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Recherche wirkt Der Funkstreifzug zieht Bilanz

Den Mächtigen auf die Finger schauen, Missstände aufdecken, Öffentlichkeit schaffen - das gehört zu den Aufgaben einer investigativen Sendung. Was unsere Recherchen bewirken - der Funkstreifzug hakt nach.

Von: Carola Brand

Stand: 08.07.2016

Große Linsen in einem Park zeigen eine gehende Frau. | Bild: BR

Pflegedienste haben deutsche Kranken-, Pflege- und Sozialkassen jährlich um einen Milliardenbetrag betrogen. Die Unternehmen, oft mit Führungspersonal aus den ehemaligen Sowjetstaaten, reichten bundesweit und systematisch falsche Abrechnungen ein. So geht es aus internen Berichten des Bundeskriminalamts hervor, über die der Funkstreifzug zusammen mit der Welt am Sonntag exklusiv berichtete.

Betrügerische Pflegedienste

Die Politik reagierte prompt: Der Bundesgesundheitsminister berief einen Pflegegipfel ein, Hermann Gröhes Botschaft: Null Toleranz gegen Betrüger.

"Jeder Betrug zu Lasten von Pflegebedürftigen, Pflegekräften und von den Angehörigen in den Familien kann nicht hingenommen werden."

Hermann Gröhe, Bundesgesundheitsminister

Pflegebetrug: Die Politik reagiert.

Unsere Berichterstattung hatte Politik und Krankenkassen auf eine gesetzliche Kontrolllücke gestoßen, die soll jetzt geschlossen werden. Ambulante Pflegedienste durften bisher von den Kassen nur unter bestimmten Bedingungen und nicht unangemeldet überprüft werden. Deswegen hat die Bundesregierung das bereits in den Grundzügen fertiggestellte 3. Pflegestärkungsgesetz um Anti-Betrugs-Maßnahmen erweitert. Die Krankenkassen bekommen nun deutlich mehr Kontrollbefugnisse.

Hinzu kommt: Das Gesetz nimmt auch die Bundesländer in die Pflicht – Stichwort Neuzulassung von Pflege-Unternehmen.

"So soll in Zukunft auf Landesebene geregelt werden verpflichtend, welche Zugangsvoraussetzungen überhaupt erfüllt werden müssen zum Pflegemarkt, damit auffällig gewordene Pflegedienste vom Markt ferngehalten werden können, sich umbenennen können, um ihr Unwesen weiterzutreiben."

Hermann Gröhe, Bundesgesundheitsminister

Blackbox Kinderheim

Blackbox Kinderheim

Nach Recherchen des Funkstreifzugs werden behinderte Kinder in bayerischen Heimen eingesperrt und Zwangsmaßnahmen ausgesetzt. Eine Umfrage von BR Recherche ergab, dass die meisten der rund 30 befragten Heime in Bayern Zwangsmaßnahmen anwenden. Das Erschreckende ist: kein Richter muss es genehmigen, wenn Kinder mehrmals am Tag ins Zimmer gesperrt werden, über Nacht in einem sogenannten Kastenbett schlafen oder an den Stuhl fixiert werden. Es reicht eine Generalvollmacht der Eltern, die verlangt wird, wenn ein Kind ins Heim kommt.

Unsere Autorinnen Christiane Hawranek und Lisa Wreschniok haben mit Eltern, Betreuern und Heimleitern gesprochen. Der Bayerische Rundfunk hat im Radio, im Fernsehen und im Netz über die Missstände berichtet. Daraufhin konnte die Politik nicht länger wegschauen. Sozialministerin Emilia Müller berief einen Expertenrat ein, um die Zustände in den Heimen zu bewerten. Der hat inzwischen eine außerordentliche Kontrolle aller Heime veranlasst.

Wie der Expertenrat die Zustände in den Kinderheimen bewertet, soll demnächst veröffentlicht werden. Jetzt schon zeichnet sich allerdings ab: Freiwillig wollen die heilpädagogischen Einrichtung nicht auf Einschlüsse und Fixierungen verzichten.

Die Steuertricks der Commerzbank

Bankenviertel Frankfurt

Geschätzt eine Milliarde Euro an Steuern sind dem Staat pro Jahr durch CumCum Geschäfte entgangen. Ausgerechnet die Commerzbank hat da mitgemacht, eine Bank, die in der Finanzkrise mit Steuergeldern gerettet werden musste. BR Recherche und Report München haben die Story gemeinsam mit dem Handelsblatt, ProPublica und der Washington Post ausgegraben.

CumCum-Geschäfte: Das ist der Trick

CumCum-Geschäfte. Einmal im Jahr schütten deutsche Konzerne eine Dividende aus. Ausländische Großaktionäre müssen darauf eigentlich Kapitalertragsteuer zahlen, meistens 15 Prozent. Um das zu vermeiden, machen sie einen Deal, zum Beispiel mit einer deutschen Bank: Sie verleihen ihre Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag nach Deutschland. Denn der deutsche Aktienhalter kann sich die Kapitalertragsteuer anrechnen oder vom Staat erstatten lassen. Kurz nach dem Dividendenstichtag wandern die Aktien zurück ins Ausland zu den ursprünglichen Besitzern. Kursrisiken wurden vorher abgesichert, die gesparte Steuer teilen sich die Partner auf. Der deutsche Staat geht leer aus.

Die Veröffentlichung von BR Recherche schlägt hohe Wellen: Finanzexperten und Politiker sämtlicher Bundestagsfraktionen fordern kurz nach Bekanntwerden der Geschäfte Aufklärung und Strafen.

"Ich erwarte als erstes, dass die Bank jetzt Transparenz schafft, was da wirklich gelaufen ist, in welchen Größenordnungen, in jedem Jahr. Und dass natürlich solche Geschäfte beendet werden, und zwar nicht erst jetzt durch den gesetzgeberischen Druck, der da möglicherweise kommt, sondern dass auch für die Zukunft klargestellt ist, dass solche Geschäfte nicht gemacht werden."

Gerhard Schick, B‘90/Die Grünen

"Wir haben hier keine Finanzunternehmer, sondern wir haben eine Art Wegnehmer. Diebe an der Allgemeinheit. Hier werden Scheingeschäfte gemacht, die wir auch unter Strafe stellen müssen."

Hans Michelbach, CSU

BR-Recherche schlägt hohe Wellen

04. Mai 2016 Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble äußert sich: Er hält exzessive Cum/Cum-Geschäfte für nicht legitim, man habe sich nicht darüber gefreut. Der Bund kündigt an, die Cum/Cum-Geschäfte der Commerzbank zum Thema im Aufsichtsrat zu machen.

09. Mai 2016 Es wird bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ein Ermittlungsverfahren wegen Cum/Cum-Geschäften gegen die Commerzbank prüft. Der Grund: Verdacht der Steuerhinterziehung.

11. Mai 2016 Die Commerzbank stoppt die umstrittenen Cum/Cum-Geschäfte – „weil sie gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert sind“, erklärt Commerzbank-Vorstand Michael Reuther.

08.Juni 2016 Der Bundestag verschärft das Gesetz, das Steuerschlupflöcher schließen und die umstrittenen Cum/Cum-Deals durch höhere Risiken für die Banken uninteressant machen soll. Nun meldet sich auch der neue Commerzbank-Chef Martin Zielke zur Affäre - in einem Interview in der Mitarbeiterzeitung: Man wolle gesellschaftlich akzeptiert sein, „und da können wir es uns einfach nicht leisten, im Namen der Commerzbank Geschäfte zu machen, die einen Reputationsschaden nach sich ziehen.“

Ob der Bund das verlorene Steuergeld zurückholen wird, ist fraglich. Finanzminister Schäuble hat das Geld aus den Cum/Cum-Geschäften verloren gegeben. Doch die möglichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft setzen die Banken weiter unter Druck.

Zweifelhaftes Blutzucker-Testgerät

Blutzuckermessgerät Curamed CM

Wer ein Blutzuckermessgerät kauft, muss sich darauf verlassen können, dass es auch funktioniert. Möchte man meinen. Anfang Juni berichtete der Funkstreifzug darüber, dass das "Curamed CM", ein Messgerät, das von Aldi Süd vertrieben wurde, fehlerhafte Werte liefert. Herausgefunden hatte das ein auf Diabetes spezialisiertes Prüflabor in Ulm, durfte aber öffentlich nicht darüber sprechen. Denn der Hersteller des Geräts, Medisana, hatte vor Gericht eine einstweilige Verfügung erwirkt. Inzwischen urteilte das Landgericht Berlin, der Hersteller darf genannt werden und muss die Veröffentlichung hinnehmen.

"Dieses Urteil stärkt die Freiheit der Wissenschaft"

Deutsche Diabetes Gesellschaft

Was aber heißt das jetzt für die Patienten? Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte führt derzeit eine Risikobewertung durch. Wie groß ist das Risiko für die Patienten?

"Das ist die Frage, die wir untersuchen und lieber heute als morgen beantworten würden."

Maik Pommer, Bundesinstitut für Arzneimittel und Risikobewertung

Der Hersteller muss jetzt eine neue Studie vorlegen und beweisen, dass sein Gerät funktioniert. Allerdings hat ihm die Behörde hat dafür keine Frist gesetzt. Welche Qualitätskriterien der Hersteller bei der Studie erfüllen muss, verrät die Kontrollbehörde nicht. Man werde bei Bedarf über die Ergebnisse informieren, erklärt Behördensprecher Pommer.

Medisana und Aldi Süd bieten das Curamed CM inzwischen übrigens nicht mehr an – im Sinne der Patientensicherheit, wie es heißt.


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