NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 10. Verhandlungstag, 13.6.2013

Auch am zehnten Verhandlungstag wird die Befragung des Angeklagten Carsten S. fortgesetzt, heute vor allem durch die Anwälte der Nebenkläger.

Von: Oliver Bendixen, Holger Schmidt, Paul-Elmar Jöris, Ina Krauß

Stand: 13.06.2013 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Carsten S. weigert sich, Fragen der Verteidigung von Ralf Wohlleben zu beantworten, weil sich dieser nicht äußern will. Dadurch gebe es keine "Waffengleichheit" im Prozess.

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Oliver Bendixen, BR)
9.48 Uhr.
Zschäpe ist da, mit grauem Pullover-Hoodie. Wendet sich sofort wieder ab und ist sichtbar guter Laune.

(Holger Schmidt, SWR)
9.55 Uhr.
Heute kein Nebenkläger persönlich anwesend, nur Anwälte - jedenfalls laut Feststellung der Anwesenheit durch den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl.

(Holger Schmidt, SWR)
9.55 Uhr.
Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben soll mit Fragen anfangen.
RA Jacob Hösl (Verteidiger des Angeklagten Carsten S.): Beantworten Fragen von Verteidigung von Wohlleben nur unter der Bedingung, dass sich Wohlleben umfassend zur Sache und Person einlässt
RA Olaf Klemke (Verteidiger von Wohlleben): "Ich fasse es nicht." "Das läuft darauf hinaus, dass er keine Fragen beantwortet, wir lassen uns nicht erpressen." "Bedeutet Teilschweigen."
Hösl: "Wir hätten auch eine Menge Fragen an Wohlleben. Es geht um Waffengleichheit"
Carsten S. nickt nachdrücklich.
Nun beginnt Nebenklage. Es geht nach Komplexen, es beginnt mit Simsek-Mord.
Frage: Motive für das Wegwerfen der Schreckschusswaffe 2011 nach Auffliegen der Zelle?

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
10.08 Uhr.
Carsten S: Hatte Angst, als Neonazi festgenommen zu werden. Ich hatte schließlich Waffen übergeben. Dass es die Ceska war, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht.
RA Stephan Lucas (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Enver Simsek): Wo hat das Gespräch vor der Übergabe der Waffe stattgefunden?
S: Kaufhaus mit Café mit drinnen.
Lucas fragt S., ob er angesichts der Entschuldigung des Mitangeklagten Holger G. gegenüber den Angehörigen vielleicht auch Überlegungen in diese Richtung angestellt habe.
(Lange Pause.)
Hösl: Herr S. will Ihnen nachher etwas sagen. Jetzt will er sich konzentrieren.

(Holger Schmidt, Paul-Elmar Jöris)
10.32 Uhr.
RA Andreas Thiel (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Süleyman Tasköprü): Haben Sie Verpflichtungserklärung unterschrieben? Kontakt zum Verfassungsschutz?
S: Kein Kontakt zum Verfassungsschutz, Verpflichtungserklärung im Hinblick auf die Maßnahmen des Zeugenschutzes unterschrieben.
Anwalt von Familie des ermordeten Abdurrahim Özüdogru fragt S., warum er die Waffe besorgt hat, mit der heute vor 12 Jahren der Mord begangen worden sein soll.
Klemke grätscht rein und beanstandet: "Ist nicht erwiesen!"
Götzl: Er hat "soll" gesagt!
Thiel: Unser Tatort (Mordfall Tasköprü, Hamburg) der nördlichste. Welche Bezüge?
S: Mir fällt Zeitung "Hamburger Sturm" ein - und Torsten Heise. Aber nicht konkret.
T: Wissen Sie etwas über Kontakte nach Hamburg?
S: Kann zu persönlichen Verbindungen nichts sagen.
T: Kennen Sie Holger Apfel?
S. kennt ihn aus JN-Bundesvorstand. Über Beziehungen von Trio zu Apfel kann er nichts sagen.
T: Und Wohlleben und der Norden?
S: Nein, weiß nichts.
T: Wann erste Info über Morde?
S: "Spiegel"-Bericht nach Auffliegen des NSU (2011), vorher nicht.
T: Welche Verbindungen nach Nürnberg?
S: Gar keine.
T: Gab es mal den Gedanken, sich zu offenbaren?
S: Leider nicht.
T: Welche Zeitung gelesen?
S: Früher? "Deutsche Stimme" (Presseorgan der NPD), Eltern hatten die "Ostthüringer Zeitung". In Düsseldorf keine, nur wenn mal eine in der Aidshilfe oder S-Bahn herumlag.

RA Gül Pinar (Nebenklage-Anwältin Tasköprü): Kennen Sie Schwester des Herrn Wohlleben?
S: Ein zwei mal gesehen.
P: Wo sie wohnt und gewohnt hat?
S: Nein, weiß nur, dass Wohlleben ein, zwei mal ein Auto geliehen hat.
P: Warum wollen Sie Fragen der Wohlleben-Verteidigung nicht beantworten?
S: Weil ich will, dass er auch etwas sagt. Waffengleichheit will. "Ich hab' mich hier nackig gemacht und er schweigt!"
P: Wohlleben hat viel mehr Wissen, könnte Sie Dinge fragen, die wir nicht wissen. Nennen Sie das Waffengleichheit?
S: Will Wohlleben-Fragen nicht beantworten, solange er nichts sagt.
RA Johannes Pausch (Verteidiger von Carsten S.):
Haben überlegt, dass Fragen von Verteidigung von Wohlleben interessant sind, weil er Täterwissen hat, aber es ist die persönliche Entscheidung unseres Mandanten.

(Oliver Bendixen, BR)
10.56 Uhr.
Frage: Warum sich S. nicht an Polizei gewandt hat, als er hörte, dass jemand angeschossen wurde.
S: Ich frage mich das jetzt selbst auch.
(Philosophische Debatte.)

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
11.19 Uhr.
Pause bis 11.35 Uhr.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
11.45 Uhr.
Es geht weiter.

(Oliver Bendixen, BR)
12.10 Uhr.
Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Turgut: Warum haben Sie sich nicht an die Behörden gewandt, um zu verhindern, dass ein Mensch erschossen wird? Was ist für Sie ein Linker?
Keine vernünftige Antwort.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
12.45 Uhr.
RA Angela Wierig (Nebenklage-Anwältin Taskoprü): Einzelheiten der damaligen Weltanschauung und der politischen Schulungen?
S: Keine genaue Erinnerung. Habe NPD-Buch "Funkenflug" nicht gelesen. Weiß nicht mehr, worüber wir uns damals unterhalten haben.
W: Schulungsbriefe der JN ausgewertet?
S: Uns gegenseitig zugeschoben. Manchmal einfach nur vorgelesen. Sind dann zum gemütlichen Teil übergegangen. Wichtiger waren Fahrten etc.
W: Haben Sie sich komplett "nackig" gemacht?
S: Komplett nackig!!
RA Hardy Langer (Nebenklage-Anwalt Turgut):
Was war Preis der Waffe, wer setzte Limit?
S: Limit war vorgegeben von den Dreien.
Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Ismail Yasar: Was gefiel Ihnen an Musik?
S: Fanden wir lustig, auch wenn von Ermordung von Türken die Rede war. Zählt eine Reihe von Bands auf. Kannte keine Türken.
Nebenklage Yasar: Haben die Drei eine Hierarchie?
S: Nicht festgestellt.
Nebenklage Yasar: Kam Ihnen seltsam vor, dass Ihnen die Taschenlampen-Geschichte erzählt wurde?
S: "Psst" wurde nicht erläutert.
Nebenklage Yasar: Hatten Sie das Gefühl, der einzige zu sein, der Kontakt hatte?
S: Nein.
Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Theodoros Boulgarides: Wie alt waren Kinder von Wohlleben?
S. erhebt sich und zeigt mit der Hand, wie groß die waren.

(Oliver Bendixen, BR)
12.58 Uhr.
Nebenklage Yasar: Thema Rechtsrock und Liedtexte - was war denn an Morden an Türken so lustig?
S. gibt keine Antwort.
Nebenklage Yasar: Wie war das: vom "Thüringer Heimatschutz" zur NPD?
S: Dreht sich um Wohlleben. Geht aber alles im Kreis herum.
Mittagspause bis 14.30 Uhr.

(Ina Krauß, BR)
13.18 Uhr.
Zur Info: Am Dienstag war höchstens eine Nebenklägerin persönlich im Gerichtssaal, am Mittwoch kein einziger. Aber RA Jens Rabe erklärte, seine Mandantin Semiya Simsek, die hochschwanger ist, verfolge den Prozess sehr aufmerksam und informiere sich bei den Anwälten über alle Details.

(Holger Schmidt, SWR)
15.02 Uhr.
RA Anja Sturm (Verteidigung Zschäpe) teilt mit, dass es Zschäpe gesundheitlich nicht gut gehe. Sie wolle sich aber nicht der Verhandlung entziehen. Eine Stunde sei wohl noch möglich.

(Oliver Bendixen, BR)
15.19 Uhr.
RA Angelika Lex (Nebenklage-Anwältin Boulgarides): Es geht um Demo gegen Wehrmachtsausstellung in München und um die Teilnahme von Carsten S. daran. Will mehr über S. als Rechts-Funktionär wissen. Es zieht sich.

(Oliver Bendixen, BR)
15.47 Uhr.
Pause bis 16.00 Uhr.

(Oliver Bendixen, BR)
16.16 Uhr.
RA Sasche Prosotowitz (Nebenklage-Anwalt Boulgarides) fragt weiter nach Waffe usw. Es geht um S. als "Titelrolle" zwischen Wohlleben und Trio.

Schluss für diese Woche.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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