8

Hotspot Lampedusa Symbol für das Scheitern Europas

Italien wird wieder zum ersten Anlaufpunkt für Bootsflüchtlinge. Seit Wochen fliehen tausende Menschen von libyschen Küsten in Richtung Italien. Deutlich mehr als nach Griechenland. Doch Italien scheint besser vorbereitet als in den Jahren zuvor.

Von: Tilmann Kleinjung

Stand: 22.06.2016

Lampedusa | Bild: picture-alliance/dpa

Spätestens im Jahr 2011 wurde die italienische Insel Lampedusa zum Synonym für die europäische Flüchtlingskrise.

Tunesier klagen vor dem EGMR

Menschenrechts-Gerichtshof befasst sich ab heute mit Zuständen im Flüchtlingslager auf Lampedusa. Drei Tunesier haben vor dem Europäischen Gerichtshof für menschenrechte in Straßburg gegen die Zustände in einem Flüchtlingslager auf Lamepdusa 2011 geklagt. Sie wehren sich außerdem gegen eine "kollektive Rücksendung" ohne Anhörung ihrer individuellen Fälle. Ein Urteil wird es heute nicht geben.

Damals, während des afrikanischen Frühlings, kamen vor allem Nordafrikaner auf die Insel, die italienische Regierung war völlig überfordert mit dem Ansturm. Die Menschen schliefen im Freien, es gab Revolten im Aufnahmezentrum, die Migranten saßen fest auf dem 20 Quadratkilometer großen Eiland – irgendwo zwischen Afrika und Europa. Lampedusa ist heute eine andere Insel, und das liegt nicht zuletzt an ihr: Bürgermeisterin Giusy Nicolini.

"Ja, wir haben ein bisschen gearbeitet. Und was heute besser funktioniert, ist die Erstaufnahme auf Lampedusa und vor allem, dass die Menschen, die wir hier beherbergen, schnell weitertransportiert werden."

Bürgermeisterin Giusy Nicolini

Menschenwürdige Bedingungen geschaffen

Sie hat aus einem ungastlichen Vorposten Europas einen professionell organisierten Anlaufpunkt macht. Die einheimische Bevölkerung wird nicht überfordert, weil die Flüchtlinge, die von den Rettern auf die Insel gebracht werden, relativ schnell weiterreisen auf das Festland. Und für die Boatpeople wurden im frisch renovierten Aufnahmezentrum menschenwürdige Bedingungen geschaffen.

Lampedusa und seine Bürgermeisterin werden seitdem überschüttet mit Preisen und Ehrungen, die Insel kann sich vor prominenten Besuchern kaum retten: der Papst, Präsidenten, EU-Prominenz. Am Grundproblem Europas hat sich jedoch noch nichts geändert, findet Giusy Nicolini.

"Es sind die Gründe für diese Überfahrten, die sich nicht in einem Jahr ändern lassen: Kriege, Armut, Umweltkatastrophen. Wenn wir unseren Blick auf diese Länder nicht verändern, wird dieser Fluss stärker werden. Es hilft auch nichts, die Grenzen zu schließen, um diese Überfahrten zu stoppen."

Giusy Nicolini, Bürgermeisterin von Lampedusa

Nachdem die Grenzen am Balkan undurchlässig gemacht wurden, ist Italien wieder erster Anlaufpunkt für die Flucht übers Mittelmeer. Ende Mai, Anfang Juni wurden in wenigen Tagen mehrere tausend Menschen von den internationalen Hilfskräften aus dem Mittelmeer gefischt. Mindestens tausend Menschen starben bei ihrem Fluchtversuch.

In Italien war von einer neuen Invasion die Rede und die Österreicher bereiteten am Brenner schon einmal die Grenzschließung vor. Doch Fluchtexperten wie Flavio Di Giacomo von der Internationalen Organisation für Migration relativieren: Die Zahl der Ankünfte in Italien liege sogar unter dem Niveau des Vorjahres.

"Am Ende des vergangenen Jahres waren es 150.000 Menschen. Das ist keine außergewöhnliche Zahl für ein Land mit 60 Millionen Einwohnern und liegt deutlich unter dem Niveau der Ankünfte in Griechenland 2015. Wir sehen also keinen Grund für Alarmismus. Das ist keine Invasion, sicherlich aber ein humanitärer Notstand. Denn viel zu viele Menschen sterben. Im letzten Jahr starben in diesem Zeitraum 1.820 Menschen, in diesem Jahr bereits mehr als 2.500."

Flavio Di Giacomo, Internationale Organisation für Migration

Vier Hotspots in Italien

Wer es an Land schafft, muss erst einmal in einen sogenannten Hotspot. Vier davon gibt es in Italien. Auch auf Lampedusa befindet sich eine solche Einrichtung, die zu allererst der erkennungsdienstlichen Behandlung von Flüchtlingen dient. Fingerabdrücke, biometrische Fotos – alles was der Identifizierung von Menschen dient – wird hier geleistet. Keiner - so die Idee - soll mehr anonym durch Europa reisen, sondern gleich am Ort der Ankunft einen Asylantrag stellen. Doch Hilfsorganisationen berichten, dass Flüchtlinge in den Hotspots nicht ausreichend über ihre Rechte aufgeklärt werden und oft gar keine Möglichkeit erhalten, Asyl zu beantragen.

"Das sind geschlossene Einrichtungen der Polizei, in denen eine sehr oberflächliche Auswahl zwischen Wirtschaftsmigranten und Schutzbedürftigen getroffen wird. Man weiß nicht, von wem und mit welchen Garantien. Das sind sehr fragwürdige Orte."

Santina Lombardo, sizilianischen Flüchtlingshilfe Girasole

Laut Innenministerium funktioniert das neue Prinzip. Die Zahl der Ankünfte sei gesunken, und gleichzeitig würden deutlich mehr Flüchtlinge in italienischen Aufnahmezentren registriert. Soll heißen: mehr identifizierte Flüchtlinge, mehr Asylanträge in Italien. Was mit denen geschieht, die keinen Asylantrag stellen oder beispielsweise aus Nordafrika kommen, darüber schweigt die Statistik des Innenministeriums.

Hotspot-Prinzip löst keine Probleme

Wer im Hotspot das Glück hat, für einen Asylbewerber gehalten zu werden, wird aufgenommen, sagt Lombardo. Wer dieses Glück nicht hat, bekommt oft einen Ausweisungsbescheid und findet sich irgendwo wieder, ohne Dokumente, ohne Mittel und mit einem Papier, von dem er oft nicht einmal den Inhalt versteht. Auch Lampedusas Bürgermeisterin Giusy Nicolini ist gegen das Hotspot-Prinzip. Auch, weil es keine Probleme löst. In der Regel erhalten abgelehnte Migranten die Aufforderung, Italien innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. Die meisten tauchen dann unter und versuchen sich irgendwie durchzuschlagen. Giusy Nicolini plädiert für eine andere Flüchtlingspolitik.

"Lampedusa ist heute die geschlossene Grenze Europas. Die Geschichte dieser Insel, die letzten 20 Jahre voller Aufnahmebereitschaft und Hoffnung zeigen, wie die Grenze der Zukunft ist, wie Europa werden muss."

Giusy Nicolini, Bürgermeisterin von Lampedusa

 


8