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Kriegseinsatz der Bundeswehr Solidarität mit Risiko

Gut 20 Jahre lang Kriegseinsätze der Bundeswehr weltweit - für den Frieden: BR-Reporter Holger Romann nimmt den Syrien-Einsatz zum Anlass und frägt nach: Hat Deutschland aus seinen Fehlern nichts gelernt?

Von: Holger Romann

Stand: 09.12.2015 | Archiv

Bundeswehr-Tornado hebt ab | Bild: picture-alliance/dpa

"Solidarität gibt es nicht ohne Risiko."

Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe

Volker Rühe, ein Mann, der in den 90er Jahren die ersten "Out-of-Area"-Einsätze der Bundeswehr zu verantworten hatte. Und er klingt irgendwie seriöser als das Versprechen der Kanzlerin, man werde Frankreich im Kampf gegen den Terror "jedwede Unterstützung" angedeihen lassen. Als Rühe damals sein Amt übernahm, war der Kalte Krieg gerade zu Ende und Deutschland wiedervereinigt. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es irgendwann einmal am Hindukusch oder in der syrischen Wüste verteidigt werden müsse. Trotzdem trieben Rühe und seine Nachfolger den Umbau von NATO und Bundeswehr entsprechend voran. Ironischerweise war es dann eine rot-grüne Regierung, die 1999 im Kosovo den ersten Kampfeinsatz mit deutscher Beteiligung durchsetzte.

Über Erfolg und Scheitern

Über diese strategischen Neuausrichtung kann man streiten. Dass "Peacekeeping" und Krisenreaktion - jenseits von reiner Bündnisverteidigung - manchmal notwendig sein können, lässt sich rückblickend kaum leugnen: Die Bürgerkriege in Ex-Jugoslawien, der Kosovo-Konflikt, der Zerfall staatlicher Ordnung am Horn von Afrika oder in Nahost haben deutlich gemacht, dass das Ende der Geschichte und mit ihm der Ewige Friede eben noch nicht erreicht sind. Für die Bundesrepublik bedeutete das schon vor Jahren den Abschied von der guten alten Scheckbuchdiplomatie. NS-Zeit und preußischer Militarismus konnten nicht länger als Entschuldigung herhalten für selbst auferlegte Zurückhaltung. Und so machten Bundestag und Verfassungsgericht, nach langen leidenschaftlichen Debatten schließlich den Weg für Militärinterventionen im Rahmen von UN und NATO frei.

Laufende Bundeswehreinsätze

Syrien

Bundeswehrtornado

Die Bundesregierung hat am 1. Dezember beschlossen, Frankreich, den Irak und die internationale Allianz gegen den „Islamischen Staat“ (IS) auch militärisch zu unterstützen. Der Einsatz startete am 4. Dezember 2015. Insgesamt bis zu 1.200 Soldaten sollen sich an diesem Einsatz der Bundeswehr beteiligen. Er umfasst vor allem die Komponenten Luftbetankung (circa 150 Soldaten), Aufklärung (400 bis 500) , seegehenden Schutz (circa 300) sowie Stabspersonal zur Unterstützung (circa 50).
Quelle: Bundeswehr

Afghanistan: Resolute Support

Soldaten 2011 im Einsatz in Afghanistan

Deutschland beteiligt sich seit dem 1. Januar 2015 an Resolute Support gemäß des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 18. Dezember 2014 mit bis zu 850 Soldaten. "Train, Advise and Assist" – Ausbilden, Beraten und Unterstützen – das ist der Auftrag der Bundeswehrsoldaten in Mazar-e Sharif
Quelle: Bundeswehr

Afghanistan: UNAMA

Die Mission UNAMA wurde durch die Vereinten Nationen gegründet und unterstützt die Regierung Afghanistans beim Auf- und Ausbau rechtsstaatlicher Strukturen und fördert den Prozess der nationale Versöhnung. Die Bundeswehr unterstützt die Mission personell seit März 2004 mit militärischen Beratern in Kabul. Der UN-Sicherheitsrat beschloss zuletzt am 16. März 2015 mit der Resolution 2210 (2015) die Verlängerung der Mission um weitere zwölf Monate.
Quelle: Bundeswehr

Kosovo: KFOR

Das 42. Deutsche Einsatzkontingent KFOR bereitete sich im November 2015 intensiv auf die Aufnahme von Teilen des sogenannten ORF-Bataillons vor. Rund 700 Soldaten stehen grundsätzlich als "Operational Reserve Force" in Deutschland und Österreich bereit. Sie können innerhalb weniger Tage auf Anforderung des KFOR-Kommandeurs in das Kosovo verlegt werden. 
Quelle: Bundeswehr

Mittelmeer: EUNAVFOR MED Sophia

Seit Juni 2015 beteiligt sich Deutschland an der EUNAVFOR MED Operation Sophia. Die Schiffe des Verbands tragen zur Aufklärung von Schleusernetzwerken bei und können auf hoher See gegen Boote vorgehen, die von Schleppern genutzt werden. Die Schiffe retten auch weiterhin Menschen aus Seenot. Die deutschen Schiffe fahren seit dem 30. Juni unter der Flagge der EU-Mission EUNAVFOR MED.
Quelle: Bundeswehr

Mittelmeer: OAE

Die Operation Active Endeavour hat seit dem 26. Oktober 2001 das Ziel, NATO-Solidarität und Entschlossenheit zu demonstrieren und zur Entdeckung und Abschreckung terroristischer Aktivitäten im Mittelmeer beizutragen. Für die Dauer eines Mittelmeertransits beteiligen sich immer wieder Schiffe und Boote der Deutschen Marine an der Operation Active Endeavour.Sie werden dabei vom Marinekommando geführt. Der Deutsche Bundestag hat einer weiteren Beteiligung an der OAE (Mandatsobergrenze 500 Soldaten) bis zum 31. Dezember 2015 zugestimmt.
Quelle: Bundeswehr

Libanon

Der Kernauftrag der deutschen Soldaten besteht in der Überwachung der Seewege vor der Küste des Libanon und in der Ausbildung der libanesischen Marine. Im Einsatz sind derzeit rund 115 deutsche Blauhelme. Sie gehören zum Unterstützungselement in Limassol (Zypern), zur Besatzung des Schnellboots S 80 „Hyäne“, zum Ausbildungskommando Libanon und zum Stab der Mission im UN-Hauptquartier in Naqoura.
Quelle: Bundeswehr

Türkei: AF TUR

Das Mandat ist bis zum 31. Januar 2016 befristet und erlaubt den Einsatz von bis zu 400 Soldatinnen und Soldaten mit entsprechender Ausrüstung. Der Einsatz ist eine ausschließlich defensive Maßnahme und dient nicht der Errichtung oder Überwachung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium. Stand: 29.11.2015
Quelle: Bundeswehr

Irak

Ein Kernelement der internationalen Anstrengungen ist der nachhaltige Fähigkeitsaufbau der irakischen Streitkräfte sowie der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak. In Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt flogen Ende August 2014 sechs deutsche Soldaten in den Nordirak. Mit großer Mehrheit stimmte der Deutsche Bundestag am 29. Januar 2015 einer Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte durch bewaffnete deutsche Streitkräfte zu. Das Mandat beinhaltet eine personelle Mandatsobergrenze von 100 deutschen Soldaten und ist bis zum 31. Januar 2016 befristet. 
Quelle: Bundeswehr

Somalia: EU NAVFOR-Operation Atalanta

 Im Jahr 2008 wurde die EUNAVFOR Somalia Operation Atalanta aufgestellt, um humanitäre Hilfslieferungen für Somalia zu schützen und die von Somalia ausgehende Piraterie auf See zu bekämpfen. Deutschland beteiligt sich durchgehend an dem Verband, derzeit mit der Korvette "Erfurt" und einem Seefernaufklärungsflugzeug vom Typ P-3C "Orion". 
Quelle: Bundeswehr

Somalia: EUTM SOM

Die Bundeswehr beteiligt sich seit März 2010 an der Mission. Es sind etwa zehn deutsche Soldaten im Einsatz. Die insgesamt rund 155 Mann starke Mission hat mittlerweile 5.000 somalische Soldaten ausgebildet, die zur Stabilisierung des Landes beitragen sollen.
Quelle: Bundeswehr

Mali

Das Mandat wurde zuletzt am 26. Februar 2015 bis 31. Mai 2016 verlängert und umfasst derzeit den Einsatz von bis zu 350 Soldaten. Training und Beratung sind bis heute Grundlagen der Mission. Die zusätzliche Ausbildung von Fotografen, Kameraleuten und Cuttern wirkt da zunächst etwas ungewöhnlich – auf den zweiten Blick ist sie ein nicht zu unterschätzender Bereich.
Quelle: Bundeswehr

Sudan

Kernauftrag von UNAMID (United Nations-African Union Hybrid Mission in Darfur) ist die Unterstützung des Darfur-Friedensabkommens vom 5. Mai 2006 sowie der derzeit unter Leitung der Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union geführten Friedensverhandlungen. Das Bundestagsmandat erlaubt den Einsatz von bis zu 50 Soldaten.
Quelle: Bundeswehr

Südsudan

Die Republik Südsudan ist der jüngste Staat der Erde. Er wurde am 9. Juli 2011 gegründet. Der Kernauftrag vonUNMISS (United Nations Mission in the Republic of South Sudan) ist der Schutz der Zivilbevölkerung, die Beobachtung der Menschenrechtssituation sowie die Sicherstellung des Zugangs humanitärer Hilfe. Das Mandat ist bis zum 31. Dezember 2016 gültig. Die Personalobergrenze liegt bei 50 Soldaten. 
Quelle: Bundeswehr

Westsahara: MINURSO

Die Mission MINURSO (United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara) soll den Waffenstillstand zwischen dem Königreich Marokko und der "Befreiungsbewegung" Frente Polisario überwachen. Das Bundeskabinett hat am 16. Oktober 2013 die deutsche Beteiligung an MINURSO beschlossen. Der Beschluss sieht die Entsendung von bis zu vier Soldaten in das Einsatzgebiet vor. Eine Verlängerung bis 2016 ist beschlossen.
Quelle: Bundeswehr

Liberia: UNMIL

Seit Mai 2015 sind bis zu fünf deutsche Soldaten zur Mission der Vereinten Nationen in Liberia entsandt worden. Auftrag der Mission, die bereits seit 2003 existiert, ist der Schutz der Bevölkerung und die Unterstützung von humanitären Hilfsleistungen. Daneben hilftUNMIL der Regierung, die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen weiter zu reformieren. 
Quelle: Bundeswehr

Viele solcher Einsätze hat es seitdem gegeben

Die längsten auf dem Balkan und in Afghanistan. Den jüngsten im Nordirak und in Syrien gegen die Terrormiliz IS. Heimliche Zweifel an ihrem Sinn sind stets geblieben. Und auch die großen Fragen nach Moral, Grundgesetz und historischer Verantwortung stellen sich jedes Mal neu: Darf die Bundeswehr Deutschland jenseits der eigenen Grenzen verteidigen? Darf man nur zum Schutz von Menschenleben zu den Waffen greifen oder sind die Sicherung der Energieversorgung und der internationalen Handelswege ebenfalls legitime Gründe? Lassen sich kriminelle Regime oder Terroristen überhaupt militärisch besiegen und wenn ja: reichen dazu Luftschläge oder braucht es Kamptruppen am Boden?

Und nicht zuletzt: welches Maß an internationalem Rückhalt ist nötig, damit eine Mission völkerrechtlich in Ordnung geht?

Gut oder schlecht?

Zieht man Bilanz aus den Auslandseinsätzen der vergangenen Jahre, ergibt sich ein gemischtes Bild. Nicht jede Operation erscheint im Nachhinein klug oder erfolgreich. Nicht jede kam rechtzeitig und war nachhaltig genug. Und selten hatten sich die Verantwortlichen vorher gründlich überlegt, was sie mit ihrem Eingreifen eigentlich erreichen wollen und wann bzw. wie sie es wieder beenden. Selten auch besaß die Politik die nötige Tapferkeit vor dem Freund, um den Verbündeten die Gefolgschaft zu verweigern - so geschehen im Irakkrieg 2003 oder 2011 in Libyen.

Ja, aber ...

Zwar führte das wochenlange Dauerbombardement in Serbien und im Kosovo schließlich zur Aufgabe des Machthabers Milosevic und zum Waffenstillstand.

Doch der konnte den anschließenden Einmarsch der NATO-Truppen und deren jahrelange Präsenz Wohlstand und sozialen Frieden nicht erzwingen.

Zwar wurde die Vielvölkerrepublik Bosnien-Herzegowina am Ende befriedet, doch Srebrenica, das schlimmste Kriegsverbrechen auf europäischem Boden seit 1945 vermochten AWACS-Flugzeuge und Blauhelme nicht zu verhindern.

Zwar wurden Al Kaida und Taliban am Hindukusch zurückgedrängt, entscheidend geschlagen wurden sie nicht. Und trotz Zehntausender ziviler Opfer und Tausender Gefallener ist die Vision von Demokratie und Gleichberechtigung in Afghanistan nicht verwirklicht.

Im Ernstfall: Kämpfen

Mehr als 3.000 Bundeswehrsoldaten sind derzeit weltweit im Einsatz, beteiligt an insgesamt 17 Missionen. Das Aufgabenspektrum reicht von Seenotrettung im Mittelmeer bis Militärtraining in Mali. Dazu kommt eine Schlüsselrolle bei der schnellen NATO-Eingreiftruppe. Inzwischen, so hat es Verteidigungsministerin von der Leyen vollmundig formuliert, sei Deutschland bereit "aus der Mitte zu führen", und das könne im Ernstfall auch bedeuten, zu kämpfen. Gleichzeitig verweisen Kritiker auf die nicht enden wollende Pannenserie im Rüstungsbereich und den seit Jahren schrumpfenden Wehretat. Und sie warnen, die Bundeswehr sei eine "überforderte Armee", nur bedingt einsatzbereit.

Hals-über-Kopf-Mandat?

Vor diesem Hintergrund hat es überrascht, mit welch atemberaubendem Tempo sich die Bundesregierung jetzt in einen der wohl heikelsten Auslandseinsätze seit dem Krieg stürzt. Und das, nachdem man das Morden in Syrien mehr als vier Jahre lang gekonnt ignoriert hat. Binnen weniger Tage nach den Anschlägen von Paris und den Bitten Frankreichs um militärischen Beistand zieht man nun mit sechs Aufklärungsjets, einem Tankflugzeug, einer Fregatte und rund 1.200 Mann in den Krieg gegen den IS. Eine Mission, meinen Experten, von eher symbolischem Wert, dafür mit ungewissem Ausgang und hohem Risikopotential. Fest steht: einen Plan, der den Namen verdient, gibt es nicht; geschweige denn eine Exit-Strategie. Lediglich der Feind scheint festzustehen. Und das ferne Ziel, den Terror zu stoppen und damit den Zug der Flüchtlinge gen Mitteleuropa.

Viele Fragen bleiben ungeklärt

"Unklar dagegen, wer den sogenannten Islamischen Staat am Boden schlagen soll. Wie man die unterschiedlichen Interessen der beteiligten Konfliktparteien unter einen Hut bekommt. Wie eine Friedenslösung aussehen könnte, und mit wem man sie am besten erreicht. Vor allem aber, wie man verhindern will, dass aus dem vorerst noch überschaubaren Mandat ein jahrelanges und in jeder Hinsicht kostspieliges Abenteuer wird"

Holger Romann, BR-Reporter in Brüssel

Gut 20 Jahre Kriegseinsatz für den Frieden also und doch aus den Fehlern nichts gelernt?

Die Frage scheint berechtigt. Genauso wie die Erkenntnis, dass Deutschland sich nur schwer heraushalten, wenn es um Frieden, Stabilität und Sicherheit in Europa geht – nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Geschichte.

Im konkreten Fall wären die Folgen für die deutsch-französische Freundschaft und den momentan ohnehin brüchigen Zusammenhalt in EU und NATO sicher verheerend gewesen, hätte die Bundesregierung jede Unterstützung abgelehnt. Am Ende bleibt wohl nur die vage Hoffnung, der parallel geführte politische Prozess zur Beendigung dieser Tragödie möge rasch zum Erfolg führen; die konkurrierenden Regionalmächte, die in Syrien um Macht und Einfluss ringen – die Türkei, Russland, Saudi Arabien und der Iran - mögen bald zur Vernunft kommen. Auf dass sich die Zahl weiterer Opfer und das Ausmaß weiterer Zerstörung in Grenzen halten. Patentrezepte gibt es nicht. Und eben auch keine Solidarität ohne Risiko.


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