NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 9. Verhandlungstag, 12.06.2013

Am neunten Verhandlungstag wird der Angeklagte Carsten S. weiter befragt. Eindringlich versuchen Richter und Bundesanwaltschaft mehr und genauere Details zu erfahren, insbesondere zu dem Rohrbomben-Anschlag in Nürnberg, der am Tag davor plötzlich Thema war. Sie konfrontieren Carsten S. mit Aussagen aus früheren Vernehmungen.

Von: Oliver Bendixen, Paul-Elmar Jöris und Holger Schmidt

Stand: 28.04.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

1999 war in einer Kneipe in Nürnberg eine mit Sprengstoff präparierte Taschenlampe explodiert, ein junger Mann wurde schwer verletzt. Dieser Anschlag wurde bisher nicht mit dem rechtsextremen Terror des NSU in Verbindung gebracht.

Fortsetzung der Befragung des Angeklagten Carsten S.

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Oliver Bendixen, BR)
10.03 Uhr: Zschäpe fühlt sich angeblich unwohl und sagt, sie könne nicht auftreten.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
10.11 Uhr: Beginn auf 10.30 Uhr verschoben: "Eine der Angeklagten ist unpässlich!".

(Holger Schmidt, SWR)
10.47 Uhr: Heer, Sturm (Verteidigung Zschäpe) verschwinden wieder hinten. Mehrere Quellen: Unpässlichkeit, Übelkeit Zschäpe.

(Holger Schmidt, SWR)
10.50 Uhr: Alle (!) Angeklagten kommen rein, Zschäpe in pinkfarbenem Poloshirt. Erstmals ohne Blazer.

(Oliver Bendixen, BR)
10.57 Uhr: Keine Nebenkläger persönlich da.

(Holger Schmidt, SWR)
11.30 Uhr: Angeklagter Carsten S.: Habe gestern alles auf den Tisch gepackt. Hätte ich viel früher tun sollen. Es war idiotisch, das nicht zu tun.
Richter Götzl: Treffen vor Waffenübergabe. Welche Rolle hatte Zschäpe?
Carsten S: Kann mich an die Begrüßung erinnern, freudiges Hallo, wir hatten uns ja lange nicht gesehen. Weiß nur noch das mit den Anwaltsvollmachten, kann mich nicht an die Unterschrift erinnern. Sie ist recht zeitnah gegangen und wir dann auch. Freudige Stimmung. Uwe und Uwe sagten: "Wir sind immer bewaffnet".
G: Haben Sie sich nicht gefragt, warum brauchen die noch eine Waffe?
S: Hat mich auch irritiert, habe mich verarscht gefühlt. Habe vorher gedacht, ich bringe ihnen die Waffe, damit sie überhaupt eine haben.
G: Als Zschäpe hinzukam haben die Uwes "Pssst!" gesagt. Warum?
S: Denke, dass sie das nicht mit bekommen sollte. Der Vorgang war komisch. Aber ich habe da keine konkreten Überlegungen gehabt.
G: Haben Sie da schon Überlegungen angestellt, in dem Café, was die mit der Taschenlampe meinten?
S: Nein.
G: Was sollte denn Frau Zschäpe nicht hören?
S: "Taschenlampe ins Geschäft gestellt, das hat nicht geklappt" - das sollte sie nicht hören.
S: Meine Anwälte haben mir erzählt, dass da was passiert ist. Aber ich habe in Erinnerung, dass sie gesagt haben "Es hat nicht geklappt".
G: Nürnberg? Warum?
S: Keine Ahnung, ich war noch nie in Nürnberg.
G: Thematisiert, wie sie bewaffnet waren?
S: Nein. Irgendwas mit Maschinenpistole oder Uzi. Aber nicht genau.
G: Hatten Sie in der Situation Skrupel, die Waffe zu übergeben?
S: In dieser Situation nicht.
G: Sie hatten die Überlegung, den Schalldämpfer weg zu tun, warum?
S: Weil der nicht bestellt war und - (Pause) - damit die nicht auf dumme Gedanken kommen. Damals habe ich entschieden, da wird nichts passieren.
G: Was bedeutet dumme Gedanken?
S: Was Schlimmes tun. Jemand ... Ich habe ihnen das nicht zugetraut. Es ist schwer, das mit den heutigen Tatsachen übereinzubringen, wie ich damals gedacht habe. Konkrete Vorstellungen hatte ich nicht.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
11.50 Uhr:
Götzl: Haben Sie sich einmal überlegt, etwas zu tun, dass die nichts mit Waffe unternehmen?
S: Nein, das habe ich weggeschoben. Auch im Gespräch mit Herrn Wohlleben nicht.
G: Ist Waffe noch einmal angesprochen worden?
S: Nein. Ich habe es weggeschoben und auch nicht thematisiert.
G: Schwer nachvollziehbar, dass sie das nie mehr angesprochen haben?
S: Für mich heute auch. Ich habe gestern alles auf den Tisch gepackt. Deshalb das mit der Taschenlampe (Anschlag in Nürnberg). Ich wollte es allen recht machen. Wollte sie schützen, Herrn Wohlleben, meine Eltern, die große Stücke auf mich halten.
Verteidigerin Sturm (Verteidigung Zschäpe): Beanstande, dass immer wieder dieselben Fragen gestellt werden. Die Frage nach Motiven vier Mal. Ich habe den Eindruck, dass Ihre Fragen lenkend sind.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
12.00 Uhr:
S: Ich hatte Sorge, dass ich den Kindern  (von Wohlleben) den Vater nehme. Er hat mir mal die Kinder vorgestellt.
Götzl: Wie ist Ihr Verhältnis heute?
S. Kein Verhältnis.

Pause bis 12.15 Uhr.

(Oliver Bendixen, BR)
12.22 Uhr: Es geht weiter. Götzl mahnt alle zur Pünktlichkeit.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
13.00 Uhr:
Richter Götzl: Letzte Telefonate mit Trio. Wann?
Angeklagter Carsten S: Nein, nicht genau. Weiß nur noch, wo ich war. Da war ich schon bei einer Zeitarbeitsfirma.
S: Ich hab so 'nen Mädel gefragt, Kannst du mir Handy-Karte besorgen? Hatte Befürchtung, dass ich  überwacht werde.
G: Wie war das vor Handy-Karte mit "Telefonaten".
S: Wir haben Handy angerufen und die haben uns in Telefonzelle zurückgerufen. Mit dem Handy habe ich später dann angerufen und bin dann auch drangeblieben.
G: Noch zu einer anderen "Problematik". Wie haben sich ihre "Eltern" zu ihrer Angehörigkeit zur rechten Szene verhalten?
S.: Problematisch. Haben mir Bücher zu lesen gegeben. Mein Vater war dagegen, aber wir haben nicht diskutiert. Durfte keine Springerspiegel kaufen, die musste ich zurückbringen. Haben mir mal Plakat runtergerissen. Nach Durchsuchung gaben sie mir Gefühl, dass sie zu mir stehen. Das hat reingepasst. Das hat bei mir etwas ausgelöst.
G: Noch einmal zum "Thüringer Heimatschutz" …
S: Gab überall Ansprechpartner. Tino Brandt ist rumgereist und hat das zusammengehalten. Ich habe ihn regelmäßig getroffen.
G: Wurde besprochen, dass der "Thüringer Heimatschutz" verboten werden könnte?
S: Da wurde besprochen, dann in die NPD einzutreten und wie viele wir brauchen, um Kreisverband zu gründen.
G: Gab es in ihrer Familie Ausländerfeindlichkeit?
S: Nein.
G: In ihrem Freundeskreis?
S: War immer ein Thema. Habe mich nicht dazu verhalten. Habe die Musik gehört.
G: Haben sie einmal daran gedacht, dass mit der Waffe den Behörden mitzuteilen?
S: Nein

(Oliver Bendixen, BR)
15.26 Uhr: Carsten S. sagt aus, dass er der Mittler zwischen dem Trio und Wohlleben war. Ihm hatte er über den Ausgang von Besprechungen mit Zschäpe zu berichten. Zschäpe kämpft wie die Mehrheit im Saal gegen aufkommende Müdigkeit.

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
15.29 Uhr:
Carsten S: Ich habe ein, zwei Leuten in der Szene erzählt: Den dreien geht es gut - kann sich nicht erinnern, mit wem er darüber gesprochen hat - Ich hab das mehr getan, um damit anzugeben.
Götzl: Kameradschaft Jena?
S: Zum ersten Mal davon gehört, als ich Flagge aus der Wohnung von Zschäpe geholt habe. Da hat mir Wohlleben gesagt: Das ist die Kameradschaftsflagge Jena.
G: Ist Ihnen die Waffe im Rahmen der Vernehmungen vorgelegt worden?
S: Zwei Waffen vorgelegt, mit Schalldämpfer. Ich habe mich für die längere entschieden.
G: Die Vordrucke, die Sie bei Waffenübergabe dabei hatten, von wem bekommen?
S: Das wird Herr Wohlleben gewesen sein.
S: Wenn Aufträge von den dreien kamen habe ich mich immer mit Herrn Wohlleben rückgekoppelt. Verstand mich als Mittler. Jeder Auftrag des Trios bedurfte der Zustimmung von Wohlleben.

(Oliver Bendixen, BR)
15.54 Uhr: Carsten S: Habe auch das Dritte Reich glorifiziert.
Bundesanwalt Weingarten: Was war Ihre Haltung zum Völkermord an den Juden?
S: Ich habe nicht geglaubt, dass es das gegeben hat. Damit lebt es sich leichter.
Weingarten: Waren Ihnen in Deutschland lebende Türken ein Dorn im Auge?
S: Kann man nicht sagen. Wir wollten keine westdeutschen Verhältnisse.

(Oliver Bendixen, BR)
16.09 Uhr:
Bundesanwalt Diemer nimmt S. ziemlich in die Mangel. Was hat Sie an Multikulti gestört? Warum haben Sie für Heß (Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses zu lebenslanger Haft verurteilt), an Kundgebungen teilgenommen?
S: Ein Friedensflieger, der den Krieg beenden wollte.

(Oliver Bendixen, BR)
16.40 Uhr: Morgen sollen Nebenkläger fragen und dann Verteidiger. Außerdem morgen eventuell Polizisten als Zeugen zum Fall Kilic (Habil Kilic, Obst- und Gemüsehändler in München-Ramersdorf, erschossen am 29. August 2001) in München. Ende für heute.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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