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Zeitzeugen über Valentin Beckett: "Voller Trauer gelacht"

Stand: 05.10.2010 | Archiv

Samuel Beckett | Bild: picture-alliance/dpa

Hatte Karl Valentin literarische Vorbilder? Diese Frage beschäftigte die Forschung immer wieder - einhellige Meinung: nein. Bücher hatte er so gut wie keine zu Hause, lieber las er Zeitung. Ins Theater ging er praktisch auch nie. Sicherlich hatte er einen ähnlichen Sprachwitz wie Johann Nestroy, manche Nonsens-Passagen erinnern an Texte von Lewis Carroll oder Edward Lear und mit manchen Gedichten persiflierte er zeitgenössische Dada-Texte. Valentins Worterfindungen wurden hinlänglich mit denen von James Joyce verglichen, doch beide kannten jeweils die Werke des anderen mit Sicherheit nicht.

Direkte literarische Einflüsse auf Valentin lassen sich so leicht nicht festmachen. Unzweifelhaft ist aber, dass sich andere Autoren von Valentin beeinflusst oder zumindest beeindruckt zeigten.

Zeitzeugen über Valentin

Brecht

"Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz. Er ist von einer ganz trockenen, innerlichen Komik, bei der man rauchen und trinken kann und unaufhörlich von einem innerlichen Gelächter geschüttelt wird, das nichts besonders Gutartiges hat.

Denn es handelt sich um die Trägheit der Materie und um die feinsten Genüsse, die durchaus zu holen sind. Hier wird gezeigt die Unzulänglichkeit aller Dinge, einschließlich uns selber. Wenn dieser Mensch, einer der eindringlichsten geistigen Figuren der Zeit, den Einfältigen die Zusammenhänge zwischen Gelassenheit, Dummheit und Lebensgenuss leibhaftig vor Augen führt, lachen die Gäule und merken es tief innen."

Aus: Bert Brecht, Schriften zum Theater, 1922

Tucholsky

"Unvorstellbar, wie so etwas ausgedacht, geschrieben, probiert wird. Die Komik der irrealen Potentialsätze, die monströse Zerlegung des Satzes [...] die stille Dummheit dieses Witzes, der irrational ist und die leise Komponente des korrigierenden Menschenverstandes nicht aufweist."

Aus: Kurt Tucholsky, Der Linksdenker, 1924

Graf

"Ich fürchte mich nicht, wenn man mir vorwirft, dass ich übertreibe und auf hohle Superlative verfalle, wenn ich behaupte, dass dieser ganz große, durchaus einmalige Komödiant, wäre er als junger Mensch nach Hollywood gekommen, Chaplins Ruhm erreicht hätte, und dies mit vollem Recht."

Aus: Oskar Maria Graf, An manchen Tagen, 1961

Thomas Mann

Thomas Mann war wie sein Bruder Heinrich oder sein Sohn Viktor ein großer Verehrer von Karl Valentin. Er sammelte Schallplatten mit dessen Werken, was nicht ohne Folgen blieb: Im Freundeskreis rezitierte Thomas Mann zuweilen ganze Valentin-Dialoge auswendig.

Beckett

Der große alte Mann des nihilistischen Theaters war schon früh Valentin-Verehrer. In den 1930er-Jahren hielt sich der Ire Beckett mehrmals in Deutschland auf und sah ihn mindestens einmal in München live. In einem Brief von 1973 an Michael Schulte, den dieser in dessen bei Hoffmann und Campe herausgegebenen Biografie zitiert, schrieb Beckett: "Ich habe K. V. 1937 tatsächlich in einem Café-Theater am Stadtrand gesehen und viel und voller Trauer gelacht."

Schygulla

Die Schauspielerin Hanna Schygulla ist zwar keine Zeitzeugin Valentins, aber eine gute Beobachterin:

"Nichts ist dir selbstverständlich. Alles bringst du in Bewegung bis es aufbricht und entgleist und dann endlich ein zweiter oder dritter Hintersinn zu Tage kommt. Alles stellst Du in Frage, die Kategorien der Zeit, des Besitzens, der Identität, der Zahlen und Maße ... und wie jemand, der etwas verloren hat, das er unbedingt wiederfinden muss, reißt du die Schubladen der Ratio auf und leerst sie auf den Boden und man kann nur staunen, was sich da alles angesammelt hat."

Zitiert nach der Valentin-Biografie von Michael Schulte


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