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Milliardenkredit für den Feind Der Aufsehen erregende Strauß-Deal mit der DDR

Sommer 1983: Die Nachricht über den Milliardenkredit der Bundesrepublik für die DDR schlug wie eine Bombe ein. Ein unglaubliches Husarenstück des Einfädlers Franz Josef Strauß? Jein. Der Deal, der vermutlich die Existenz der DDR verlängerte, war überraschend - aber nicht für alle.

Von: Ernst Eisenbichler

Stand: 27.07.2012 | Archiv

Ost-Berlin, 24. Juli 1983: Der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (links) trifft den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. | Bild: picture-alliance/dpa

Für Überraschungen war Strauß immer gut, heißt es. So tauchte der Kommunistenhasser gern in nicht ganz offizieller Mission in Ländern auf, wo ihn nicht jeder unbedingt vermutet hätte: China, UdSSR, DDR. Im Januar 1975 wurde er als erster westdeutscher Politiker vom chinesischen Parteichef Mao Zedong empfangen. Noch vor Bundeskanzler Helmut Schmidt. Eine politische Sensation.

Geheimtreffen mit Schalck in Oberbayern

DDR-Unterhändler Alexander Schalck-Golodkowski

1983 folgt Strauß' vielleicht größter Coup in dieser Hinsicht: der Milliardenkredit für die DDR. Die Geschichte beginnt am 5. Mai jenen Jahres mit einer Szene wie aus einem Agententhriller. Ein Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes fliegt den bayerischen Ministerpräsidenten auf dem Gut des mit ihm bekannten Großschlachters Josef März im oberbayerischen Aschau ein. Dort trifft Strauß auf Alexander Schalck-Golodkowski. Der oberste Devisenbeschaffer der DDR, der März aufgrund dessen Geschäfte mit Ostdeutschland kennt, war kurz zuvor mit einem gepanzerten BMW der bayerischen Staatsregierung aus Thüringen in den Chiemgau chauffiert worden.

Gegenleistungen der DDR

Strauß und Schalck haben viel zu besprechen. Die DDR steckt wegen riesiger Auslandsschulden in arger finanzieller Klemme. Da gerade auch die Sowjetunion nicht aushelfen kann, war Staats- und Parteichef Erich Honecker nichts anderes übriggeblieben, als seinen Unterhändler Schalck ausgerechnet zum "Klassenfeind" nach Westdeutschland zu schicken. In Aschau trifft man sich zum Vorbereitungsgespräch.

24. Juli 1983, Werbellinsee in Brandenburg: Strauß und Honecker besprechen die Details des Deals. 1984 folgt ein zweiter Kredit.

Nach einigen Folge-Meetings wird vereinbart, dass die DDR einen Kredit von einer Milliarde D-Mark erhält. Abgewickelt wird er über ein westdeutsches Bankenkonsortium unter Federführung der Bayerischen Landesbank.

Im Gegenzug sagt die DDR zu, die Selbstschussanlagen abzubauen, den Mindestumtausch für Jugendliche abzuschaffen, Ausreise und Familienzusammenführung zu erleichtern sowie die Grenzabfertigung für Westdeutsche weniger schikanös zu gestalten.

"Nebenaußenpolitiker" Strauß

Die Öffentlichkeit erfährt einige Wochen lang nichts von den Treffen. Strauß hatte lediglich den frisch gebackenen Kanzler Helmut Kohl in den Deal eingeweiht. Der informierte nicht einmal Außenminister Hans-Dietrisch Genscher und Finanzminister Gerhard Stoltenberg. Der CSU-Provokateur aus Bayern verbucht diese Tatsache als Triumph für sich.

Als bayerischer Ministerpräsident, der für solche Deals offiziell gar nicht zuständig ist, kann er sich als der eigentliche diplomatische Macher fühlen. Mit seiner "Nebenaußenpolitik" düpiert er Genscher - für Strauß wohl eine besondere Genugtuung, hatte ihm jener doch 1982 bei der Bildung der neuen Regierung aus Union und FDP den ersehnten Job als Außenminister weggeschnappt.

"Bundesminister Genscher hat mit der ganzen Angelegenheit nicht mehr zu tun, als dass er im Kabinett seine Zustimmung erklären ließ."

Franz Josef Strauß im 'Bayernkurier' vom 16. Juli 1983

Geburtsstunde der Republikaner

Franz Handlos (Aufnahme von 1983) | Bild: picture-alliance/dpa zum Audio Handlos' CSU-Austritt "Wegen des Parteivorsitzenden"

Nach dem Milliardenkredit für die DDR: Franz Handlos begründet seinen Austritt aus der CSU. (Aus: "Die Wochenchronik", 10.7.1983, 1:34 min) [mehr]

Am 29. Juni wird der Milliardenkredit bekannt. Die Öffentlichkeit reagiert überrascht und ratlos. Nicht wenige sind richtiggehend empört, vor allem auch Hardliner in Strauß' eigener Partei. Wie kommt der CSU-Vorsitzende dazu, nach all den kraftmeiernden Tiraden gegen die Kommunisten nun ausgerechnet dem "Reich des Bösen" finanziell unter die Arme zu greifen? Und war es nicht Strauß, der noch im April, als ein Bundesbürger nach einem Verhör durch DDR-Beamte an der Grenzübergangsstelle Drewitz starb, von "Mord" sprach?

So mancher Parteikollege sieht die Glaubwürdigkeit der CSU in Gefahr. Auf dem Parteitag am 14. Juli wird Strauß nur noch mit 77 Prozent als CSU-Chef bestätigt - eine Klatsche angesichts von sonst 95 Prozent. Franz Handlos und Eckehard Voigt verlassen aus Protest die CSU und gründen Ende 1983 in München mit Franz Schönhuber "Die Republikaner" - eine neue Partei, rechts von der CSU, die allerdings nach einiger Zeit wieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Waigel: Kredit keine Überraschung

Theo Waigel

Für Theo Waigel hat Strauß' Kreditinitiative dagegen nichts von einem Coup - im Gegenteil, der damalige Vorsitzende der CSU-Landesgruppe rät ihm dazu. In einem späteren Interview dazu spricht Waigel sogar von einer "Kontinuität des Denkens" bei Strauß, der bereits in den 1960er-Jahren eine Milliardenzahlung an die Sowjetunion vorgeschlagen habe, damit sie sich aus der DDR zurückzöge. Schon in jener Zeit sprach Strauß von Krediten an Ostblockländer, um diese frühzeitig an das westliche Banken- und Wirtschaftssystem zu binden.

"Also für mich kam der Milliardenkredit nicht überraschend."

CSU-Politiker Theo Waigel

Viele offene Fragen

Es wurde viel gerätselt, was Strauß - abgesehen von persönlicher Profilierung - zur Finanzspritze für ein verhasstes System bewog. Schließlich habe er damit dessen Existenz verlängert, hieß es. Das ist allerdings Spekulation. Es war sogar die Rede davon, dass er von Schalck bestochen worden sei - ein Gerücht, das nie bestätigt wurde. Doch der Ruch der Korruption haftete Strauß auch in anderen Zusammenhängern an. In Wolfram Bickerichs Buch über den CSU-Politiker heißt es, die Begegnung mit dem DDR-Unterhändler habe Strauß auch dazu genutzt, "Kontakt zu den Geschäftemachern in seiner Clique" zu vermitteln. Auch ist dort die Rede von einer Provision von 8,75 Millionen Mark aus dem Kredit. Nicht bekannt ist, wer davon profitierte. In der Biografie Stefan Fingers heißt es, Strauß sei überzeugt davon gewesen, dass kommunistische Staaten wirtschaftlich nicht überlebensfähig seien. Daher habe er die pragmatische Strategie verfolgt, die Systeme durch kurzfristige Stützung auf lange Sicht zu destabilisieren und damit zum Zusammenbruch des Ostblocks beizutragen. Was immer auch zutreffen mag - Strauß erlebte ihn und das Ende der DDR nicht mehr. Er starb 1988.


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