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Shitstorm im Gegenwind Hass im Netz

Sie gründen Schmäh-Sites, starten Shitstorms, schreiben Postings voller Gasflaschen und Flammenwerfer: Das Internet ist ein Biotop für Menschen mit Hang zu Hass und Hetze. Inzwischen stoßen sie auf Widerstand - von vielen Seiten.

Von: Michael Kubitza

Stand: 30.07.2015 | Archiv

Computertastatur mit dem Wort "fight". | Bild: colourbox.com

Ihre Postings sind aggressiv. Doch am Ende treten sie den Rückzug an: "Es war ein grosser Fehler und ich werde mich ab sofort davon distanzieren", schreibt ein Azubi aus Österreich auf seiner Facebook-Seite. "Das war größer Blödsinn", erklärt ein 25-Jähriger aus Tettenweis in Niederbayern. Bei beiden stellte sich die Einsicht ein, nachdem sie ernste Konsequenzen zu spüren bekommen haben: Dem Lehrling hatte sein Arbeitgeber die Kündigung ins Haus geschickt, der Niederbayer musste seine Entschuldigung vor Gericht vortragen, wo er zu 7.500 Euro Geldstrafe verurteilt wurde. Die zwei Fälle im Detail:

Tatort Facebook

"Gasflasche frei Haus": Der Fall aus Tettenweis

Begonnen hatte der Fall damit, dass eine Web-Inititative namens "Spotted Pocking" um Sachspenden für eine erwartete Gruppe von Asylbewerbern gebeten hatte. Ein 25-Jähriger aus Tettenweis hatte das auf Facebook so kommentiert: "I hätt nu a Gasflasche und a Handgranate rumliegen für des Gfrast. Lieferung frei Haus." Den Ermittlern gegenüber erklärte er zunächst, jemand anderes habe von seinem Handy aus in das soziale Netzwerk gepostet - eine Behauptung, die die Experten leicht widerlegen konnten. Zudem fanden sie auf dem Handy einschlägiges Bildmaterial.

Das Amtsgericht Passau sah den Tatbestand der Volksverhetzung als erfüllt an und verurteilte den wegen Alkoholdelikten zweifach Vorbestraften zu 7.500 Euro Geldbuße: Seine Äußerung müsse tatsächlich als Aufstachelung zum Haß bewertet werden. Eine Frau, die dem Kommentar via "Like" zugestimmt hatte, kam straffrei davon: Ihr Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt.

"Flammenwerfer besser": Der Fall aus Österreich

Das syrische Flüchtlingsmädchen Dunja stand lachend in einer Wasserfontäne. Die Freiwillige Feuerwehr Feldkirchen an der Donau hatte den Flüchtlingen im Ort in den heißen Sommerwochen eine kleine Erfrischung beschert. Dunjas Bild verbreitete sich im Internet. Viele begrüßten auf Facebook die Aktion der Feuerwehr. Unter das Foto postete jedoch auch ein 17-jähriger KFZ-Lehrling: "Flammenwerfer währe da die bessere lösung gewesen."

Seine Lehrstelle war er zwei Tage danach los: Eine Facebookgruppe aus Österreich hat es sich zur Aufgabe gemacht, Verfasser solcher Kommentare zur Rechenschaft zu ziehen. Der Gründer der Gruppe möchte anonym bleiben, erklärte dem ARD-Morgenmagazin aber seine Motivation: "Weil in den letzten Monaten immer wieder Shitstorms gegen Flüchtlinge passieren, weil Hetze einfach keine Meinung ist, sondern ein Straftatbestand." In Österreich wurde im Juli der sogenannte Verhetzungsparagraf verschärft - er gilt jetzt auch für Posts im Internet.

Braune Stürme im Netz

"Da standen noch viel schlimmere Äußerungen", soll der Vater des Azubi laut "Bild am Sonntag" erklärt haben. Und der Anwalt des Niederbayern führte vor Gericht aus, Äußerungen wie die seines Mandanten könne man an deutschen Stammtischen jeden Tag hören. Solche Relativierungsstrategien muten zynisch an; aus der Luft gegriffen sind sie nicht.

Rechte Aktivisten nutzen die verbreitete Unsicherheit angesichts dramatisch steigender Flüchtlingszahlen für fremdenfeindliche Propaganda, die sich am "digitalen Stammtisch" der sozialen Medien mitunter lawinenartig verbreitet.

Das aufgeheizte gesellschaftliche Klima erzeugt "Shitstorms" - wie sie in den vergangenen Wochen unter anderem der Schauspieler Til Schweiger und der Netz-Kolumnist Sascha Lobo abbekamen. Der eine hatte sich für Flüchtlinge engagiert, der andere die Web-Hetze gegen Flüchtlinge kommentiert.

Beschimpfungen und krude Übertreibungen

Erfahrungen des BR gehen in die gleiche Richtung - nicht nur im Fall der umstrittenen Ramadan-Aktionswoche. Die Zahl der Web-Kommentare, die wir wegen Verstößen gegen die "Netiquette" nicht freischalten können, wächst massiv an. Dabei geht es nicht um die "Zensur" von legitimer Kritik und pointierten Meinungsäußerungen. Beispiele aus den letzten Tagen beinhalten:

  • Beschimpfungen ("Schmarotzer, Lügner , verstrahlt, verseucht, Trottel und Spinner, antideutsches Element, geistigverwirrte ...")
  • Vermeintlich Humoriges ("damit die neuen afrikanischen Freunde was zu kiffen haben")
  • Antidemokratische Aufrufe ("Ich wünsche mir einen starken Führer", "es wird Zeit für einen Aufstand")
  • "Aber"-Argumentation nach dem Motto "ich habe ja nichts gegen die, aber ...". Die Polizei-Razzia gegen die rechtsterroristische Vereinigung OSS kommentierten mehrere Nutzer mit Aussagen wie "Ich selber bin gegen Gewalt, aber man braucht sich nicht wundern, wenn in diesem Land Bomben hochgehen."
  • Pauschalisierungen, die nur am Rand mit dem behandelten Thema zu tun haben. ("Der Staat bedroht die eigenen Bürger, Kirchen, Staat und Medien belügen das Volk", "Wir schuften ein ganzes Leben und ihr Journalisten und ihr Asylanten bekommt alles kostenlos.")
  • Die Verbreitung kruder Übertreibungen und nicht stichhaltiger Gerüchte: "In den Innenstädten spricht man mehr arabisch als deutsch", "Christen werden wie Tiere beim Schlachten mit kleinen Messern in Einzelteile zerlegt. Tagtäglich!"). Ein Nutzer bringt das Vorkommen von Masern in Flüchtlingsheimen mit Todesfällen in Berlin in Zusammenhang (was die Charité nicht bestätigt). "Aber das interessiert die Journalisten nicht" - tatsächlich hatten unter anderem Tagesschau, RBB, N-TV und mehrere Printmedien darüber berichtet.
  • In Facebook, Twitter & Co. sind solche Argumentationsmuster naturgemäß noch virulenter und weniger kontrollierbar. Eine Jugendschutz-Studie fand im vergangenen Jahr 70 Prozent der rechtsextremen Äußerungen in den sozialen Netzwerken. Die gute Nachricht: Nicht nur Justiz und Arbeitgeber sind inzwischen sensibilisiert.

Gegenschläge: "Verpisst Euch von meiner Seite"

Immer öfter wehren sich die Beschimpften erfolgreich selbst. Sascha Lobo veröffentlichte eine an ihn gerichtete Mail ("ein krankes und entartetes Stück Scheisse wie dich muss man vergasen") und brachte so den Verfasser (anonym) in die Defensive. Til Schweiger zahlt den Schmähkritikern mit gleicher Münze zurück. Seither haben sich diese zwar nicht "verpisst" - sind unter den Kommentierern inzwischen aber klar in der Unterzahl.

Noch einen Schritt weiter ging ZDF-neo-Moderator Jan Böhmermann, der den "Tag des dümmsten Gesichts" ausrief, die Rolle des "arroganten Pissers" dankend annahm und das Treibgut des gegen ihn tobenden Shitstorms zu einem Hate-Rap collagierte.

Gegenmittel: Dekouvrieren, informieren, beobachten

Weniger wehrhafte Hetzopfer, die nicht zum kongenial-medialen Gegenschlag ausholen können, haben im Netz inzwischen Verteidiger gefunden. Etwa die österreichische Facebookgruppe, die auf den verbalen "Flammenwerfer" aufmerksam gemacht hat. Sie sucht gezielt nach den Verfassern ausländerfeindlicher Kommentare. "Wir durchforsten einschlägige Seiten, machen Screenshots von dem Chatverlauf, sichern das alles ab und melden es an den Verfassungsschutz." Daraus resultierten bereits rund 100 Anzeigen wegen Volksverhetzung. Doch auch die Facebookgruppe selbst bleibt inzwischen nicht mehr von Hass und Hetze verschont, wie einer ihrer Gründer berichtet. Die nächste Stufe ist erreicht: Aus verbalen Entgleisungen sind inzwischen Morddrohungen geworden.

Nachtrag: Wie "derStandard.at" berichtet, hat es in Österreich inzwischen drei weitere Kündigungen wegen Internethetze gegeben. Der Gründer der "Hassposting-Jäger" hat Österreich inzwischen aus Angst um sein Leben verlassen - die Gruppe selbst arbeitet anonym weiter.

In Sachsen hat sich mit dem Blog "Perlen aus Freital" ein medialer Schutzschirm für die Flüchtlinge gebildet. Und auf #YouGeHa - Youtuber gegen Hass - setzen sich Videofilmer wie die "Space Frogs" seit Ende 2014 mit Pegida & Co. auseinander. Wie wirkungsvoll das alles ist, muss sich noch zeigen. Klar ist: Facebook-Seiten wie die Miesbacher "Asyl Watch" oder die "Bürger für Sicherheit", die zur Bildung einer Bürgerwehr aufrufen, für sich aber in Anspruch nehmen, kein rechtsextremes Gedankengut zu transportieren, werden inzwischen selbst aufmerksam beobachtet.


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