NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 7. Verhandlungstag, 06.06.2013

Am siebten Verhandlungstag warten alle darauf, dass der Angeklagte Carsten S. weiter befragt wird. Stattdessen entscheidet der Richter, sich dem Angeklagten Holger G. zu widmen. Nach den üblichen Angaben zum Lebenslauf, die Holger G. im hektischen Stakkato schnell abhaken will, und einigen Nachfragen dazu, kündigt sein Anwalt an: der Angeklagte wolle eine Erklärung verlesen.

Von: Ludwig Kendzia, Rolf Clement, Ayca Tolun, Frank Bräutigam und Holger Schmidt

Stand: 28.04.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Holger G. gibt darin zu, das untergetauchte NSU-Trio unterstützt zu haben. Er belastet die Angeklagten Zschäpe und Wohlleben schwer. Dass er selbst aus politischen, ausländerfeindlichen Motiven gehandelt habe, streitet er ab. Seine Begründung: das seien alles reine Freundschafts-Dienste gewesen. Dass er mit einem mutmaßlichen Terror-Trio befreundet gewesen sein könnte, habe er nicht geahnt. Habe damals ja auch sonst keiner geahnt. Holger G. versucht, sich bei den Opfern zu entschuldigen. Fragen will er "heute" nicht beantworten.

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Rolf Clement, DLF)
9.22 Uhr: sieht so aus, als ginge es mit Carsten S. weiter - sein Anwalt setzt sich wieder in die zweite Reihe, von da aus wurde S. vernommen, sonst saßen sie in der dritten.

(Ayca Tolun,WDR)
9.30 Uhr: Rechtsanwalt Jacob Hösl - Anwalt von Carsten S., wurde ins Richterzimmer gebeten, eventuell weil Gutachter nicht kommt?

(Ayca Tolun, WDR)
9.55 Uhr: Zschäpe drin: helle Hose, schwarzer Pulli, gelbe Bluse, Haare hochgesteckt. Das übliche Spiel, Bilder von ihrer Rückenansicht. Erheblich weniger Kameras.

(Frank Bräutigam, SWR)
9.54 Uhr.
Richter Götzl: nicht möglich, Gutachter L. zu erreichen und heute zu laden.
Rechtsanwalt Hösl (Verteidigung Carsten S.): wollen nur in Präsenz des Gutachters weiter machen.
Götzl: heutigen Tag nutzen für Holger G.
Verteidiger Hachmeister (Anwalt des Angeklagten Holger G.): Mandant macht Angaben zur Person selbst. Zur Sache wird vorbereitete Erklärung verlesen.
Götzl: Werden Fragen zugelassen?
H: Werden nach der Verlesung heute keine Fragen beantworten.
Götzl: Uns wäre daran gelegen, wenn er frei Angaben machen würde, für Würdigung der Einlassung.
Hachmeister: ist uns klar, aber: mit Mandanten besprochen, wollen es so machen, keine Antworten auf Fraen. Nicht ausschließen, zu späterem Zeitpunkt freie Angaben.

(Holger Schmidt, SWR)
G. (selbstmitleidig, schneller Stakkato-Ton): Standard DDR-Erziehung, FDJ, habe 1989 Ausbildung begonnen zum Zerspanungsmechaniker, später arbeitslos, ABM, Zweitausbildung. Durch Bruder Möglichkeit nach Hannover zu ziehen, da in Thüringen Perspektive mangelhaft. Bis 2011 Firma Gefko, April 2011 bis zu Verhaftung bei CTL gearbeitet. Nach U-Haft wieder Arbeit gefunden, wegen Prozess wieder verloren. Mutter alleinerziehend, biologischen Erzeuger "sehr selten kennengelernt". "Sämtliche Liebe und Fürsorge hat sich auf das Nesthäkchen konzentriert." "War der Entwicklung nicht förderlich."

(Ayca Tolun, WDR)
10.55 Uhr. Holger G. redet direkt zum Richter. Die Rhetorik ist eher selbstmitleidig und rechtfertigend, besonders im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit der Mutter und seiner eigenen in Jena, wegen Prozess: Hartz IV, klingt Richtung: schwere und lieblose Jugend. Trotzdem betont er gute und stabile Familienverhältnisse. Seit 2007 hat er 42-jährige Lebensgefährtin, wirke sehr stabilisierend und beruhigend auf ihn, führe Leben das wir früher „Spießerleben“ nannten. Holger G. macht einen authentischen Eindruck, völlig aufgeregt, aber dem Richter sehr zugewandt, sehr bemüht, dass man ihn auch ja versteht (inhaltlich). Zschäpe und Wohlleben hören mit Kopfhörer. Richter fragt präzise aber auch väterlich, die Befragung entwickelt sich Richtung persönliches Gespräch zwischen Holger G. und Richter Götzl. Holger G. erzählt nicht faktisch, sondern eher kommentierend. Es geht nach wie vor um seine Jugend. Er war das schwarze Schaf der Familie, ihm hat die Vaterfigur gefehlt, die ihm auch mal eins auf den Nacken gibt, hatte Autoritätsproblem. Es klingt echt, aber trotzdem irgendwie bemüht, nach Verständnis heischend.

(Ayca Tolun, WDR)
11.40 Uhr. Holger G. wirkt authentisch und gleichzeitig bemüht, wird jetzt immer selbstsicherer. Redet über sich immer wieder in der dritten Person, kommentiert alle Fakten, ironisiert gerne. Wenn er von einer seiner Äußerungen begeistert ist, wiederholt er den Spruch gerne. Beispiel: "Trinken hat man gelernt - die Hannoveraner sind ein trinkfreudiges Völkchen!", mussten wir uns mehrmals anhören. Kommentiert persönliche Handlungen gerne auch im politischen Kontext.

(Holger Schmidt, SWR)
11.25 Uhr. Entschuldigung bei Opfern. Hoffnung, Prozess hilft bei Verarbeitung. Holger G: "Ich will Ihnen sagen, dass wir nicht prügelnd und pöbelnd durch die Straßen gezogen sind. Beate und Uwe haben in ihrer Art und Auftreten eine Autorität verkörpert. Freundschaft mit denen hat mich aufgewertet. Die drei haben mich in ihrer Freundschaft bestätigt." Hatten kein permanentes Diskussionsthema, habe nur einige wenige Diskussionen in Erinnerung. Uwe (Böhnhardt) hatte Waffen. Aber ich bin davon ausgegangen, dass er sie nie benutzt hat. Sprengstoff war nur ultimative Drohung, hat Uwe gesagt. War ja auch nicht zündfähig. Gang der drei in den Untergrund: Als Freund habe ich diese Entscheidung akzeptiert. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass ich das in Frage stellen darf.

Alle Hilfen habe ich freiwillig begangen. Ich fühlte mich ihnen als Freund verpflichtet. Ich konnte mich nicht davon frei machen, Sie gaben mir das Gefühl, dass es wichtig war. Ich fühlte mich gut und wichtig dabei. (seufzt, fährt sich durch die Haare ist aufgewühlt) Zu keinem Zeitpunkt habe ich mir die Dimensionen vorstellen können, die ihnen vorgeworfen werden. Das dauerte die ganze Zeit bis zum Ende an. Untergrund hatte spezielle Regeln, aber wir haben uns trotzdem gesehen. Es gab 2007 bis 2010 Besuche in Lauenau, ganz normal in der Öffentlichkeit. Essen gehen, Billard spielen.

Identitätschecks: Erst mit heutigem Wissen kam mir das so vor. Damals war es ein ganz normales Zusammensein. Die Treffen fanden in meiner Erinnerung circa ein Mal im Jahr statt, wir haben dann zusammengesessen, Bier getrunken, Doppelkopf gespielt, über alte Zeiten geredet. Telefonische Ankündigung, hatte Eindruck, mitbestimmen zu können. Ausstieg aus Szene 2004. War ein längerer Weg, aber 2004 ultimatives Signal. Hatte in Hannover ausländische Kollegen. Die waren total in Ordnung. Hatte Fahrgemeinschaft mit zwei türkischen und einem russischen Kollegen. 2004 betrog mich einer meiner Kameraden mit meiner damaligen Partnerin. Hatte den Glauben an eine bestimmte Ideologie verloren.

Führerscheinübergabe: Die Drei standen vor der Tür, erklärten, sie brauchen legales Dokument für Fahrzeugkontrolle. Hatte das Gefühl, nicht ganz legal, fühlte mich aber auch verpflichtet. Gegen meine Einwände hatten die immer auch Argumente. "Holger, wir machen keinen Scheiß damit. Du kannst Dich auf uns verlassen. Du kannst Dich immer auf uns verlassen. Deinen Pass haben wir ja auch schon seit Jahren". Ich bitte Sie, mir zu glauben, dass ich den Führerschein nicht übergeben habe, damit Wohnmobile angemietet werden, um Menschen zu töten. Konnte er sich nicht vorstellen.

Krankenkassenkarte: Ehemalige Freundin bequatscht, 300 Euro gezahlt. Bekannte wusste nicht, wofür ich sie brauchte. Wenn mir vorgeworfen wird, dass ich damit eine Terrorzelle unterstützt habe: Nein, das wusste ich nicht. Reisepass: Besuch so gelegt, dass Freundin nicht da. Der alte Pass abgelaufen. Habe 'Nein' gesagt. Habe nun nicht nur für mich Verantwortung. Argumente: Holger, wir brauchen Deine Hilfe. Kannst Dich auf uns verlassen. Böhnhardt war verständnisvoll. Mundlos drohte. Weitere Unterstützungshandlungen: Sie haben mir 10.000 Euro anvertraut, als Depot. Bis 2004 ausgegeben. Habe es gesagt. Sie haben gesagt, dass sie es nicht gutheißen. Haben es aber akzeptiert. Waffentransport: Beutel mit Waffe übergeben. Ralf (Wohlleben) hat mich gefragt, ob ich etwas nach Zwickau bringen könnte. Ralf hat mir Beutel in den Koffer gepackt, bin losgefahren, unterwegs nachgesehen, Waffe ertastet. Am Bahnhof hat mich Beate abgeholt.

Hatte NIE den Eindruck, mit Mitgliedern einer terroristischen Vereinigung befreundet zu sein. Erkenne, dass ich unterstützt habe. Tut mir fürchterlich leid. Entspricht der Wahrheit. Man darf nicht vergessen, dass bis zum Tod der Uwes niemand die Terrorzelle erahnte. Gilt auch für mich. Fällt mir bis heute schwer, das zu akzeptieren.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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