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Chemie-Nobelpreis 2016 Die kleinsten Maschinen der Welt

Der Chemie-Nobelpreis geht an drei Molekularforscher aus Frankreich, den USA und den Niederlanden. Jean-Pierre Sauvage, James Fraser Stoddart und Bernard Feringa haben "extrem kleine molekulare Maschinen" entwickelt, die wie künstliche Muskeln funktionieren.

Published at: 5-10-2016 | Archiv

Jean-Pierre Sauvage (links), Bernard L. Feringa (Mitte) und Sir J. Fraser Stoddart (rechts). Die drei erhielten den Nobelpreis für Chemie 2016 für ihre Entwicklung molekularer Maschinen | Bild: picture-alliance/dpa, Reuters

Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften zeichnet heuer den Franzosen Jean-Pierre Sauvage, den gebürtigen Briten Sir James Fraser Stoddart und den Niederländer Bernard L. Feringa für "den Entwurf und die Darstellung von Molekular-Apparaten" aus. Damit seien sie in eine neue Dimension der Chemie vorgedrungen. Und das mit etwas, das so klein ist, dass man es mit bloßem Auge nicht sehen kann: Ein Haar ist tausendmal dicker als diese Molekular-Maschinen.

"Einfach fantastisch!"

Die drei Männer haben winzig kleine molekulare Maschinen entwickelt, die wie künstliche Muskeln funktionieren. Der Generalsekretär der Akademie, Göran K. Hansson, sagte: "Es geht um die kleinsten Maschinen der Welt." Die drei Chemiker haben zum Beispiel einen Molekül-Muskel, einen molekularer Aufzug und gar ein vierrädriges Auto auf molekularer Basis entwickelt. Und das Verkleinerung eine Revolution nach sich ziehen kann, das habe sich schon in der Computer-Technologie gezeigt. "Das ist wirklich fantastisch!", sagte Olof Ramström vom Nobelpreis-Komitee strahlend, nachdem er die molekularen Maschinen präsentierte.

"Die diesjährigen Preisträger haben extrem kleine Maschinen gebaut und sind in eine neue Dimension der Chemie vorgedrungen. Sie haben Moleküle entwickelt, deren Bewegungen man kontrollieren kann und die eine Aufgabe erfüllen, wenn sie die dafür nötige Energie bekommen."

Aus der Begründung der Nobelpreis-Jury

Sauvage: Mechanische Bande im Gewusel der Atome

Jean-Pierre Sauvage

Die Entwicklung der Molekül-Maschinen begann vor mehr als dreißig Jahren: 1983 gelang es dem französischen Chemiker Jean-Pierre Sauvage erstmals, zwei Molekül-Ringe mechanisch miteinander zu einer Kette zu verknüpfen. Normalerweise verbinden sich Atome zu Molekülen oder Moleküle untereinander, indem sie sich Elektronen teilen. Das ist, als ob zwei Staffelläufer zugleich einen Staffelstab festhalten - eine sehr starre Verbindung.

Wie eine mechanische Verbindung von Molekülen erzeugt werden kann

Doch statt dieser Atombindung brachte Sauvage eine rein mechanische Bindung zustande und erzeugte eine neue Form von Stoffen, sogenannte Catenane. Diese mechanische Verbindung lässt den Molekülen buchstäblich mehr Spielraum. Damit legte Sauvage den Grundstein für die Entwicklung der Molekül-Maschinen: Deren Teile müssen sich im Verhältnis zueinander bewegen können, sonst können sie nicht arbeiten.

Stoddart: Eine Achse, ein "Rad" und dann ein Aufzug

Molekularer Muskel

Knapp acht Jahre später, 1991, gelang es Fraser Stoddart, ein ringförmiges Molekül auf ein achsenförmiges Molekül aufzufädeln. Und Stoddart zeigte, dass sich der Ring auf der Achse bewegen konnte. Das war buchstäblich die Erfindung des Rades in der Chemie, denn daraus entwickelte der im schottischen Edinburgh geborene Forscher in der Folge einen Molekül-Aufzug und einen molekularen Muskel, der sich wie beim anatomischen Vorbild strecken und zusammenziehen kann.

Feringa: Kontinuierliches Kreisen treibt das Nano-Auto an

Molekül-Auto

Dem niederländischen Chemiker Bernard Feringa gelang es dann, einen Motor und sogar ein Auto auf molekularer Basis herzustellen: Er schuf eine Molekülverbindung, die er durch auftreffende UV-Strahlung in kontinuierliche Drehung versetzen konnte - ein molekularer Rotor, der so stark war, dass er einen 10.000-mal größeren Glaskörper kontrolliert bewegen konnte. Vier Molekül-Rotoren montiert auf zwei Molekülachsen - fertig war das Molekülgefährt. Entscheidend sei gewesen, vom reinen "An" und "Aus" zu einer kontinuierlichen Bewegung zu kommen, erläuterte Feringa, der davor zu molekularen Schaltern geforscht hatte.

"Die Nobelpreisträger im Fach Chemie 2016 haben molekulare System aus dem Stillstand des Gleichgewichts geholt und sie in energiegeladene Zustände geführt, in denen ihre Bewegungen kontrolliert werden können."

Presseerklärung des Nobelpreis-Komitees

Molekulare Revolution

Analog zur Revolution, die die Entwicklung elektrisch betriebender Maschinen im 19. Jahrhundert hervorrief, haben Sauvage, Stoddart und Feringa fundamentale Fragen der Wissenschaft vorangetrieben, so das Komitee. Damals hätten Forscher verschiedene Kurbeln und Räder entwickelt, "ohne zu wissen, dass dies zu elektrischen Zügen, zur Waschmaschine, zu Ventilatoren und zu Mixern führen würde", erklärte das Nobelpreis-Komitee. Die Zukunft werde zeigen, was sich damit alles machen lasse.

"Stellen Sie sich winzige Roboter vor, die Ärzte künftig in Ihre Venen spritzen, um nach einer Krebszelle zu suchen."

Nobelpreis-Komitee

Die Boeing in der Blutbahn

Bernard L. Feringa

Nobelpreisträger Feringa musste nicht lange überlegen, als er nach möglichen Anwendungen gefragt wurde: Allein im menschlichen Körper seien unzählige kleine Maschinen am Werk. Es sei durchaus ein Nano-Roboter vorstellbar, der sich durch die Blutbahn bewegt, um Krebszellen zu suchen. Das ganze Feld der Nano-Maschinen werde komplett neu aufgemacht.

"Ich fühle mich ein wenig wie die Brüder Wright, die vor 100 Jahren zum ersten Mal geflogen sind. Damals sagten die Leute 'Wofür brauchen wir eine Flugmaschine?'. Und jetzt haben wir eine Boeing 747 und einen Airbus."

Bernard L. Feringa, einer der Chemie-Nobelpreisträger 2016

Und die Entwicklung in diesem neu eröffneten Feld ist längst schon weitergegangen: In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Nano-Maschinen entwickelt. 2013 etwa präsentierte ein britisches Forscherteam einen kleinen Molekular-Roboter, der in einer Art Fließbandarbeit Aminosäuren aneinanderhängt und damit ähnliche Arbeit verrichtet, wie sie in unseren Zellen ständig erledigt wird.

Vom Puzzle aufs Podest

Stoddart, der Northwestern University in Evanston im US-Bundesstaat Illinois forscht, wuchs nach Angaben der Jury auf einem schottischen Bauernhof ohne Fernseher auf und habe gerne gepuzzelt.

"Dadurch hat er eine wichtige Eigenschaft für einen Chemiker entwickelt: Formen zu erkennen und sie zusammenzusetzen."

Nobelpreis-Komitee

Sir J. Fraser Stoddart

Der Franzose Sauvage ist emeritierter Professor der Universität von Straßburg und der Niederländer Feringa an der Universität von Groningen. Der Nobelpreis, die höchste Auszeichnung für Chemiker, ist mit umgerechnet rund 830.000 Euro (acht Millionen Schwedischen Kronen) dotiert.

"Molekulare Maschinen werden sehr wahrscheinlich für die Entwicklung von Dingen wie neuen Materialien, Sensoren und Energiespeichersystemem verwendet."

Aus der Begründung der Jury

Forscher Feringa "unter Schock"

Bernard Feringa hat die Nachricht von der Auszeichnung überwältigt. "Es war ein Schock für mich, weil es so eine große Überraschung war", sagte er in einer telefonischen Zuschaltung in Stockholm. "Meine zweite Reaktion war, dass ich mich so geehrt fühle, und dass es mich berührt."

Eine Stunde zuvor hatte die Jury den Niederländer über den Nobelpreis informiert. Feringa will den Preis mit seinem gesamten Team feiern, mit "all diesen talentierten jungen Studenten und Post-Docs".

Chronik: Chemie-Preisträger der vergangenen Jahre

  • 2015: Tomas Lindahl (Schweden), Paul Modrich (USA) und Aziz Sancar (USA/Türkei) für ihre Untersuchungen zu den Werkzeugen, mit deren Hilfe Zellen DNA reparieren
  • 2014: Stefan Hell (Deutschland), Eric Betzig und William Moerner (beide USA) für ihre Entwicklungen in der hochauflösenden Lichtmikroskopie
  • 2013: Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel (alle USA) für ihre Entwicklung von Computer-Modellen komplexer chemischer Systeme
  • 2012: Robert J. Lefkowitz (USA) und Brian K. Kobilka (USA) für die Entdeckung der Wirkungsweise G-Protein-gekoppelter Rezeptoren in Zellen
  • 2011: Dan Shechtman (Israel) für die Entdeckung der Quasikristalle
  • 2010: Richard F. Heck (USA), Ei-ichi Negishi  (Japan) und Akira Suzuki (Japan) für die Verbindung von Kohlenstoffatomen zu komplexen Molekülen
  • 2009: Venkatraman Ramakrishnan (USA), Thomas A. Steitz (USA) und Ada E. Jonath (Israel) für die Forschung zur Erbinformation in den Proteinen
  • 2008: Der in den USA forschende Japaner Osamu Shimomura und die beiden US-Amerikaner Martin Chalfie und Roger Tsien für die Entdeckung des grün fluoreszierenden Proteins GFP
  • 2007: Gerhard Ertl (Deutschland) für seine Arbeiten zu chemischen Prozessen auf festen Oberflächen. Damit habe er die Grundlagen für die moderne Oberflächenchemie geschaffen
  • 2006: Roger D. Kornberg (USA) für die Erforschung, wie die Zelle aus dem Bauplan in den Genen fertige Proteine herstellt
  • 2005: Yves Chauvin (Frankreich), Robert H. Grubbs (USA) und Richard R. Schrock (USA) für die Entwicklung neuer Reaktionswege in der organischen Chemie, unter anderem zur Produktion von Plastik und Arzneien
  • 2004: Aaron Ciechanover und Avram Hershko (beide Israel) sowie Irwin Rose (USA) für die Entdeckung eines lebenswichtigen Prozesses zum Abbau von Proteinen im Körper
  • 2003: Peter Agre (USA) und Roderick MacKinnon (USA) für die Erforschung von Ionen- und Wasserkanälen der Körperzellen.
  • 2002: John B. Fenn (USA), Koichi Tanaka (Japan) und Kurt Wüthrich (Schweiz) für ihre Methoden zum Vermessen von biologischen Molekülen
  • 2001: William S. Knowles (USA), Barry Sharpless (USA) und Ryoji Noyori (Japan) für die Beschreibung neuer Katalysatoren

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Lutz Schnelle, Donnerstag, 06.Oktober 2016, 11:13 Uhr

4. Begründung ist immer der Krebs

Und Experimentierfeld bleibt immer der Mensch.

Aber, ich bin mir sicher, denen fällt noch was anderes ein, als Krebs zu heilen. Kleine Panzer im Trinkwasser könnten über die Blutbahn das Gehirn angreiffen. Der lautlose Krieg klingt natürlich terrorverdächtig, aber wer hätte vor 50 Jahren geglaubt, daß genverändertes Saatgut einfach legalisiert würde?

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Barbara, Mittwoch, 05.Oktober 2016, 19:36 Uhr

3. Wer hat eigentlich das Geld erfunden?

War das nicht der, der gesagt hat "pecunia non olet"? Wenn der gewußt hätte, was damit alles getrieben würde, dann hätte er vielleicht etwas anderes erfunden?!

  • Antwort von Gina-Marie, Donnerstag, 02.März, 11:00 Uhr

    Kannst du auch mal Deutsch sprechen? Dich versteht doch keiner.

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Barbara, Mittwoch, 05.Oktober 2016, 17:17 Uhr

2. Nicht alle Erfindungen waren ein Segen für die Menschheit!

Es gab auch Erfindungen, die kein Segen für die Menschen waren.

  • Antwort von Rhabarbara, Mittwoch, 05.Oktober, 17:20 Uhr

    ... zum Beispiel die Kommentarfunktion auf Internet-Seiten

  • Antwort von Franz, Mittwoch, 05.Oktober, 18:13 Uhr

    ... oder die sozialen Medien, die eher asozial daherkommen.

  • Antwort von Barbara, Mittwoch, 05.Oktober, 19:40 Uhr

    Manche Erfindungen sind sehr gut! Schlecht sind nur die Menschen, die diese mißbrauchen!

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Dr. Karlheinz Zeiträg, Mittwoch, 05.Oktober 2016, 15:18 Uhr

1. ras-protein-Schalter

Vielleicht geben diese neuen Erkenntnisse der Molekularforschung Wissenschatlern die Motivation, die ras-protein-Schalter, speziell in Neuronen und Astrozyten befindlich, genauer unter die Lupe zu nehmen. Könnten diese Ein-Aus-Schalter als Empfangsmodule für externe Energie, (Raumenergie) eine Rolle spielen? Natürlich allerdings nur unter der Prämisse, dass die Natur in der Lage sein kann, Quantenmechanik zur Anwendung zu bringen. Könnte damit die Kognition des Menschen zum Teil erklärbar werden? Unterscheiden sich ras-protein-Schalter, die innerhalb von Neuronen liegen von Schaltern in Astrozyten?

  • Antwort von Chris, Mittwoch, 05.Oktober, 15:39 Uhr

    Glauben Sie ernsthaft das sie zu diesem Thema und auf dieser Detailebene einen kompetenten Gesprächspartner hier im Kommentarbereich des BR finden?
    Oder dient ihr Kommentar nicht eher der Selbstdarstellung?
    Vom Esoterik-Schwachsinn Raumenergie mal ganz abgesehen.

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