NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 12. Verhandlungstag, 19.06.2013

Am zwölften Verhandlungstag wird der Angeklagte Carsten S. weiter befragt, durch die Anwälte der Nebenklage durch die Staatsanwälte. Die Befragung des Angeklagten Carsten S., der aus der rechten Szene ausgestiegen ist, ist damit vorläufig abgeschlossen. Am Ende dieses Prozesstages versucht S. sein "Mitgefühl" für die Angehörigen der Opfer zu formulieren. Eine Entschuldigung, sagt er, wäre zu wenig.

Von: Rolf Clement und Holger Schmidt

Stand: 28.04.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Für Aufregung am zwölften Prozesstag sorgt eine Aussage von des Rechtsanwalts Reinhard Schön (er vertritt fünf Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße). Rechtsanwalt Schön unterstellt Anwalt Olaf Klemke, dem Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben, Nähe zu rechten Kreisen.

Fortsetzung der Befragung des Angeklagten Carsten S.

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Rolf Clement, DLF)
10.15 Uhr: Fortsetzung Befragung des Angeklagten Carsten S., erinnert sich nicht, wer "Bombenwerkstatt" (Rohrbomben-Garage) angemietet hat, ob Zschäpe mit zu den Mietern gehört - keine Erinnerung. Wurde erst nach Untertauchen mit dem Trio und möglichen Straftaten befasst. "Verschmorte Rohre" haben da eine Rolle in Gesprächen gespielt. Es gab keine Diskussion über Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele, an der S. beteiligt war.
Kennt keinen "Bettelbrief" des NSU, auch keinen Aufruf "Taten statt Worte".

(Holger Schmidt, SWR)
10.15 Uhr: Befragung Angeklagter Carsten S.
RA Schön (Nebenkläger-Vertreter, Opfer des Kölner Bombenanschlags) fragt Carsten S. nach der Garage.
RA Schön: Damals gedacht, Zschäpe dabei?
S: Nicht sicher.
RA Schön: Rolle Wohlleben?
S: Habe damals erst verstanden, dass Verbindung zwischen den dreien und Wohlleben besteht.
RA Schön: Ging es in Gesprächen in der Szene um die Bombenattrappen?
S: Ja. André K. hat das eher verniedlicht dargestellt, so habe ich das auch gesehen. "Nicht zündfähig" habe ich noch im Kopf gehabt.
RA Schön: Vorhalt: "Das wird der letzte Scherz sein, ab ‘97 haut es richtig rein" - schon mal gehört?
S: Nein.
RA Schön: Gewaltdiskussion. Gab es da keine Diskussion, wie kann ich das System ändern?
S: Über Transparente etcetera hinaus gab es keine Diskussion.
RA Schön: Bettelbrief des NSU. Halte Ihnen das mal vor. (sucht Fundstelle) "Ich bin nicht so ein Fitter bei diesen neumodischen Instrumenten" [45 Bd. 3 Ordner 2 S 4] Schön versucht, den kompletten Brief zu verlesen. Götzl ist dagegen. Schön versucht sich durchzusetzen. Kleiner Tumult. Jedes dritte Wort von Schön ist "irgendwie".
Verteidiger Heer (Verteidigung Zschäpe) beanstandet die Frage von Schön.
Wohlleben-Verteidiger RA Klemke auch.
RA Schön: "Was sagt man denn in Ihren Neonazi-Kreisen dazu?"
Klemke empört sich: "Meinen Sie mich?", droht mit Anzeige.
RA Schön: "Da sind Sie ja gut drin."
Verhandlung wird unterbrochen.

(Holger Schmidt, SWR)
11.00 Uhr: Richter Götzl versucht zu klären, ob RA Schön mit den "Neonazi-Kreisen" RA Klemke gemeint hat. Klemke glaubt, er sei gemeint gewesen, Götzl nicht. Götzl fragt nach. Geeiere. Schön sagt schließlich, er denke, Klemke stehe solchen Kreise nahe, weil er solche Leute verteidigt. Empörung unter den Verteidigern. Götzl ermahnt, auf den Punkt zu kommen. "Sonst brauchen wir künftig für jeden Zeugen einen Tag". Schön verzichtet auf seine Frage, weil S. wohl eh nichts dazu sagen könne.
RA Schön: Spiel 'Pogromly'. Kennen Sie es?
S: Ja.
RA Schön: Beschreiben?
S: Statt Bahnhöfe: Dachau und so. Statt Euro: Reichsmark, …
RA Schön: Wer gemacht, wer verkauft?
S: Ich nicht. Ich glaube, der André hatte damit zu tun.
RA Schön: Haben Sie das Trio mal in NS-Uniformen gesehen?
S: Ja, Uwe Böhnhardt, als ich ihn das erste Mal gesehen habe - noch bevor ich in die Szene kam.
RA Schön: Welche Uniform?
S: SA-Uniform.

10.34 Uhr: RA Kaplan
RA Kaplan (Vetreter der Nebenklage): Ausstieg damals nur aus ihren Funktionen (in Partei und Szene) oder auch politisch?
Angeklagter Carsten S: Komplett!
RA Kaplan: Können Sie Beate Zschäpe beschreiben, wie sie damals war? Charakterlich beschreiben?
S: Wurde ich schon mehrmals befragt. Ich weiß nicht, ob ich mal mehr als fünf, sechs, sieben, acht Sätze mit ihr gesprochen habe. Ich habe drei, vier, fünf Bilder von ihr im Kopf, die ich schon beschrieben habe.
RA Kaplan: Ihr persönliche Situation nach dem Ausstieg? War das wie Befreiung?
S: Auf jeden Fall.
RA Kaplan: Mussten Sie danach ihre (Homo-)Sexualität noch verstecken?
S: Nein.
RA Kaplan: Beispiel für Stress nach dem Ausstieg?
S: 2003 in Jena in einer Villa, da war eine Party mit elektronischer Musik. Kamen Ralf Ö., Alexander H. und andere. Sechs oder acht Leute insgesamt. Umringt. Bist Du wirklich schwul? Meine Freundin Jana D. hat mich weggezerrt und die sind auch nicht nachgekommen.
RA Kaplan: Ging es um Aussteiger?
S: Möglich, aber ich habe das mit dem "schwul" in Erinnerung.
RA Kaplan: Erinnern Sie andere Situation?
S: Ich meine, da war noch eine andere Sache. Habe überhaupt keine Erinnerung, aber da war noch eine zweite Sache, wegen der ich Angst hatte.
Richter Götzl: Sie haben so viele Themen berührt, die hat Herr S. ausführlich dargestellt. Ich bin da bis jetzt großzügig gewesen, aber wenn Sie es exzessiv ausnutzen und Wiederholungsfragen stellen, werde ich einschreiten.

(Holger Schmidt, SWR)
11.11 Uhr:
Nebenkläger-Anwalt Erdal: Sind Sie zufrieden mit dem Zeugenschutzprogramm?
Angeklagter Carsten S.: Keine Angaben.
RA Erdal: Wissen Sie, dass Sie da ganz leicht rausfliegen können?
S: Ja.
RA Erdal: Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?
S: Ich denke schon, keine Ahnung.
RA Erdal: Ich bin jetzt bei einem anderen Thema. Sie haben gegenüber Rechtsanwalt Narin (Nebenkläger-Vertreter) gesagt, dass Sie sich über Wohlleben im Internet erkundigt haben. Wann das letzte Mal?
S: Weiß ich nicht.
RA Erdal: 2010, 2009?
S: Möglich.
RA Erdal: 2008?
S: Weiß ich nicht.
RA Erdal: Hat Herr Wohlleben 1998 über einen Brandanschlag berichtet?
S: Nicht dass ich wüsste.
RA Erdal: Sie haben letzte Woche am Donnerstag, 13.06.2013 Wohlleben mit Hinweis auf Waffengleichheit indirekt aufgefordert, Angaben zu machen. Der Kollege Olaf Klemke hat das als Erpressung bezeichnet. Gibt es einen besonderen Grund?
S: Habe ich schon gesagt.
RA Erdal: Bitte wiederholen sie das?
S: (Schweigen) Ist mir immer ein bisschen schwierig, da hin und her zu switchen. Ich habe das mit meinen Anwälten besprochen und wir haben überlegt, ob da Angaben kommen könnten, die helfen könnten. Und mir kommt es eher vor, wenn ich Fragen zulasse, dass er sich zurücklehnt und mich dumm da stehen lässt. Ich weiß nicht.
RA Erdal: Was wissen Sie über die Verbindungen des Herrn Wohlleben nach Mainz und Ludwigshafen?
S: Kenne ich gar keine.
RA Erdal: Was wissen Sie über den Brandanschlag 2008 in Ludwigshafen?
S: Nichts.

(Holger Schmidt, SWR)
Weiter RA Zimmer: Er hält Texte aus einer CD der "Zillertaler Türkenjäger" vor.
Angeklagter Carsten S. kennt zwei von drei und sagt, er habe die Lieder mitgesungen.
RA Zimmer: Wie passt das zusammen mit der Aussage, er sei nicht rassistisch gewesen?
S: Kann ich mir selbst nicht erklären, deswegen schäme ich mich auch so.
RA Martinek (vertritt den verletzten Polizisten Martin A.): "Cops running". Ihr Bild von der Polizei?
S: Lustig, Spiel, Polizisten, die wir in Jena öfter gesehen haben, habe ich nie böse angeguckt. Bei ACAB-Shirt immer behauptet, es hieße "Alles Christen außer Buddha". (es heißt: 'All Cops are Bastards').
Rechtsanwältin Birgit Wolf (Nebenklage-Vertreterin, vertritt die Familie der ermordeten Polizistin Michelle Kiesewetter) für Kiesewetter-Mutter: Unterschied bei der Bewertung männlicher und weiblicher Polizisten?
S: Nö.
RA Wolf: Männlich-weiblich bei der Polizei nie ein Thema?
S: Eher aus sexuellen Gründen. Eher so, "die sieht heiß aus".

Entschuldigung von Carsten S.: "Ich (räuspert sich),  ich kann nicht ermessen, was Ihren Angehörigen für unglaubliches Leid, Unrecht angetan wurde. Sie als Angehörige… mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie ich dafür empfinde, da finde ich nicht die passenden Worte, was es in mir ausdrückt, auslöst. Ich bin mir auch absolut nicht sicher, ich denke mir, eine Entschuldigung wäre zu wenig. Eine Entschuldigung klingt für mich wie ein ‚Sorry‘ und dann ist es vorbei. Aber es ist noch lange nicht vorbei. Ich wollte Ihnen mein tiefes Mitgefühl ausdrücken."

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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