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Post-Brexit-Treffen Drei auf der Insel

Wenn die Probleme richtig schwierig werden und im großen Kreis nichts vorangeht, dann spricht man eben in kleiner Runde und abgeschottet: Auf der kleinen Mittelmeerinsel Ventotone berät heute Kanzlerin Angela Merkel mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande und dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi, wie es nach dem Brexit mit der EU weitergehen soll.

Von: Holger Romann

Stand: 22.08.2016

Matteo Renzi, Angela Merkel, François Hollande | Bild: pa/dpa/Kay Nietfeld

Ein Gipfel in kleiner Runde, dieses in der EU nicht ganz unumstrittene Prinzip, wurde in Krisenzeiten schon öfter angewandt und hat durchaus Ergebnisse gebracht - zuletzt etwa den sogenannten Flüchtlingspakt mit der Türkei, der bei einem Treffen von Merkel mit ihrem niederländischen Kollegen Mark Rutte und dem damaligen türkischen Premier Ahmet Davutoglu angebahnt wurde. Nun, rund zwei Monate nachdem die Briten ihren Wunsch zum EU-Austritt erklärt haben, ist es wieder soweit: Auf der Insel Ventotene vor Neapel beraten Merkel, Hollande und Renzi über den Brexit und darüber, wie es danach mit der EU weitergehen soll. Wie das Treffen von Merkel und Ratspräsident Donald Tusk vergangene Woche dient auch dieser Minigipfel der Vorbereitung für den informellen Rat der 27 EU-Staaten am 16. September in Bratislava.

Ventotene: symbolträchtiger Ort

Von einem "beispiellosen", einem für Europa "nicht einfachen" Tag sprach Italiens Regierungschef am 24. Juni, als das "Nein" der Briten feststand. Welche Konsequenzen die EU aus dem Schock-Votum zieht, darüber will er erneut mit der Kanzlerin und dem französischen Präsidenten beraten. Für den Minigipfel hat Renzi einen symbolträchtigen Ort ausgewählt: Auf Ventotene hatte der von den Faschisten internierte Widerstandskämpfer Altiero Spinelli im Krieg sein Manifest für ein freies und einiges Europa verfasst. Renzis Hoffnung: der "Geist von Ventotene" möge inspirierend wirken.

Kleine Schritte statt großer Vision

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Dass das "gemeinsame Haus" Europa einen Umbau dringend nötig hat, darin stimmen die Führer der drei großen EU-Gründerstaaten überein - und darin, dass die geschrumpfte Gemeinschaft ihre Einheit jetzt erst recht bewahren muss. Schon wenige Tage nach dem historischen Brexit-Referendum hatten sich Renzi, Hollande und Merkel in Berlin getroffen und einen "neuen Impuls" für Europa in Aussicht gestellt. Wie der im Einzelnen aussehen könnte, wird heute sicher nicht abschließend geklärt. Doch mit Blick auf den 16. September will man zumindest für eine gewisse Orientierung sorgen.

Schon jetzt zeichnet sich allerdings ab: Angesichts der schwierigen Gesamtlage und vieler Differenzen zwischen den Mitgliedsländern wird es wohl keine große Vision im Geiste Spinellis, sondern eher eine Reihe kleiner, pragmatischer Fortschritte nach Merkel-Art - getreu der Devise: nicht "mehr oder weniger Europa", sondern ein besseres.

"Ein erfolgreiches Europa, das ist ein Europa, das seine Verträge und seine Versprechen einhält. Das ist uns in der Vergangenheit nicht immer gelungen."

Angela Merkel

Merkel beklagte das vielzitierte Umsetzungsproblem der EU in der Euro-Krise und beim Thema Flüchtlinge. Umfangreiche Vertragsänderungen lehnt sie ab, will den Brexit aber als Weckruf nutzen, damit sich die Union für kommende Stürme wappnet und nicht vollends auseinanderbricht.

Hollande: Kein "Weiter so!"

Nicht undurchsichtige Prozeduren und hehre Versprechen, sondern realisierbare Vorhaben, die jeder versteht und die konkrete Probleme lösen, fordert auch Hollande: Ein Kraftakt sei nötig - kein "Weiter so!"

Fokus auf drei Themen

Drei Bereiche haben Hollande, Merkel und Renzi ausgemacht, in denen die 27 - ohne die Briten - nun zügig liefern sollen:

  • Innere und Äußere Sicherheit - Stichworte: Schutz der Außengrenzen und Terrorabwehr
  • Investitionen für mehr Wachstum und sozialen Zusammenhalt
  • Programm für die Jugend, die vor allem im Süden der EU unter Arbeitslosigkeit und fehlenden Perspektiven leidet

Laut Hollande fordert der Brexit die EU nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht heraus:

"Die britische Entscheidung verlangt, sich der Unzulänglichkeiten Europas bewusst zu werden und des verlorenen Vertrauens der Menschen in das gesamte Projekt."

François Hollande

Hollande, der in den Wahlumfragen zurückliegt und neben dem Terrorproblem und einer lahmenden Konjunktur mit einer erstarkenden europafeindlichen Rechten zu kämpfen hat, weiß, wovon er spricht. Der große innenpolitische Druck, der auf ihm, aber auch auf Gastgeber Renzi und Kanzlerin Merkel lastet, lässt Beobachter andererseits zweifeln, dass die erhofften Reform-Impulse besonders ehrgeizig ausfallen werden.

Wenn es wieder mal länger dauert ...

Hinzukommt, dass mit den Osteuropäern, vor allem Ungarn und Polen, im Moment ein engeres Zusammenrücken, gar ein weiterer Verzicht auf nationale Kompetenzen, nicht zu machen wäre. Völlig offen ist schließlich auch, wann die Austrittsverhandlungen mit London nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrags beginnen - geschweige denn, wann sie abgeschlossen sein werden. Viele Unwägbarkeiten also, die die Suche nach passenden Antworten erschweren. Auch wenn die Zeit drängt - die Phase des Nachdenkens, die sich die EU-Spitzen nach dem Brexit verordnet haben, wird wohl länger dauern.


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Barbara, Montag, 22.August 2016, 14:36 Uhr

5. "Isola Ventotene" Was ist das für eine Insel?

Auf Deutsch heißt diese Insel: "die Achtundzwanzigste"! Frägt sich bloß, wer es war, der dieser Insel die Nummer 28 gegeben hat! Es könnte sein, daß der Namensgeber vorher schon 27 weitere Mittelmeerinseln bereist hatte.

  • Antwort von Franz, Montag, 22.August, 15:06 Uhr

    Vielleicht hat auch jemand dort 28 Grappa in der Dorfkneipe getrunken und durfte dann zur Belohnung die Insel benennen.

nobi, Montag, 22.August 2016, 11:15 Uhr

4. Unsere Wunderwaffe Angela

Die Reisetour von Frau Merkel ist bemerkswert. Sie entscheidet über Europa, weil die zwei anderen wirtschaftlich erheblich schwächeln.
("...") Auch die Finanzkatastrohe in Italien will Frau Merkel, weil hierdurch auch Deutschland in den Strudel gerät, mindern. Wie? Mit unserem Geld. Dafür dürfen wir Notrationen im Keller bunkern.

Eigentlich erwartet man als deutscher Bürger, dass mehr Personen, insbes. Persönlichkeiten, die Gesamtlage kritisch begleiten. Jedoch:
Frau Merkel will nur noch ihren Willen vor den ko. Wahlen durchsetzen.

Leider nichts.

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Motzki, Montag, 22.August 2016, 10:02 Uhr

3. auf der Insel

Die Herrschaften treffen sich auf der Insel (in anderen Medien: auf einem Flugzeugträger vor der Insel). Was soll das? Gab es im Regierungspalast in Rom kein Zimmer, in dem man sich in Ruhe besprechen kann?
Da wird mal wieder das Geld der Steuerzahler mit vollen Händen zum Fenster hinausgeworfen.

Gretchen, Montag, 22.August 2016, 08:21 Uhr

2. Alle ziehen am selben Strang....

.. aber jeder in eine andere Richtung.

Soll Europa den Deutschen Weg gehen: Drastische Einschnitte bei den Sozialleistungen (Agenda 2010), Schaffung eines riesigen Billiglohnsektors und dafür eine geringe Arbeitslosigkeit, solide Staatsfinanzen und hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit?

Oder soll Europa den Französisch-Italienischen Weg gehen:

keine Kürzungen bei den Sozialausgaben, Rente mit 60 und hohe Rentenbeträge, hoher Kündigungsschutz usw., dafür extreme Jugendarbeitslosigkeit, hohe Arbeitslosigkeit überhaupt, keine internationale Wettbewerbsfähigkeit, ausufernde Staatsverschuldung?

Darüber wurde nie eine Einigkeit erzielt und es wird auch diesmal nicht gelingen.

Zu befürchten ist, dass die deutschen Billiglöhner den Franzosen und Italienern die Sozialleistungen mitfinanzieren, dass wir für die Staatsschulden der beiden nicht nur haften, wie das jetzt der Fall ist, sondern künftig auch zahlen werden.

Mein Europa ist das nicht.

  • Antwort von Birkhahn, Montag, 22.August, 10:14 Uhr

    Genau da liegt das Problem. Ein gemeinsames Europa mit gegensätzlicher Wirtschaft- Finanz- und Arbeitmarktpolitik kann nicht funktionieren. Da ein gemeinsames Vorgehen offensichtlich nicht möglich ist, wird Europa in dieser Form scheitern. Bis es soweit ist, wird Deutschland die Zeche zahlen, wer sonst. Deutschland heißt. Der Sparer, der Arbeitnehmer, der Rentner und wohl auch die Mittelständler.

wm, Montag, 22.August 2016, 08:03 Uhr

1. Die Drei .......

........von der Tankstelle.......äh, auf der Insel!

"Wir schaffen das!"