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Interview mit BR-Experten "Gauck sagt, was SPD und Grüne verschweigen"

Bundespräsident Gauck hat die mögliche Wahl von Bodo Ramelow zum thüringischen Ministerpräsidenten kritisiert. Der Grund: die SED-Vergangenheit von Ramelows Partei, die Linke. Darf sich Gauck so äußern? Ja, sagt BR-Parteiexperte Jürgen P. Lang.

Stand: 03.11.2014 | Archiv

Bundespräsident Joachim Gauck | Bild: picture-alliance/dpa

br.de/Nachrichten: Bundespräsident Gauck ist skeptisch, ob ein Ministerpräsident der SED-Nachfolgepartei die Linke den Menschen in Thüringen zu vermitteln ist. Steht ihm eine solche Einmischung zu? Schließlich haben die Bürger so gewählt…

Lang: Gauck hat ja keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Entscheidung der Bürger akzeptiert. Ob eine solche Einmischung einem Bundespräsidenten zusteht, darüber kann man trefflich streiten – das lenkt jedoch von dem eigentlichen Problem ab. Und das hat Gauck als Demokrat, der obendrein aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung stammt, genau erkannt. SPD und die Linke selbst lenken davon ab, wenn sie sagen, Ramelow habe nichts mit der SED-Vergangenheit der Linken zu tun. Ramelow hat sich einer Partei angeschlossen, die zwar an Regierungen und in Parlamenten pragmatisch agiert, aber keinesfalls als durch und durch demokratisch gilt. Ramelow selbst hat in der Vergangenheit keinen Zweifel daran gelassen, dass ihm die Abgrenzung zu Linksextremisten innerhalb und außerhalb der Linken nicht wichtig ist. Für den Demokraten Gauck ist aber gerade das ein entscheidendes Kriterium.

br.de/Nachrichten: Hat Gauck denn Recht mit seiner Behauptung?

Lang: Ja. Gauck spricht aus, was SPD und Grüne geflissentlich verschweigen: Die Linke ist nach wie vor nicht bereit, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Da braucht man nur die jüngsten Äußerungen von Fraktionschef Gysi anzuschauen.  Und der gilt ja nicht gerade als orthodoxer Kommunist. Dass die Linke in Koalitionsvereinbarungen Gegenteiliges unterschreibt, hat wenig zu bedeuten. Das ist ja keineswegs präzedenzlos. Bei der ersten rot-roten Koalition in Berlin 2001 hat sie auch – entgegen ihrer Programmatik – die NATO als gut und den Mauerbau als schlecht bezeichnet. Das macht sie mit einem Federstrich – denn Mitregieren ist für die Linke die einzige Überlebensoption. Gedacht wird in der Partei freilich anders.

BR-Redakteur und Parteienforscher Dr. Jürgen P. Lang beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit PDS und Linkspartei.

br.de/Nachrichten: Wie hoch ist denn der Anteil früherer SED-Mitarbeiter innerhalb der Linkspartei?

Lang: Der geht natürlich immer mehr zurück. An der Gesinnung der Genossen hat das nicht viel geändert. Die Geburtstagsgrüße an Fidel Castro, die Unterstützungsaufrufe für die Hamas – das alles kam von Mitgliedern ohne SED-Vergangenheit.

br.de/Nachrichten: Inwieweit hat die Linke ihre Vergangenheit aufgearbeitet?

Lang: Aufarbeitung findet statt, vor allem im Kreise der sogenannten Reformer, die durchaus in der Lage sind, die DDR als das zu bezeichnen, was sie auch war: eine Diktatur. In anderen Parteikreisen sieht es freilich anders aus. Dort herrscht entweder offene DDR-Apologie oder Ignoranz. Ex-Parteichef Lafontaine hat zum Beispiel alle Versuche unterbunden, die Aufarbeitung der Vergangenheit weiter voranzutreiben.

br.de/Nachrichten: Gibt es einen Unterschied zwischen dem Führungspersonal und der Parteibasis?

Im Bericht aus Berlin hatte Bundespräsident Gauck der Linken die Regierungsfähigkeit abgesprochen.

Lang: Ja, durchaus. Es ist vor allem ein Altersunterschied: Die Parteibasis ist – weit mehr als bei den anderen Parteien – überaltert. Dies hat jedoch nicht den Effekt, dass sich die Linke demokratisieren würde. Einst war die PDS auf diesem Weg. Aber die Fusion mit der westdeutschen Protestpartei WASG hat die radikalen Kräfte nach vorne gebracht. Sie dominieren heute den Parteivorstand. Die "Reformer", die in der PDS den Ton angegeben hatten, sind ins Hintertreffen geraten.

br.de/Nachrichten: Wie hat sich die Linkspartei bislang in Regierungsverantwortung verhalten?

Lang: Wie gesagt: pragmatisch. In einigen Ost-Landesverbänden hat dies zu einer Mäßigung der Programmatik geführt. Das ist durchaus ein Weg hin zur Demokratie. Die Gesamtpartei ist allerdings noch meilenweit davon entfernt.

br.de/Nachrichten: Warum überhaupt die Aufregung. Schließlich wurden bei der Gründung der Bundesrepublik auch massenhaft NS-Kader in den Staatsdienst übernommen?

Lang: Aus Fehlern sollte man klug werden.

br.de/Nachrichten: Vielen Dank für das Gespräch.


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P. Berkman, Dienstag, 04.November 2014, 11:56 Uhr

12. Gaukler sagt!

Herr Gauck, sein Name ist Programm, mir kann dieser Herr seit seiner opportunistischen Aussage gegen die occupy- Bewegung nichts mehr vorgaukeln.

@Opa Max Sie haben recht, Doppelmoral scheint so eine Art Parteisport zu sein, je wichtiger das Thema (Außen- wie Innenpolitik) desto dreister das Versteckspiel um die eigene Leichen im Keller.

Opa Max, Dienstag, 04.November 2014, 08:09 Uhr

11. Was Gauck verschweigt

Was machen eigentlich die vielen vielen Stasi-Mitarbeiter heutzutage? Genießen üppige Pensionen, hocken im Bundestag, sind in Amt und Würde beim Staat angestellt u.s.w. u.s.w. genießen die Wohltaten unseres Staates, dass ist doch der eigentlich Skandal. Aber da wird man von Gauck, Merkel und Co. nichts hören. Nach dem Krieg lief es mit den Nazis genauso. Die treiben bis heute ihr Unwesen.

  • Antwort von Susan M., Dienstag, 04.November, 11:43 Uhr

    Die selbe Frage habe ich mir auch gestellt. Fett schwimmt immer oben.

Schreistetter Gertraud, Dienstag, 04.November 2014, 07:56 Uhr

10. Äußerung

Daß ein Herr Gauck sich insgesammt zu der neuen Konstellation äußert, kann er machen, aber die Bürger haben diese Konstellation gewählt u da kann selbst ein Herr Gauck nichts daran ändern, daß ist Gott sei Dank noch die einzige Demokratie. Ein Herr Gauck wird sich bei der nächsten anstehenden Wahl wundern, was für eine Konstellation zustande kommt, denn daß die CDU / CSU u SPD weiter so regieren können, die Zeiten sind vorbei. Die momentane Gewaltbereitschaft wird bei der nächsten Wahl sich nieder schlagen. Da kann er sich dann erneut dazu seinen Kommentar abgeben aber es ändert nichts.

  • Antwort von Nadine Schöttl, Dienstag, 04.November, 17:43 Uhr

    Das ist aber sehr optimistisch gedacht. Das in Bayern jemals etwas anderes als die CSU regiert ist fast schon eine Utopie. Da kann sich die CSU noch so unchristlich und unsozial präsentieren, daran wird sich sicherlich nichts ändern. Und selbst die Maut zahlen die Leute mit großer Freude, ganz egal wie hoch die ist. Ne, das glaube ich nicht. Dazu müsste man schon 1 und 1 zusammen rechnen, doch das hört in der Wahlkabine auf.

  • Antwort von Hedwig, Mittwoch, 05.November, 07:49 Uhr

    Recht haben Sie Nadine!
    Da könnte die CSU ganz Bayern versklaven und unsere Traditionalisten würden es immer noch nicht einsehen an anderer Stelle Ihr Kreuz zu machen!

    Am meisten ärgert mich das es auch so viele junge Menschen gibt die nie in Frage gestellt haben warum Opa und Papa immer den gleichen Mist wählen und diese das dann ohne große Überlegungen weiterführen....

kunnukun, Dienstag, 04.November 2014, 07:18 Uhr

9. Linke und nützliche Idioten

"Ramelow hat sich einer Partei angeschlossen, die zwar an Regierungen und in Parlamenten pragmatisch agiert, aber keinesfalls als durch und durch demokratisch gilt. Ramelow selbst hat in der Vergangenheit keinen Zweifel daran gelassen, dass ihm die Abgrenzung zu Linksextremisten innerhalb und außerhalb der Linken nicht wichtig ist." Ja. Die Linke zieht - wie früher die DKP in der 'Friedensbewegung' - diejenigen an, die für Lenin nützliche Idioten waren. Kritiker wurden immer als Spalter heruntergeputzt. Es ist wichtig, sich von denen abzugrenzen, die kein klares Bekenntnis zur Ablehnung der DDR als Initiatorin von Verbrechen wie den Mauermorden und den Entführungen in Stasi-Knäste abgeben.

Quincy Jones , Dienstag, 04.November 2014, 03:00 Uhr

8. Statement Herr Gauck

Es sollte nun wohl so sein, dass unser verehrter Bundespraesident seine Statements vorher bei der Stasipartei einreicht, die dann ihr o.k. gibt. Ganz wie im Sinne der ewiggestrigen und unbelehrbaren ostdeutschen Klientel.
"Rot Front"... Qu.Jo.