom Tod des Schneiders erfahren, da hat mich jemand angerufen: "Unser Schneider ist tot." Die Schneiderei war direkt neben meinem Geschäft, er war mein Nachbar. Ich hatte 28 Jahre das Geschäft, und er war sehr lange mein Kunde.

Zeitlich einordnen kann sie das nicht mehr.
G: Ist mir nicht mehr so in Erinnerung. Das war am Nachmittag, sie löste mich um halb 3 ab. Ich möchte die Mitarbeiterin nicht mit reinbringen, den Namen nicht nennen, sie hat schließlich für mich gearbeitet. Richter nennt den Namen aus den Akten, Zeugin bestätigt.

Aus Akten: Besuch des Schneiders zwischen 15.30 Uhr und 16.00 Uhr, im Laden wohl wieder um 16.00 Uhr, Zeiten bestätigt sie nicht mehr. Götzl will Zeitungskauf von Özüdogru einordnen. In den Akten fand er vor dem Gang zur Bank statt. Zeugin meint, das sei vielleicht richtig(er), weil sie sich damals besser erinnern konnte als heute. Haben wohl eher lustig über den Lotto-Jackpot gesprochen. Der Marlboro-Käufer kam allein. Keine aktuelle Erinnerung mehr an den Mann, "ist alles verblasst", kann sie "heute nicht mehr" beschreiben.

In der Polizeiaussage: Der Mann kam kurz nach Özüdogru in den Laden. Kein Kommentar.
Was hatte er an? Kann ich mir nicht mehr so denken, ich meine eine Jeans-Jacke, den habe ich vorher nicht gesehen. Was ich nicht genau weiß, das sage ich nicht, also!
Vermerk Kriminalpolizei 1. 3. 2007: Damals hat sie Einzahlungsbeleg der Bank an die Polizei übergeben, zwei Einzahlungen getätigt. Keine Erinnerung bei der Zeugin. Geschäft war in Siemensstraße  40.

(Tim Aßmann, BR)
Zeugin G: Dieser Mann war mein unmittelbarer Nachbar und zwar ein ganz, ganz lieber Mensch. Das möchte ich nochmal betonen. Kannte ihn jahrelang. Hat immer "Hürriyet" gekauft.
Sperrt sich etwas, den Namen ihrer Kollegin zu nennen. Daraufhin nennt ihn Götzl aus der Akte.
Götzl versucht, Zeitpunkt des Marlboro-Kaufs einzuordnen. Die Bank schloss um 16 Uhr.
Dann Verwirrung darum, wann Özüdogru seine Zeitung an jenem Tag kaufte. Zeugin G. sagte damals: nach ihrem Bankbesuch. Nun sagt sie: davor. Auf Nachfrage erklärt sie, die frühere Aussage werde stimmen, weil die Erinnerung damals noch frischer war.

Götzl: Haben Sie sich damals auch mit ihm unterhalten?
Zeugin G: Ja. Aber weiß nicht mehr worüber. Er war immer zu einem Späßle bereit.
Götzl fragt nach Marlboro-Käufer.
Zeugin G. kann sich an Mann nicht mehr erinnern. Kann ihn heute nicht mehr beschreiben. Alles so lange her.
Götzl: Damals wurde Ihnen Phantombild vorgelegt. Da sagten sie, dieser Mann kam in meinen Laden. Haben Sie etwas zur Kleidung in Erinnerung?
Zeugin G: Meine, dass er Jeansjacke anhatte. Hatte ihn vorher noch nie gesehen.
Götzl: Vermerk Polizei Nürnberg: 1. 3. 2007 übergab G. Kontoauszüge vom 13. 6. 2001 (Hintergrund: Es geht darum, wann sie auf der Bank war am Tattag.)
Zeugin G. kann sich nicht mehr erinnern.
RA Adnan-Menderes Erdal (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße): Bitte Phantombild vorlegen.
Götzl: Bin nicht Vorbereiter für Verfahrensbeteiligte. Machen Sie konkreten Vorhalt!
E: Sie hat Phantombild erwähnt. Das soll vorgelegt werden.
Götzl: Dann mache ich jetzt fünf Minuten Pause und Sie können es raussuchen.

(Matthias Reiche, MDR)
Zeugin G. wird das Bild vorgelegt, das eigentlich keine Ähnlichkeit mit Uwe Mundlos hat, schon gar nicht mit dem jüngeren Böhnhardt.
Nachfrage von Nicole Schneiders (Anwältin des Angeklagten Ralf Wohlleben), die offensichtlich verstanden hatte, dass die Zeugin den Mann bereits im Laden vom Phantombild erkannt habe. Allerdings hatte sie sich erst später daran erinnert, dass der Mann im Laden war  - eines von vielen verbalen Missverständnissen.

Zeugin Sabine M., 44, wohnte bis 2002 gegenüber der Schneiderei.

Hat am 13.6.2001 die Schüsse gehört und sah angeblich einige Tage zuvor schon Leute vorbeigehen, die sie später auf Phantombild erkannte. Sah von ihrem Wohnzimmerfenster angeblich auch die Täter nach den Schüssen den Laden des Schneiders verlassen, und sah auch den toten Schneider von ihrem Fenster aus liegen. Machte dann mit der Polizei das Phantombild, dieses sei ihrer Meinung nach ganz klar einer der Männer, der sich später im Wohnmobil erschossen hat - unklar, ob sie Mundlos oder Böhnhardt meint. Angeblich waren die beiden Männer einige Tage zuvor schon einmal in der Straße, mit einer blonden Frau, waren auch im Laden.

Zeugin war noch in der selben Nacht nach dem Mord vernommen worden.
Zeigt sich deutlich, dass es ohne DNA schwierig ist, Ereignisse zu rekonstruieren, die 10 Jahre und mehr zurückliegen.

Pause bis 16.05 Uhr.

(Rolf Clement, DLF)
Eigene Darstellung der Zeugin Sabine M: Mein Sohn und ich saßen im Wohnzimmer, dann sind die Schüsse gefallen, wir wohnen gegenüber, dann haben wir zum Fenster runter geschaut. Ein, zwei Tage vorher waren zwei da gelaufen, die man nachher im Fernsehen gesehen hat. Mehr weiß ich nicht mehr, das ist ja schon mehr als zwei Tage her.
Ich bilde mir ein, dass es zwei waren. Nicht peng-peng, kein straßentypisches Geräusch, ich kann Ihnen das nicht beschreiben. Habe den Herrn, von dem wir das Phantombild gemacht haben, gesehen. Von meiner Wohnung aus hat die Polizei die Fotos gemacht. Die zwei sind beim Schneider-Laden raus, mit noch jemandem. Da war noch eine Frau dabei, die war aber damals blond, ich habe die nur ein einziges Mal gesehen. Ich weiß nicht, ob die Frau am Tag vorher dabei war oder an dem, als das Schneiderle erschossen wurde.

13. 6. 2001: Zwei Personen, einer hat das in Luft gesprengt oder was die auch immer gemacht haben. Kripo hat im letzten Jahr noch Bilder gezeigt, um Gottes Willen, das war ja der, von dem ich das Phantombild mitgemacht habe. Trug ein Holzfällerhemd. Einer stand davor, der andere kam noch raus. Und ich habe den noch rauslaufen sehen. Und dann sind die zu zweit aber weg. Drin war nur noch das tapfere Schneiderlein, das habe ich da liegen gesehen. Dann war plötzlich die Polizei da, hat alles abgesperrt, und dann hat jemand gefragt, wer was gesehen habe, und da habe ich gesagt: Ich, und dann kamen die. Ich habe die Polizei nicht gerufen, das muss jemand vor mir getan haben. Es muss nachmittags gewesen sein, denn mein kleiner Sohn muss immer nach dem Sandmännchen ins Bett, das muss also davor gewesen sein. Ob die Mädels und der ältere Sohn auch da waren, weiß ich nicht mehr. Die beiden Personen vom 13. 6. habe ich in der Straße schon mal gesehen, die haben da auch diskutiert, ich habe aber nicht genau verstanden, worüber, da war auch die "damals blonde" Dame dabei.

Götzl: Was haben Sie noch in Erinnerung von diesem Tag?
Zeugin M. schweigt.
G: Wo lag er denn?
M: Da war der Eingang, da war das links, das war ein Vorhang und da war ein Stück frei, ich schwöre Ihnen das, so war das.
G: Sie sind in der Nacht von 1.45 bis 2.?? Uhr vernommen worden.
M: Ich wohne da seit 2002 nicht mehr.
Vorhalt: 16.30 Uhr, war beim Saubermachen, Fernseher abgestaubt, hörte Schüsse, sah nichts besonderes, Mann, den ich zwei Tage vorher gesehen habe, ist über die Straße gegangen.
M: Der zweite war dabei, ich kann ihnen den genauen Tatverlauf nicht mehr rekonstruieren.
G: Damals war nicht die Rede davon, dass Sie den Toten gesehen haben.
M: Danach hat mich damals keiner gefragt. Ich war damals sehr nervös. Es ist ja nicht alle Tage, dass die Kripo in der Wohnung ist.
G: Haben Sie ein Fahrzeug gesehen?
M: Weiß ich nicht mehr.
Vorhalt: Ich sah, dass er in einen dunklen Pkw einstieg und dann wegfuhr, nicht quietschend, unauffälliges Fahren.
M: Weiß ich so nicht mehr. Waren zwei Tage vorher schon da. Sah drei Männer, Schneider, zwei Männer aus dem Osten, gingen zu ihrem Auto, von Frau damals keine Rede. Habe ich aber angegeben, aber da laufen so viele Frauen rum.
G: Damals Streit zwischen den Männern, Ostblockdeutsch und Türkendeutsch.
Keine Erinnerung.

Pause bis 16.00 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
Götzl: Es geht um den 13. 6. 2001. Was haben Sie damals mitbekommen? Was können Sie sagen?
Zeugin M: Wir haben damals im Wohnzimmer gesessen (gegenüber der Schneiderei), auf einmal Schüsse gehört. 2, 3 Tage vorher haben wir welche laufen sehen - wo auch in der Presse dann gestanden haben. Mehr kann ich nicht mehr sagen. Hab dann Kripo beim Anfertigen des Phantombildes geholfen.
G: Wen haben Sie da gesehen?
M: Ich weiß nicht mehr, wie der heißt. Ist mit noch jemandem aus dem Schneider-Laden raus. Da war noch eine Frau dabei. Die war aber damals blond. Kann Ihnen nicht sagen, ob das vorher war. Kann es Ihnen nicht mehr genau sagen.
G: Mir geht es um den 13. 6.
M: Da hat mich die Kripo gefragt, ob ich Phantombild machen könnte. Also habe ich das mit denen gemacht.
G: Wie viele haben Sie damals gesehen?
M: Zwei. Einer war der mit dem Campingwagen. Mehr kann ich nicht sagen. Bin aufgeregt. Ich habe die Schüsse gehört und hingeschaut. Die sind raus. Und ich habe den Schneider genau gesehen, liegen sehen - das tapfere Schneiderlein. Ich habe den noch rauslaufen sehen.
G: Haben Sie die Polizei verständigt?
M: Nein. Dass muss jemand vor mir gemacht haben.
G: Wann kam die denn?
M. weiß es nicht mehr (Hintergrund: Opfer wurde am späten Abend von einem Passanten entdeckt).
G: Haben Sie Personen vorher schon mal gesehen?
M: Ja, ein, zwei Tage vorher waren die bei uns in der Straße. Die beiden Personen und die blonde Dame. Habe sie diskutieren hören. Könnte nicht sagen, in welchem Zusammenhang die Dame damals mit war.
Götzl macht Vorhalt mit alter Vernehmung.
M: Die waren zu zweit. Waren ja davor auch da und der Mann, wo wir das Phantombild gemacht haben, ist damals auch mitgelaufen. Aber das ist jetzt schon so lange her.
Götzl macht erneut Vorhalt mit Aussage, die sich auf 11. 6. 2001 bezieht (also zwei Tage vor Mord). Sie gab damals an, drei Männer gesehen zu haben: den Schneider und zwei Männer, die nach Polen oder Russen aussahen. Von Frau war damals nicht die Rede.
M: Wissen Sie, an meiner Straße laufen so viele Frauen und Männer.
Götzl macht erneut Vorhalt: Gaben damals an, Streit zwischen einem Mann und Schneider mitbekommen zu haben. Erinnerung?
M: Wirklich nicht, tut mir leid.

(Tim Aßmann, BR)
Es geht um 16.09 Uhr weiter. Zeugin M. ist sehr aufgeregt. Die Frau von der Zeugenbetreuung hilft ihr.
Götzl will wissen, warum sie nicht die Polizei rief, als sie Özüdogru liegen sah.
M: Ich kann mit der Zeit nicht mehr helfen. Könnte nicht mal mehr den Tag sagen. Ist ungewöhnlich. So spät sind die Kinder nicht mehr auf (und eines davon war dabei, als sie Özüdogru liegen sah, der wurde aber erst spätabends durch Passanten gefunden).
G: Warum haben Sie Polizei nicht angerufen, wenn es Nachmittag war?
M: Ich es Ihnen nicht sagen.
(Hinweis des Autoren: Frau M. macht - man kann es leider nicht anders sagen - insgesamt keinen besonders cleveren Eindruck. Eher im Gegenteil.)
Götzl konfrontiert sie nun immer wieder mit alten Aussagen, in denen sie nicht geschildert hat, dass sie das Opfer liegen sah. Sie beteuert nun aber, es gesehen zu haben. Mehr kann sie dazu nicht sagen. Götzl bohrt, kommt aber nicht weiter.

RA Yavuz Narin (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Theodoros Boulgarides): Können Sie Frau, die Sie erwähnt haben, näher beschreiben?
N: Hallo?
Götzl: Haben sie Frage verstanden?
M: Kann sie nicht mehr beschreiben. War eher schlank.
N: Können Sie Frisur beschreiben?
M: War blond und lockig.
N: Wie war deren Umgang mit den Männern? Was gesehen?
M: Nein.
RA Christina Clemm (Nebenklage-Anwältin der Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße): War das letztes Jahr eine richtige Vernehmung?
M: Zwei Kontakte. Einmal Vernehmung. Einmal das Protokoll unterschrieben.
Ihr wurden zwei Fotos von den Uwes gezeigt.
C: Wen haben Sie wiedererkannt?
M: Kann Ihnen den Namen nicht sagen.
C: Haben Sie auch Lichtbilder von Frauen gesehen?
M: Weiß es nicht, kann es Ihnen nicht sagen.
RA Ferhat Tikbas (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen von Özüdogru): Schüsse gehört. Welcher Abstand?
M: Schlagartig nach und nach.
T: Wie konnten Sie die Leiche sehen von ihrer Wohnung aus?
M: Ich habe sie gesehen. Ich schwöre Ihnen das. Weiß nicht mehr, wie Wohnung damals geschnitten war.
T: Warum haben Sie das damals nicht gesagt? Weil Sie nicht gefragt wurden?
M: Ja.
RA Erdal will wissen, ob blonde Frau von damals Ähnlichkeit mit Zschäpe hatte.
M: Ich weiß es nicht.
Erdal will nachfassen, Götzl unterbindet: Frage schon beantwortet.
E: Habe Sie beobachtet in Pause. Als diese Frau (Zschäpe) kam, haben Sie sie angeguckt.
M: Da war Mann davor gestanden. Ich habe sie nicht gesehen. Hatte keinen Blickkontakt.
E: Haben die zwei, die damals aus dem Laden kamen (13. 6.), was in den Händen gehabt?
M: Weiß ich nicht mehr.
RA Sebastian Scharmer (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Kubasik): Wann haben Sie Leiche gesehen?
M. kann es nicht sagen.
M: Weiß, das hört sich beschissen an, aber ich habe die wirklich gesehen. Ich schwör es Ihnen.
RA Clemm hält ihr vor, in Vernehmung gesagt zu haben, dass sie Zschäpe sah.
M: Ich weiß es nicht mehr.
C: Haben Sie das damals den Beamten gesagt?
M: Ich weiß es nicht mehr, was ich zu den Polizeibeamten gesagt habe.
C: Haben Sie Angst hier, gerade auszusagen? Möchten Sie nicht aussagen? Situation nicht schwierig.
M: Ich habe furchtbar Angst. Ich traue mich nicht. So blöd wie sich das anhört von einer erwachsenen Frau.
C: Wissen Sie mehr, aber trauen sich nicht?
M: Ja.
Götzl: Wir unterbrechen und ordnen Zeugenbeistand bei.

Kurze Pause.

(Matthias Reiche, MDR)
Zeugin M. ist in ihrer Aussage sehr widersprüchlich, will toten Schneider am Nachmittag liegen gesehen haben, Polizei wurde aber erst 21.32 Uhr gerufen. Ist laut Akten auch unmöglich, die Leiche so wie sie aufgefunden wurde, aus dem Wohnzimmer gesehen zu haben. So geht es mit der gesamten Aussage. Frau ist in ihren Nutzen für die Anklage sehr limitiert.
Nachfragen der Nebenklage natürlich nach der blonden Frau: Hatte die blonde Frau von damals Ähnlichkeit mit der Frau auf der Anklagebank? Da lacht Beate Zschäpe heute das erste Mal.
Zeugin M. bringt auf Nachfrage mit tränenerstickter Stimme vor, dass sie Angst habe, vor Gericht zu sagen, was sie weiß.

Pause bis 16.45 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 17.01 Uhr erstmal ohne Zeugin.
Götzl will Beiordnung von Zeugen erörtern.
Verteidiger des Angeklagten André E.: Bringt nur was, wenn man sich von dieser Zeugin noch was erwarten kann. Ich denke nicht.
RA Wolfgang Stahl (Verteidigung Zschäpe): Wenn Fragen da sind, wird sie die beantworten müssen. Wenn aber suggestiv gefragt wird, ob sie Zschäpe erkennt, müssen wir uns wehren. Die Zeugin phantasiert hier. Ist schwer unter Druck. Zeugenbeistand halten wir für falsch.
Nebenklage-Anwalt: Wenn wir weitermachen, muss das Gericht aus Fürsorgepflicht jemanden zur Seite stellen. Erkennbar ist, dass Zeugin unter psychischem Druck nicht mehr klar denken kann. Entweder beenden oder beiordnen.
Scharmer sieht das genauso. Zeugin muss fachkundig beraten werden. Beistand bestellen.
RA Jens Rabe (Nebenklage-Anwalt von Semiya Simsek) sieht es auch so, erklärt aber, dass er keine Fragen mehr hat an diese Zeugin.
RA Ferhat Tikbas: Klären, worauf Angst bezogen ist und dann entscheiden.
RA Thomas Bliwier (Nebenklage-Anwalt der Eltern des ermordeten Halit Yozgat): Auf diese Zeugin wird man nix mehr stützen können. Deshalb wird Beistand nix bewirken. Auf dieses Beweismittel wird man nix stützen können.
RA Clemm: Erst alte Vernehmungsprotokolle von 2012 beiziehen und dann entscheiden, wie weiter mit dieser Zeugin.
Herbert Diemer (Vertreter Bundesanwaltschaft): Von weiterer Aussage nicht soviel zu erwarten. Auch mit Beistand nicht. Hat deshalb wenig Sinn. Wenn Senat glaubt, dass wirklich Angst da, würden Voraussetzungen vorliegen. Aber es scheint nicht so zu sein.
RA Olaf Klemke (Verteidigung Wohlleben): Voraussetzungen nicht da. Erst klären, worauf Angst beruht. Anwalt kann auch keinen diffusen Ängste kurieren.
RA Jacob Hösl (Anwalt des Angeklagten Carsten S.): Versprechen uns nichts davon. Haben keine Fragen.
Götzl: Gibt es denn noch Fragen?
RA Erdal: Ich habe noch Fragen.
RA Clemm: Erstmal nicht, will aber Protokolle sehen.
Diemer: Keine Fragen.

Götzl lässt Zeugin M. wieder holen.
Götzl: Was meinten Sie mit furchtbarer Angst?
M: Es ist so. Man weiß ja nicht, was außerhalb noch passiert. Wie soll ich das erklären? Mein Mann ist die ganze Zeit im Ausland. Ich bin allein. Jetzt laufe ich da mal und sage da irgendwas.
G: Welche Befürchtungen haben Sie?
M: Ja, dass mich einer wegmacht. Damals hat ja noch keiner gewusst, welcher Gruppe die angehören. Aber jetzt! Nürnberg ist halt ein heißes Pflaster.
RA Erdal: Versuchen Sie bitte, wahrheitsgemäße Angaben zu machen? Haben Sie mich vorhin angelogen?
G: Was meinen Sie denn?
E: Habe Sie in Pause beobachtet und als sie diese Frau gesehen haben, waren Sie auf einmal sehr aufgeregt.
RA Wolfgang Heer (Verteidigung Zschäpe): Beanstande. Schon gestellt und beantwortet.
G: Frage noch nicht gestellt.
E: Kommt jetzt. Sie hat nein gesagt vorhin und nun frage ich, ob sie mich angelogen hat.
M: Ich habe nur gesagt, dass ich mich nicht erinnern kann.
E: Und in Wirklichkeit war es wie?
G: So können Sie nicht fragen.
M: Das war meine Aussage.
E: Ist das Ihre Erinnerung?
M: Ja.
RA Tikbas: Hätten Sie Informationen, die Sie hier zurückhalten?
M: Nein.
T: Sicher?
M: Ja.

Fragerecht an Verteidigung. Stahl, Heer und Anja Sturm (Verteidigung Zschäpe) beraten mit Zschäpe.
Heer: Hätte Frage, will aber erst versuchen, sie mit anderen Zeugen zu klären.
Götzl: Heutige Vernehmung beendet. Sind noch nicht entlassen, für heute beendet.

(Rolf Clement, DLF)
Zeuge Michael L., 25, Koch, älterer Sohn der Zeugin M. (13. 6. 2001, Auffindung Özüdogru).
L: Das einzige, was ich noch weiß, ist: Ich bin von der Hauptschule nach Hause gekommen, habe gegessen, Hausaufgaben gemacht. Gab einen kleinen Schlag, habe geschaut, nichts gesehen, das war es. Silvesterknaller, Autowerkstatt in der Nähe, da gibt es auch mal Fehlzündungen. Auch an einen späteren Polizeieinsatz kann ich mich nicht erinnern. War zwischen 15.00 und 18.00 Uhr, war erst um 14.30 Uhr zu Hause. Um 18.00 Uhr gab es pünktlich Essen. War nach dem Mittagessen in meinem Zimmer, im Videotext läuft Zeit mit, den hatte ich an. Keine konkrete Erinnerung an diesen Tag.
Frage: Hat Ihre Mutter etwas gesagt, dass sie dort jemanden liegen sah?
L: Nein.
Vorhalt: Aussage zwei "Knalle"?
L: Kann mich nur an einen erinnern.
Frage: Haben Sie mit Ihrer Mutter über die Aussage gesprochen?
L: Nein, der Kontakt ist schleifend geworden, bin nicht mehr dort, habe anderen Job, seit neun Monaten kein Kontakt.
Frage Nebenklage: Wann haben Sie erfahren, dass der Schneider tot ist?
L: Ich habe allenfalls eine Woche später davon erfahren. habe nicht nachgefragt, weil ich dachte, dass es andere Ursachen hatte. Erst, als der Trubel mit Polizei und Rettung losging, habe ich gefragt.

Zeuge Harald M., 66, Rentner.
M: Kann mich fast nicht mehr erinnern, im Großen und Ganzen. Ich kam vom Urlaub nach Hause, hörte Krach, konnte nicht definieren. Böller? Mehrmals Koffer hochgetragen, dabei einen wegrennen sehen und mit Auto wegfahren. Nach einer Stunde oder so kamen Polizei und Krankenwagen. Bin ca. 17.00/17.30 Uhr zurückgekommen. Krach unmittelbar bei Parken gehört. Mir ist nichts aufgefallen, nicht am Laden, auch sonst nicht. Krach wie Kanonenschlag. Bumm und weg. Ich habe nur ein Geräusch mitbekommen. Im Hauseingang habe ich das mitbekommen. Wurde unmittelbar am nächsten Tag befragt. Habe ich ausgesagt, 2008 nochmal beim Landeskriminalamt. Was ich gesagt habe, weiß ich nicht mehr. Da war ein Polizist in der Wohnung, vielleicht 20 Minuten.
Vorhalt Vernehmung damals: Kamen um 16.00 Uhr aus Urlaub.
M: Kann auch stimmen.
M: Özüdogru war freundlicher und hilfsbereiter Mensch, habe mich mit ihm auch öfter unterhalten. Er hatte wohl einen alten Mercedes.
Vorhalt: Zweite Vernehmung war 2007.
M: Kann auch richtig sein.
Vorhalt: Damals: Sind um 18.00/19.00 Uhr nach Hause gekommen.
M: So genau habe ich das damals auch nicht mehr einschätzen können.
Vorhalt: Damals: Zwei Knallgeräusche, in der Wohnung.
M: Kann sein. Als ich im Haus war, habe ich ein Geräusch gehört, das andere kann ich nicht mehr hundertprozentig sagen.
Ende Befragung Zeuge M.

17.54 Uhr, Schluss.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


0